Piovano, Der Hersteller im europäischen Produktsicherheitsrecht, 1. Auflage, Deutscher Fachverlag 2020
Von Dr. Sebastian Felz, Rheinbach
Christian Piovanos Dissertation, die an der Technischen Universität Chemnitz entstanden ist, fällt in eine aufregende Zeit für das Recht der Marktüberwachung und der Produktsicherheit. Ab dem 16.07.2021 gilt die neue europäische Marktüberwachungsverordnung 2019/1020. Ebenfalls an diesem Tag traten das neue Marktüberwachungsgesetz und das novellierte Produktsicherheitsgesetz in Kraft. Am 21.04.2021 hat die EU-Kommission den Vorschlag für eine neue Maschinenprodukteverordnung (COM(2021) 202 final) sowie eine KI-Verordnung (COM(2021) 206 final) veröffentlicht. Am 30.06.2021 wurde der Vorschlag der EU-Kommission für einen Ersatz der Richtlinie 2001/95/EG (Allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie, RaPS) vorgestellt (COM(2021) 346 final). Hier kündigen sich Verschiebungen in der klassischen Besetzung der mit Pflichten belegten Wirtschaftsakteure an. Während das klassische Quartett (Hersteller, Bevollmächtigter, Importeur und Händler) durch die neue Marktüberwachungs- und Produktsicherheitsverordnung durch den „Fulfilment-Dienstleister“ ergänzt werden, nimmt die KI-Verordnung vor allem den „provider“ in die Pflicht.
Christian Piovano hat sich in seiner Dissertation mit dem klassischen Hauptakteur des Marktüberwachung- und Produktsicherheitsrechts beschäftigt, nämlich dem Hersteller. Die unbestreitbare Bedeutung einer präzisen und rechtssicheren Definition des Herstellers liegt auf der Hand. Der Hersteller konzipiert und produziert ein potenziell mit Risiken behaftetes Produkt, sodass seine rechtssichere Identifizierung die Nutzung seines Wissens, das den Kenntnissen aller weiteren in der Lieferkette vorhandenen Wirtschaftsakteure und auch der Marktüberwachungsbehörden naturgemäß überlegen ist, einer effektiven Gefahrenabwehr dient. Der heutige § 2 Nr. 14 (Nr. 15 n.F.) ProdSG kennt fünf verschiedene „Herstellerbegriffe“. Zunächst ist Hersteller jede natürliche oder juristische Person, die ein Produkt herstellt (1) oder entwickeln oder herstellen lässt und dieses Produkt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet (2). Als („Quasi“-) Hersteller gilt auch jeder, der geschäftsmäßig seinen Namen, seine Marke oder ein anderes unterscheidungskräftiges Kennzeichen an einem Produkt anbringt und sich dadurch als Hersteller ausgibt (3) oder ein Produkt wiederaufarbeitet (4) oder die Sicherheitseigenschaften eines Verbraucherprodukts beeinflusst und dieses anschließend auf dem Markt bereitstellt (5). Ergänzend könnte noch der Eigenhersteller erwähnt werden, der gemäß § 2 Nr. 9 Maschinenverordnung (9. ProdSV) eine von der 9. ProdSV erfasste Maschine oder eine unvollständige Maschine konstruiert oder baut und für die Übereinstimmung der Maschine oder unvollständigen Maschine mit der 9. ProdSV im Hinblick auf ihr Inverkehrbringen für den Eigengebrauch verantwortlich ist.
Die herausragende Wichtigkeit einer rechtssicheren Konturierung des Herstellerbegriffes sowohl aus Herstellersicht als auch aus staatlicher Sicht wird in Teil B „Rechtsrahmen Forschungsfragen“ sehr anschaulich herausgearbeitet. Zunächst unterliegt der Hersteller verschiedenen Pflichten, die unter anderem in § 3 ProdSG und § 6 ProdSG niedergelegt sind. Des Weiteren treffen den Hersteller aus § 7 ProdSG die Pflicht zur Anbringung der CE-Kennzeichnung, die Produktbeobachtungspflichten, insbesondere bei Verbraucherprodukten, möglicherweise Ansprüche aus Delikt- und Produkthaftungsrecht, Gewährleistungsansprüchen, wettbewerbsrechtlichen Ansprüche sowie Ordnungswidrigkeiten und Strafen aus dem ProdSG oder die Inanspruchnahme durch die Marktüberwachungsbehörden bei Nichtkonformität aus dem Katalog des § 26 ProdSG a.F. bzw. Art. 14 VO (EU) 2019/1020. Für die Marktüberwachung ist die präzise Identifizierung des Herstellers wichtig und zwar insbesondere für die Auswahl des richtigen Adressaten von Marktüberwachungsmaßnahmen.
