Quantcast
Channel: Die Rezensenten
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2717

Rezension: Die Sicherung der kollektiven Ordnung – Festschrift für Ingrid Schmidt

$
0
0

Klapp / Linck / Preis / Reinhard / Wolf (Hrsg.), Die Sicherung der kollektiven Ordnung – Festschrift für Ingrid Schmidt, C.H. Beck 2021

Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., LL.M., Essen

Die mit der nunmehr erschienenen Festschrift geehrte Ingrid Schmidt ist als erst kürzlich in den Ruhestand eingetretene Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts eine prägende und weithin sichtbare Person des bundesrepublikanischen Arbeitsrechts in den vergangenen Jahrzehnten gewesen. Dabei hat Schmidt nicht nur inhaltlich (insbesondere als Vorsitzende des für das kollektive Arbeitsrecht so wichtigen Ersten Senats), sondern auch organisatorisch das Gericht bedeutend geprägt. So konnte etwa die Zahl der Richterinnen erheblich, fast bis hin zur Parität, gesteigert werden. Die Anerkennung, die Schmidt mit der Widmung dieser Festschrift zukommt, gebührt ihr mithin zu Recht.

Die Festschrift wird von einem fünfköpfigen Herausgeberkreis verantwortet, der die Breite des arbeitsrechtlichen Diskurses widerspeigelt. So haben Micha Klapp (DGB), Roland Wolf (BDA), Barbara Reinhard (Anwaltschaft), Rüdiger Linck(BAG) sowie Ulrich Preis (Wissenschaft) einen großen Autorenkreis versammeln und damit neben den verschiedenen Perspektiven auch eine große Bandbreite rechtlicher Fragestellungen zusammentragen können. Wer eine Tour d’Horizon durch eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Probleme sucht, der wird hier auf insgesamt rund 1.100 Seiten fündig – und das auf hohem wissenschaftlichem Niveau.

Der Band gliedert sich nach den behandelten Rechtsbereichen in fünf Teile. Vorangestellt ist ein Vorwort der Herausgeber (S. V). Es folgen unter der Überschrift „Die Jubilarin und das Bundesarbeitsgericht“ (Teil 1) zwei Beiträge von Dörner und Wißmann. Der Themenkomplex des kollektiven Arbeitsrechts und besonders des Arbeitskampfrechts (Teil 2) macht einen Großteil des Bandes aus, was insofern mit dem inhaltlichen Schwerpunkt der Tätigkeit von Schmidt beim Bundesarbeitsgericht korrespondiert. Weitere Teile widmen sich dem Individualarbeitsrecht (Teil 3) und dem Europäischen und Internationalen Arbeitsrecht (Teil 4). Einige themenübergreifende Beiträge runden das Werk ab (Teil 5). Innerhalb der einzelnen Teile sind die Beiträge alphabetisch den Nachnamen der Autoren nach sortiert.

Gut gefallen hat mir der Beitrag von Jacobs/Bornemann/Vogt, die sich dem dritten Geschlecht im Rahmen von Betriebsratswahlen widmen (S. 163 ff.). Ausgehend von § 15 Abs. 2 BetrVG, der eine Mindestrepräsentation des Minderheitsgeschlechts vorsieht, untersuchen die Verfasser, wie eine Berücksichtigung von Personen des dritten Geschlechts erfolgen kann. Im Ergebnis wird vorgeschlagen, bei Vorhandensein dreier Geschlechter in einem Betrieb stets die zwei am wenigsten vertretenen Geschlechter zusammenzufassen und gemeinsam bei der Bestimmung der Sitzanzahl zu berücksichtigen (S. 172). Diese Lösung von Jacobs/Bornemann/Vogtüberzeugt, was auch die anschaulichen Rechenbeispiele zeigen. Zwar handle es sich um eine verfassungskonforme Rechtsfortbildung; der Klarstellung halber sei die Regelung gleichwohl im Gesetz festzuschreiben (S. 176).

