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Rezension: Gesamtes Strafrecht

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Dölling / Duttge / König / Rössner, Gesamtes Strafrecht, 5. Auflage, Nomos 2022

Von RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl

Für diesen „Handkommentar“ braucht man inzwischen echt große Hände: ein Kraftpaket von fast 3800 Seiten bietet eine Kommentierung zu StGB und StPO in einem Band, dazu Nebengesetze, die teilweise als eigener Abschnitt enthalten sind (GVG), teilweise in die übrige Kommentierung an geeigneter Stelle inkorporiert worden sind. Das Autorenteam ist groß und von den Tätigkeitsbereichen breit gefächert.

Die Gestaltung des Kommentars ist interessant. Die Grundkommentierung ist mit Randnummern, fett gedruckten Schlagwörtern und Binnenverweisen standardmäßig aufbereitet. Die echten Fußnoten sind jedoch nicht untereinander gedruckt, sondern als eine Art Fließtext, wobei die Fußnotenziffern fett gedruckt sind. Das spart natürlich eine Menge Platz und ist eine vertretbare Einschränkung des Lesekomforts. Typisch für die roten Nomos-Kommentare sind zudem einzelne Formulierungshilfen für die Praxis, wenngleich ich mir an mancher Stelle noch mehr davon gewünscht hätte (z.B: zu § 244 Abs. 4 StGB, wo in Rn. 39 nur die Theorie benannt, nicht aber der ausformulierte Tenor angeboten wird).

Bevor auf Details der eigentlichen strafrechtlichen Kommentierung eingegangen wird, soll die hier vorgenommene Variante in Augenschein genommen werden, dass an ausgesuchten Stellen der strafrechtlichen Kommentierung Einschübe zu Nebengesetzen erfolgen. Ich muss zugeben, dass sich mir dabei manche Platzierung nicht ganz erschließt. So hätte ich die Zusammenfassung der Einziehung des Werts von Taterträgen, § 29a OWiG, eher bei den Einziehungsvorschriften erwartet und nicht bei § 14 StGB. Ebenso hätte ich die Erwähnung der §§ 73, 74 OWiG im Rahmen des § 329 StPO erhofft und nicht bei § 230 StPO. Nachdem es sich aber jeweils nur um kurze Schlaglichter handelt, kann es auch dahingestellt bleiben, selbst wenn sich durch die gewollte Verknappung auch Fehler einschleichen: so wird in der Kommentierung zu § 53 StGB, die auch den Hinweis auf § 20 OWiG enthält, pauschal behauptet, dass bei tatmehrheitlichen Verstößen Geldbuße und Nebenfolgen getrennt festzusetzen seien (Rn. 14). Das ist jedenfalls für das Fahrverbot falsch, die entsprechende BGH-Rechtsprechung wird nicht benannt. Auch die Zusammenfassung des Betäubungsmittelrechts nach den Vorbemerkungen zu §§ 211 ff. StGB haben mich irritiert, wenngleich man es unter den Aspekten Lebensschutz und Selbstschädigung durchaus nachvollziehen könnte. Ganz generell erachte ich den geschilderten assoziativen Ansatz aber sehr förderlich, um sich die Gesamtbandbreite eines Problemkreises zu erschließen, so etwa die Erläuterung der jugendstrafrechtlichen Zumessungsgesichtspunkte bei § 46 StGB. Ob man nicht aber, wie auch in anderen roten Nomos-Kommentaren, stattdessen erläuternde Schwerpunktbereiche hätte kreieren können, könnte man trotz der inzwischen erreichten Auflagenzahl durchaus noch diskutieren.