In den Teilen C (Methodische Herangehensweise zur Schärfung des produktsicherheitsrechtlichen Rechtsbegriffs „Herstellers“), D (Annäherung durch eine historische Betrachtung des Herstellerbegriffs im ProdSG) und Teil E (Annäherung durch eine teleologische Betrachtung des europäischen Produktsicherheitsrechts) legt Piovano die methodischen und historischen Grundlagen für seine weitere Beschäftigung den Begriff des Herstellers. Hervorzuheben ist die sehr ausführlich herausgearbeitete historische Genese des Herstellerbegriffs vom „Gesetz über technische Arbeitsmittel“ von 1968 über die verschiedenen Novellierungen (1979, 1992, 1997, 2004 und 2011). Im Lichte der historischen Entwicklung kann Piavano zeigen, dass der produktsicherheitsrechtliche Grundsatz, dass die Inpflichtnahme des Herstellers aus „der Nähe zum Produkt“ erwuchs, durch einen weiteren Grundsatz, nämlich den „der Nähe zum Endverwender“, flankiert wurde. Zwar war schon das Gesetz von 1968 sowohl dem vorgreifenden Arbeitsschutz als auch dem Verbraucherschutz gewidmet, allerdings wurde in den letzten fünf Jahrzehnten der Verbraucherschutz immer wichtiger. Aufgrund der Darstellung der grundlegenden Prinzipien des CE-Systems kann der Verfasser verdeutlichen, wie sehr die privaten Akteure des Wirtschaftssystems in die Marktüberwachung eingebunden werden und dadurch naturgemäß das überlegene Wissen des Herstellers eine eminent wichtige Rolle für einen Markt mit konformen Produkten spielt.
Der Teil F mit der „originären Auslegung des Herstellerbegriffs“ unter Heranziehung der historischen und teleologischen Auslegung ist mit fast hundert Seiten das Gravitationszentrum der Untersuchung. Hier werden die einzelnen Felder der Tatbestandsvoraussetzungen des Herstellerbegriffs abgemessen. Muss der Hersteller rechts- und geschäftsfähig sein, fallen Zuliefererteile unter den Produktbegriff, was bedeutet „Vermarktung unter eigener Marke“, ist die Herstellereigenschaft oder die CE-Kennzeichnungspflicht disponibel und abdingbar, wann liegt eine Abgabe vor, wo liegt der Unterschied zwischen Wiederaufbereiten und wesentlicher Veränderung oder wann liegt die Beeinflussung einer Sicherheitseigenschaft vor? Piovano führt umfassend in die Streitstände zu diesen Sachproblemen ein und erörtert sie unter Auswertung der Literatur in sehr gut begründeten Lösungen. Teil G zeigt Übereinstimmungen und Unterschiede zum Herstellerbegriff des Produkthaftungsgesetzes. Die neuen Technologien des 3D-Drucks oder der Industrie 4.0 führen zu fluiden Grenzen der verschiedenen „Hersteller“ im Entstehungsprozess eines Produktes sowie zu sich andauernd wandelnden Produkten mit ggf. verschiedenen „Herstellern“ in einem Lebenszyklusprozess mit kontinuierlichen Updates.
Als Resümee kann Piovano berechtigterweise feststellen, dass die Grundprinzipien „Nähe zum Produkt“ und „Nähe um Endverbraucher“ in allen fünf Untergruppen des Herstellerbegriffs zu sachgerechten Ergebnissen führen. Zukünftig sieht er durch die Musterfeststellungsklage einen „neuen Markt“ des kollektiven Rechtsschutzes entstehen, der sich auch mit produkthaftungsrechtlichen Sachverhalten mit produktsicherheitsrechtlichen Aspekten befassen wird. Eine eklatante Rechtsschutzlücke werde mit der Inpflichtnahme der Fulfilment-Dienstleister in der neuen Marktüberwachungsverordnung (EU) 2019/1020 (vgl. insbesondere Art. 4 i. V. m. Art. 3 Nr. 11 Verordnung (EU) 2019/1020) geschlossen. Schließlich ist auch der Befund vollumfänglich zu bejahen, dass Produktsicherheit immer mehr auch eine datenschutzrechtliche Dimension aufweisen müsse.
Christian Piovano hat sich in seiner sehr gut geschriebenen und dicht strukturierten terminologisch-dogmatischen Arbeit am produktsicherheitsrechtlichen Herstellerbegriff ein mit vielen hilfreichen Registern versehenes Kompendium geschaffen. In den gegenwärtig aufregenden Zeiten des Marktüberwachungs- und Produktsicherheitsrecht können hier verlässlich Rechtsentwicklung und Rechtsstand des produktsicherheitsrechtlichen Herstellers nachgeschlagen werden.