Bauer / Rahlmeyer / Schöner (Hrsg.), Handbuch Vertriebskartellrecht, 2. Auflage, C.H. Beck
Von RA Dr. Peter Gussone, Berlin
Die Abgrenzung eines eigenständigen
Vertriebskartellrechts ist aus Praktikersicht und ökonomischer Sicht sehr naheliegend:
Es geht um die Kontrolle vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen entlang der
Lieferkette; das Horizontalverhältnis zwischen tatsächlichen oder potenziellen
Wettbewerbern wird damit ausgeblendet. Im Vordergrund steht deshalb auch der
Schutz des Wettbewerbs zwischen Anbietern derselben Marke/desselben Produktes
(intra-brand Wettbewerb).
Die im März 2024 erschienene 2. Auflage
erfolgt kaum 4 Jahre nach der Erstauflage. Die als Herz des
Vertriebskartellrechts bezeichnete Vertikal-GVO sowie die entsprechenden
Leitlinien der Kommission sind mit Wirkung ab dem 1.6.2022 grundlegend
überarbeitet worden. Die baldige Neuauflage war damit zwingend. Die
anwenderfreundliche Struktur des Handbuches, auf die gleich eingegangen wird,
ist geblieben. Neu sind die ausführlichen und gesonderten Darstellungen bestimmter
Vertriebspraktiken wie Dualer Vertrieb und Online-Handelsplattformen. Zudem ist
das Werk um den deutschsprachigen Vertriebsraum in Österreich und der Schweiz
ergänzt worden. Eine für die Praxis sinnvolle Neuerung, um den Vertrieb in der
sog. DACH-Region kartellrechtlich einheitlich einschätzen zu können.
Das Handbuch gliedert sich in sechs
Kapitel und ist trotz seines Umfangs von fast 850 Textseiten nebst eines
siebzehnseitigen Schlagwortverzeichnisses wirklich gut für das schnelle
Nachschlagen strukturiert. Dies ist zugleich der Anspruch des Werkes, dem
Praktiker im Unternehmen, Anwaltschaft, Justiz und Exekutive einen profunden,
raschen Überblick über die Problembereiche des Vertriebskartellrecht zu geben. Eine
akademische Tiefe kann auf diese Weise nicht erreicht werden und ist auch nicht
die Zielsetzung der Autoren.
Im ersten Kapitel werden die Grundlagen
des Vertriebskartellrecht gelegt. Die Lektüre dieser ersten knapp 130 Seiten
geben auch dem noch unerfahrenen Kartellrechtler einen gelungen Überblick über
Kartell- und Missbrauchsverbot in vertikalen Beziehungen. Hervorzuheben ist die
ökonomische Betrachtung von vertikalen Beschränkungen, die für die rechtliche
Praxis unverzichtbar ist. Effizienzen, Nachhaltigkeitserwägungen, Wohlfahrtsbetrachtungen
usw. können nun mal mit juristischer Methodenlehre nicht erschlossen werden,
sondern wie generell im Kartellrecht muss der Jurist auch Ökonom sein bzw. sich
der Hilfe desselben vergewissern.
Das „Herzstück des Vertriebskartellrechts“,
die Gruppenfreistellungsverordnung der Kommission für vertikale
Wettbewerbsbeschränkungen (Vertikal-GVO), wird mit aktuellem Stand im zweiten
Kapitel kommentiert. Die doch sehr grundlegende Reform der Vertikal-GVO im Jahr
2022, die nach über 20 Jahren den Rechtsrahmen deutlich ändert und
erweitert, wird leider etwas zu kurz in § 5 dargestellt. Das soll nicht
heißen, dass die Autoren die Neuerung nicht ausführlich in den nachfolgenden
Kapiteln besprechen. Aber dem Praxisanspruch des Handbuches entsprechend wäre
ein grundlegender Überblick, sozusagen alles auf einen Schlag und übersichtlich
dargestellt, wünschenswert.
Besondere Vertriebssysteme, die in der
Praxis relevant sind, werden im folgenden, dritten Kapitel einzeln beschrieben.
Neben klassischen Vertriebssystemen wie selektiver Vertrieb und Franchising wird
dabei der Internetvertrieb ausführlich beleuchtet. Im Grunde ist die gewachsene
Bedeutung des Internetvertriebs einer der Haupttreiber der Reform der
Vertikal-GVO gewesen, die in diesem Bereich erstmals grundlegende Regelungen
einführt. Die Darstellung ist hier sehr übersichtlich und ergänzt sich gut mit
der ausführlichen Kommentierung der zentralen Verbotsnorm zu Beschränkungen des
Internethandels in § 11 im vorherigen Kapitel.
Das vierte Kapitel mit den Darstellungen
zu einzelnen Vertriebspraktiken ist im Vergleich zur Vorauflage deutlich
erweitert worden. Entsprechend ihrer gewachsenen Bedeutung werden nun
beispielsweise Online-Handelsplattform in § 33 eigenständig behandelt. Auch
zu Category Management, Dualem Vertrieb, Geoblocking, Bestpreisklauseln und
weiteren Vertriebspraktiken findet der Leser ausreichende, überblicksartige
Einordnungen. Systematisch nicht ganz zur Kapitelüberschrift „Vertriebsvereinbarungen
und -praktiken“ passend sind die Ausführungen zu AGB sowie dem unlauteren
Wettbewerb. Hier geht es weniger um Vertriebspraktiken der Wirtschaft als vielmehr
um die Darstellung der rechtlichen Grundzüge und Grenzen im Zivil- und
Lauterkeitsrecht. Eine Verortung im nachfolgenden Kapitel zum
Vertriebskartellrecht im Zivilprozess scheint naheliegender.
Dieses vorletzte Kapitel richtet sich eher
an den beginnenden Praktiker in Anwaltschaft und Unternehmen. Es geht um die
grundlegenden Zulässigkeitsfragen von der Zuständigkeit der Gerichte bis zur
Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess. Ein eigener, knapper Paragraf
widmet sich der zivilprozessualen Situation bei Belieferungsansprüchen. Hier
geht es in der Praxis für die Unternehmen häufig um viel, wenn z.B. die
Belieferung mit Originalersatzteilen durch den Hersteller eingestellt wird.
Gleichwohl sind die Ausführungen im 5. Kapitel insgesamt sehr kurz und überblicksartig.
Im abschließenden sechsten Kapitel erfolgt
der Blick nach Österreich und in die Schweiz. Diese Ergänzung in der Neuauflage
ist, wie eingangs bereits beschrieben, gelungen und für den Praktiker relevant.
Die Besonderheiten des jeweiligen Vertriebsrechts, die dem deutschen Juristen
nicht immer geläufig sein dürften, lernt man hier gut und auf den ersten Blick.
Die 2. Auflage des „Handbuchs des
Vertriebskartellrecht“ ist ein wertvoller Beitrag für die Praxis. Es ist,
soweit ersichtlich, relativ konkurrenzlos. Das Vertriebskartellrecht findet man
sonst eher bei den Kommentierungen zur Vertikal-GVO beschrieben, aber nicht
eigenständig abgegrenzt. Deshalb ist es jedem Juristen zu empfehlen, der sich
mit den Grundzügen auf einen schnellen Blick vertraut machen möchte. Auch für
Ökonomen scheint es wegen seiner Kompaktheit und Konzentration auf die
grundlegenden Problemstellungen geeignet. Wer Vertriebskartellrecht anwendet,
muss immer zwei Herzen in seiner Brust haben, ein juristisches und ein
ökonomisches.