Sehr erfreulich ist, dass sich die Autoren trotz der teilweise gedrängten Kommentierung an geeigneten Stellen den Platz nehmen, um Entwicklungen darzustellen, so zu sehen bei § 66 StGB Rn. 1-7, wo der Findungsprozess zur Sicherungsverwahrung zwischen Legislative und Judikative treffend erfasst wird. Zudem werden dort auch die Normen alter Fassung mitkommentiert, z.B. §§ 66a und b StGB, um den historischen Zusammenhang und Lösungsansätze für Altfälle zu erhalten. Auch die Erläuterungen vor §§ 211 ff. zu Suizid und Sterbehilfe mit Einbezug der Entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung sind lesenswert (dort Rn. 31 ff.). Gleiches gilt für die Entwicklung der Ermittlungsmaßnahmen nach § 100g StPO (dort Rn. 1 ff.). Es fänden sich noch etliche Passagen mehr, aber dies verdeutlicht ja letzten Ende nur, dass die Lektüre des Kommentars mitunter sehr informativ ist, auch wenn man nicht nur nach einem Detailproblem sucht.

Einige in der Praxis relevante materiell-rechtliche Normen habe ich quergelesen, etwa § 69 StGB, § 142 StGB oder § 242 StGB, ohne dass ich ernsthafte Kritikansätze gefunden hätte. Bei § 242 StGB hätte ich mir noch einen oder zwei Sätze zu neuartigen Bezahlmöglichkeiten in Supermärkten gewünscht („selbst scannen“). Ebenso habe ich mich mit in den Examina gern geprüften Tatbeständen befasst, darunter § 211 StGB, wo die Divergenzen zwischen Rechtsprechung und Literatur gänzlich unaufgeregt abgebildet und Kollisionspunkte herausgearbeitet werden (Rn. 39 ff.). Dies geschieht natürlich nicht ohne Verdeutlichung der eigenen Ansicht des Autors, indem „h.Lit.“ fett gedruckt wird, im Gegensatz zur farblos bleibenden „Rspr.“, aber dennoch kann man auch als Praktiker mit der Kommentierung gut arbeiten.

Bei § 37 StPO werden die Dolmetscherrichtlinie und die sich daraus ergebenden Folgen für die Zustellung von Urteil, Anklage und Strafbefehl erläutert (Rn. 17). Im Anschluss werden sogar die Zustellungsvorschriften nach §§ 50, 51 OWiG kommentiert, wobei hier leider ein kleiner Absatz zur Dolmetscherrichtlinie fehlt, obwohl diese in ihrem Erwägungsgrund 16 die Anwendung für Verwaltungsverfahren gerade ausschließt. Das könnte vielleicht in der Folgeauflage erwähnt werden. Sehr positiv ist die ausführliche Kommentierung zu § 136 StPO herauszuheben, wo in erfreulicher Breite der Ablauf einer Vernehmung dargestellt wird, ohne dabei den kommentierenden Charakter zu vernachlässigen (Rn. 9 ff.). Diese Transferleistung macht stets den Charakter der roten Nomos-Kommentare aus: das Schaffen von Verständnis, das über eine bloße Fundstellensammlung hinausgeht. Gleiches könnte man auch zur Kommentierung des Beweisantragsrechts sagen (§ 244 StPO, Rn. 23 ff.), da auch dort mit Bezügen zum zeitlichen Ablauf der Hauptverhandlung die verschiedenen Elemente des Antrags und die immanent enthaltenen Fehlerquellen erläutert werden. Natürlich ist ein Kommentar keine Schreibwerkstatt, dafür gibt es Seminare und Formularbücher. Aber eine solche Kommentierung ist für die Revision der eigenen Anträge bzw. die gerichtliche Prüfung Gold wert.

Man könnte noch viele weitere Normen heranziehen, aber der Gesamteindruck bliebe unangetastet, nämlich positiv. Die Kernaufgabe, das Strafrecht materiell-rechtlich und prozessual kompakt, aber ausgewogen und verständlich zu kommentieren, wird voll erfüllt. Ansätze zu Kritik im Detail und zu punktuellen Verbesserungen findet man immer, aber das betrifft eher Nebenaspekte wie oben geschildert. Das Konzept des Kommentars ist überzeugend, er ist für Wissenschaft und Praxis gleichermaßen brauchbar und auf der Höhe der Zeit, wofür ich als letztes Beispiel die Corona-Schutzmaßnahmen für die Hauptverhandlung im Rahmen des § 176 GVG gesucht und in Rn. 4 gefunden habe. Aus meiner Sicht ist das Werk eine klare Empfehlung gerade für die strafrechtliche Praxis.


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