Quantcast
Channel: Die Rezensenten
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2717

Rezension: StGB

$
0
0

Satzger / Schluckebier / Werner, StGB, 6. Auflage, Carl Heymanns 2024

Von RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl

Der SSW-StGB ist seit Jahren eine feste Bank für Rechtsanwender im Strafrecht und steht selbstverständlich und selbstbewusst neben den anderen Schwergewichten der strafrechtlichen Kommentarliteratur. Das Pendant im Prozessrecht, der SSW-StPO, erscheint meist parallel und bietet so ein Komplettpaket für die Nutzer. Die nunmehr erschienene 6. Auflage erreicht fast die Grenze von 3000 Seiten an Kommentierungen und Verzeichnissen. Eine solche Menge an Stoff in nur einem Band hat leider zur Folge, dass die Seiten relativ dünn sein müssen. Jedoch ist es erfreulich, dass der Durchschein-Effekt gering ist, sodass die durchgehende Lektüre nicht behindert wird.

Die Riege der Bearbeiter ist namhaft und stammt überwiegend aus der Wissenschaft und der Justiz. Anwälte sind als Bearbeiter nicht aufgeführt. Neben dem StGB wird auch das EGStGB kommentiert, wenngleich es natürlich schade ist, dass wegen der zeitlichen Lücke zwischen Redaktionsschluss und Erscheinen des Werks das KCanG und seine Verankerung im EGStGB nicht mehr erfasst werden konnte. 

Das Werk wurde bereits mehrfach hier besprochen (4. Auflage, 3. Auflage), sodass die qualitativ hochwertige Aufbereitung der Materie nicht noch einmal überprüft werden muss, sondern vorausgesetzt werden kann. Der Kommentar wird durchgehend als ausgewogene Mischung zwischen wissenschaftlicher Diskussion und praxisgerechter Darstellung empfunden. Ich habe mir deshalb einige Normen genauer angesehen, um sie u.a. auf Aktualität und die Anwendungstauglichkeit im gerichtlichen Alltag.

Zunächst habe ich einen Blick in § 1 StGB geworfen, konkret in den Abschnitt zum Bestimmtheitsgebot (Rn. 19 ff.). Dort hatte ich natürlich wenigstens eine kurze Auseinandersetzung mit der jüngsten Entscheidung des BVerfG zu § 315d StGB (NStZ 2023, 215) im Hinblick auf das Verschleifungsverbot erhofft. Stattdessen wird dort als „neueste“ Rechtsprechung, die Leitentscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2010 zitiert. Immerhin ist die Entscheidung des BVerfG in § 315d Rn. 15 erfasst. Ein wechselseitiger Verweis wäre für die nächste Auflage geboten.

In der Nähe der zuletzt benannten Fundstelle liegt auch meine nächste Stichprobe: Die Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315c StGB. Es ist zunächst einmal positiv zu vermerken, dass drei Praktiker diese auch tatsächlich in der Praxis an den Amts- und Landgerichten so wichtige Norm bearbeiten. Umso mehr erstaunt, dass entgegen der Ansicht der BGH (zugegebenermaßen zum Geräteverstoß, § 23 Abs. 1a StVO, NStZ 2015, 409) der Fahrlehrer generell und nicht abhängig von einem tatsächlichen Eingriff über seine Hilfspedale, als Führer des Fahrzeugs angesehen wird. Es wird zwar argumentiert, aber mich überzeugt es ohne die Differenzierung nach dem tatsächlichen Eingreifen nicht. Nicht benannt wird auch die Problematik des Führens eines E-Scooters durch zwei Personen (LG Oldenburg NZV 2023, 238). Generell sind Elektrokleinstfahrzeuge in den §§ 315c und 316 StGB kaum erwähnt, immerhin kurz bei der Frage der Anwendung der Beweisregel der absoluten Fahruntüchtigkeit, § 316 Rn. 10, allerdings ohne echte Aufarbeitung der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage. Dazu passt, dass auch in § 69 Rn. 44 das Führen eines E-Scooters als Streitfrage nur benannt wird, aber keine eigene Position bezogen wird. Das ist für meinen Geschmack zu wenig. Auch eine andere aktuelle Frage im Verkehrsstrafrecht wird nicht aufgegriffen, nämlich die Frage, ob der Zeitablauf für ein Fahrverbot nach § 44 StGB noch relevant sein kann, wenn dieses nicht anlässlich eines verkehrsbezogenen Delikts ausgeurteilt werden soll (vgl. § 44 Rn. 17, fehlend OLG Dresden BeckRS 2022, 17089). Selbst die mit viel Aufmerksamkeit rezipierte Entscheidung des LG Paderborn (NZV 2022, 522) zur Anwendung des § 56 Abs. 3 StGB bei einer durch Handynutzung verursachte fahrlässige Tötung hat ihren Weg nicht in die Kommentierung gefunden (§ 56 Rn. 34-37; übrigens auch nicht bei § 222 Rn. 33). Die Rechtsprechung des EuGH mit verkehrsstrafrechtlichem Bezug ist leider nicht durchgehend rezipiert worden. So findet man die wichtige Entscheidung des EuGH zum Schadensersatz bei den Dieselfällen (NZV 2023, 257) nicht in den ansonsten schönen Ausführungen zum Thema im Rahmen des § 263 StGB (Rn. 282). Die schon deutlich ältere Entscheidung des EuGH zur Unzulässigkeit des Aufbringens von Sperrvermerken auf Führerscheinen von EU-Bürgern (NJW 2021, 1805) wird in § 69b StGB nicht einmal erwähnt. Zugegeben, auf dem Verkehrsstrafrecht liegt zwar mein persönlicher Fokus, aber die Defizite sind schlicht vorhanden im Hinblick auf die genannten aktuellen Entscheidungen und Rechtsfragen.