Mit Interesse gelesen habe ich zudem die Ausführungen von Joussen, der sich mit Beteiligungsrechten von Arbeitnehmervertretungen bei der Errichtung von Neubauten auseinandersetzt (S. 177 ff.). Ausgehend von seiner Feststellung, „wie wenig klar die mitbestimmungsrechtliche Beurteilung dieser doch sehr alltäglichen Situation zum Teil ist“ (S. 177), untersucht der Verfasser die einschlägigen Normen aus BetrVG, BPersVG, Rahmen-MAVO und MVG-EKD. BetrVG und BPersVG sehen ausdrücklich ein Anhörungsrecht vor. Ob und wie weit darüber hinaus ein Mitbestimmungsrecht aus Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes besteht, erscheint jedenfalls fraglich. Joussen schlägt schließlich mit guten Gründen vor, „nicht pauschal die Errichtung eines Neubaus der Mitbestimmung zum Gesundheitsschutz zu unterwerfen, sondern allenfalls einzelne Entscheidungen im Zuge des Neubaus, die konkret die Gesundheitssicherung implizieren“ (S. 192). Ausdrücklich nennt er die Auswahl von Baumaterialien, die keinesfalls der Mitbestimmung unterworfen sei. Wer auf Arbeitgeberseite tatsächlich mal mit einer solchen Situation konfrontiert ist, dem sei die Lektüre dieses Beitrags dringend anempfohlen.

Hingewiesen sei auch auf die lesenswerten Beiträge zum Arbeitskampfrecht, so etwa von Kittner zur Rechtsprechung des BAG in den Jahren 2005 bis 2020 (S. 207 ff.), von Linsenmaier zum modernen Arbeitskampfrecht als Herausforderung (S. 297 ff.), von Reichhold(S. 429 ff.) und Richardi (S. 455 ff.) zum Arbeitskampf im kirchlichen Dienst sowie von Claudia Schubert zu „Streik und Verhältnismäßigkeit“(S. 559 ff.)

Interessante Aspekte und Gedanken enthält des Weiteren der Beitrag von Nebe zur „Gleichstellung durch familienfreundliche Arbeitsorganisation – ein Plädoyer für ein soziales Arbeitsrecht“ (S. 863 ff.). Tatsächlich ist das Thema, das weithin als „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ betitelt wird, seit Jahren von zunehmendem Gewicht. Die Verfasserin untersucht dabei nicht Elternzeit- und Elterngeldvorschriften, sondern geht vielmehr der Frage nach, „welche Signale Arbeitsrecht und Arbeitswelt für den kulturellen Wandel von geschlechtersegregierten hin zu partnerschaftlichen Lastenverteilungen in Familien senden“ (S. 866). Dabei greift Nebe wichtige Probleme aus der Praxis auf und plädiert dafür, § 1 AGG um das Diskriminierungsmerkmal „Sorgeverantwortung/Familie“ zu erweitern (S. 868) sowie ein Recht auf eine „vereinbarkeitsfreundliche Arbeitsorganisation“ im BGB zu verankern (S. 871).

Schließlich hingewiesen sei noch auf die wichtigen Beiträge von Wank zur Änderung von Arbeitsbedingungen (S. 957 ff.) sowie auf die – wenn auch nicht rechtlich geprägten, so doch nicht minder lesenswerten – Ausführungen von Bauer zu „Praxis und Bedeutung der Pressemitteilungen des Bundesarbeitsgerichts“ (S. 1057 ff.).

Mit Interesse betrachtet werden kann auch die sprachliche Entwicklung in der Rechtswissenschaft, so wie in der vorliegenden Festschrift, wo es den Autorinnen und Autoren wohl selbst überlassen wurde, ob sie vom sog. „Gendern“ Gebrauch machen mögen. Einige Beiträge (so etwa von Absenger/Klapp, Jacobs/Bornemann/Vogt, Klebe/Wenckebach, Nebe, Weber oder Bauer) verwenden durchgehend die Schreibweise mit Asterisk, der als Platzhalter für diverse Personen dient (sog. „Genderstar“). Es scheint, als ob diese Schreibweise wachsende Verbreitung findet, was wünschenswert wäre, da es sich wohl um die die Lesbarkeit am wenigsten beeinträchtigende geschlechtersensible Schreibweise handeln dürfte. In Gerichtsentscheidungen wird allerdings derzeit weithin noch das generische Maskulinum verwendet (eine beachtenswerte Ausnahme bildet LAG Thüringen, Urt. v. 8.9.2021 – 4 Sa 54/21).

Die Festschrift versammelt insgesamt eine Vielzahl von Beiträgen verschiedenster Themen und Perspektiven. Der Schwerpunkt liegt – dem Wirken von Ingrid Schmidt folgend – im kollektiven Arbeitsrecht. Die Beiträge sind sehr fundiert und auf hohem wissenschaftlichem Niveau. Gefallen haben mir besonders die innovativen und kreativen Ansätze im vorliegenden Band, die einem als Leser Freude bereiten und zum Weiterdenken anregen. Es ist damit gewiss eine Schrift von bleibendem Wert gelungen, an der man viel Freude haben kann und die Ingrid Schmidtgebührend ehrt.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 2717