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Rezension: Schwerbehindertenrecht – Arbeitsrechtliche Besonderheiten

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Besgen, Schwerbehindertenrecht – Arbeitsrechtliche Besonderheiten, 4. Auflage, ESV 2021

Von RA'in, FA'in für Sozialrecht Marianne Schörnig

Schwerbehindertenrecht ist in erster Linie ein heißes Thema unter dem Aspekt "Schwerbehindertenarbeitsrecht". Der Grad der Behinderung von 50, der die Grenze zwischen Behinderung und Schwerbehinderung darstellt, ist so umstritten, weil er enorme Auswirkungen auf das Arbeitsrecht hat. Weitaus die Mehrzahl der Antragsteller interessiert sich für die erschwerte Kündbarkeit schwerbehinderter Arbeitnehmer, für das Mehr an Urlaubstagen, für die Vermeidung von Kurzarbeit. Die Möglichkeit früherer Inanspruchnahme der Altersrente steht eindeutig erst auf dem zweiten Platz und das Interesse an Steuerfreibeträgen etc. ist verschwindend gering.

Es ist daher erstaunlich, dass es relativ wenig Literatur ganz speziell zum Schwerbehindertenarbeitsrecht gibt. Meist wird das Thema in Handbüchern zum Arbeitsrecht in irgendeinem Kapitel "versteckt". An mangelnder Nachfrage kann es nicht liegen.

In diese Lücke springt das rezensierte Buch, das sich speziell mit dem Arbeitsrecht schwerbehinderter Arbeitnehmer befasst. Das Inhaltsverzeichnis gibt einen Überblick darüber, was das Buch chronologisch abhandelt: Es beginnt mit dem Geltungsbereich des SGB IX und geht dann über Bewerbungs- und Einstellungsverfahren, Pflichten und Rechte im laufenden Arbeitsverhältnis, Kündigung, spezielle Kündigungsgründe zu den teils öffentlich-rechtlichen Instrumenten, die dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zur Seite stehen: Das Präventionsverfahren, das "BEM" (betriebliches Eingliederungsmanagement), die Inklusionsvereinbarung, die Schwerbehindertenvertretung. Das Schwerbehindertenarbeitsrecht ist Schnittstellengebiet. Da hier so viele Rechtsgebiete vorkommen, hat der Autor gut daran getan, auf das obligatorische Kapitel über den Rechtsweg zu verzichten. Ein solches Kapitel würde den Umfang des Buches sprengen: Rechte aus dem Arbeitsverhältnis gehören vors Arbeitsgericht, Schadensersatzansprüche z.B. wegen Diskriminierung vors Zivilgericht, Streit mit dem Integrationsamt ist Verwaltungsrecht und Streitigkeiten um den Grad der Behinderung (schwerbehindert oder nicht?) gehören vors Sozialgericht. Auf dieses Kapitel hat der Autor verzichtet, stattdessen ist der Anhang ein Sammelsurium von Texten (z.B. eine Musterbetriebsvereinbarung über die Ein- und Durchführung eines BEM, Anträge an das Integrationsamt, Internetadressen der Integrationsämter).

Gemessen an der Fülle von arbeitsrechtlichen Handbüchern ist es verwunderlich, dass das vorliegende Buch gerade 197 Seiten inkl. Inhalts- und Literaturverzeichnis umfasst. Ein Blick auf die Literaturliste zeigt, dass das Schwerbehindertenrecht arbeitsrechtlich immerwährend aktuell ist. Kein einziger der zitierten Aufsätze / Kommentare ist aus dem letzten Jahrhundert. Ebenso bei den in den Fußnoten zitierten Urteilen der LAG und des BAG: Nur eine Handvoll ist aus dem 20. Jahrhundert, der Rest alles zwischen 2001 und 2020 erschienen. Das verblüfft umso mehr, als die wenigen öffentlich-rechtlichen Urteile aus den frühen 1990er Jahren stammen. Ein Indiz dafür, dass sich verwaltungsrechtlich und speziell sozialrechtlich nicht viel getan hat, - einmal abgesehen vom Bundesteilhabegesetz, das aber scheinbar Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht sehr interessiert.

Der Titel "Arbeitsrecht mit Schwerbehindertenbesonderheiten" wäre treffender gewesen, würde aber nicht für eine Alleinstellung sorgen. Die Problematik findet sich zuhauf in den einschlägigen Handbüchern für Arbeitsrechtler.


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