Positiv zu benennen sind als für einen Kommentar elementare Bestandteile die wertenden Ausführungen der Bearbeiter, wenn es nämlich gilt, Stellung zu beziehen. Dies ist – pars pro toto – vorbildlich geschehen bei § 316 Rn. 34, wenn sich die Bearbeiter nach Wiedergabe der Rechtsprechungslage zur vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt mit einer eigenen Wertung zu Wort melden, oder wenn vor §§ 324 ff. Rn. 60 ff. ausführlich das für und wider der h.M. zur mittelbaren Täterschaft der Amtsträgerstrafbarkeit diskutiert wird. Gleiches gilt, wenn ein Divergieren von Rechtsprechung und Literatur zunächst aufbereitet und dann erläuternd bewertet wird, so geschehen bspw. zur Frage der subjektiven Komponente der Beugung des Rechts, § 339 Rn. 19 ff.

Die Reform des § 64 StGB wurde insbesondere im Hinblick auf die Ursächlichkeit zwischen Tat und Hang zutreffend und leicht eingängig in die bestehende Kommentierung integriert, § 64 Rn. 32-34. Zudem wurde hier die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung schön abgebildet, gerade im Hinblick auf die fehlende Therapiebereitschaft (BGH NStZ-RR 2022, 372). Zudem wird an mehreren Stellen auf die Problematik der Entwöhnungstherapie für Delinquenten mit unzureichenden Sprachkenntnissen eingegangen.

Bei der Kommentierung der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes fällt die vielfältige Darstellung der Konstellationen von Öffentlichkeit und Nichtöffentlichkeit auf, die sich einer schematischen Beurteilung folgerichtig entziehen, § 201 Rn. 3. Gerade Aufnahmen von Privaten im Zusammenhang mit staatlichem Handeln müssen streng im Sinne der Norm subsumiert werden und zutreffend werden deshalb auch Äußerungen von Polizeibeamten im Rahmen der Ausübung von Hoheitsbefugnissen unter den Schutz der Norm gestellt, natürlich unter ausführlicher Nennung der anderen Ansichten.

Sehr anschaulich, auch im Sinne der juristischen Ausbildung, sind die Brandstiftungsdelikte kommentiert. Gerade die schwierigen Zusammenhänge zwischen objektiven Tatbestandsmerkmalen (z.B. Wohnungseigenschaft, § 306a Rn. 7) und dem darauf bezogenen subjektiven Tatbestand (§ 306a Rn. 14 ff.) bei der schweren Brandstiftung werden anschaulich und unter Heranziehung der hierzu in den letzten Jahren zahlreich ergangenen Entscheidungen des BGH erläutert, sodass man nach der Lektüre recht gut insbesondere die Abgrenzung zum Versuch des Delikts vornehmen kann, wenn z.B. die Vorstellung von der Wohneigenschaft nicht mit der Realität übereinstimmt, oder es strafrechtlich richtig einordnen kann, wenn umgekehrt der Wohnzweck bei dem beschädigten Teil des Gebäudes erfüllt gewesen wäre, der Täter insoweit einer Fehleinschätzung der Gebäudenutzung unterlag.

Schließlich habe ich einen Blick in die Kommentierung zu § 130 StGB geworfen, da das Posten und Teilen von höchst bedenklichen Memes inzwischen die Grenzen der §§ 185, 188 StGB weit überschreitet und durch die Meldestellen für Internetkriminalität entsprechend viele Verfahren bei den Amtsgerichten landen. Sehr ausführlich wird in den Erläuterungen auf das Spannungsfeld zwischen Strafbedürfnis und Meinungsfreiheit eingegangen (§ 130 Rn. 4 ff.). Hinzu kommt die Problematik der Begehung „im Internet“, der ebenfalls in der Kommentierung in vielfacher Hinsicht begegnet wird (§ 130 Rn. 7: Veröffentlichungen aus dem Ausland; § 130 Rn. 9: tatsächliche Wirkung von Äußerungen in geschlossenen Internetforen). Auch die Frage des Zugänglichmachens durch Teilen eines Memes in sozialen Medien wird angesprochen und bejaht (§ 130 Rn. 26).

Insgesamt bietet der Kommentar (wie auch bisher) eine grundsolide Auseinandersetzung mit dem StGB, eine vielfach nutzbare Zusammenstellung von altbekanntem Wissen und neuen Erkenntnissen aus der rezipierten Rechtsprechung, sodass der Wissensgewinn bei der Lektüre mit Sicherheit rasch und effektiv eintritt. Partiell, siehe oben, würde ich mir ein wenig mehr aktuelle Bezüge wünschen bzw. eine stärkere Rezeption der aktuellen Rechtsprechung, gerade weil dies in der gerichtlichen Praxis eine notwendige Voraussetzung für die Gewinn bringende Nutzung des Werks ist.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 2717