Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2. Auflage, De Gruyter 2021
Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., LL.M., Essen
Das europäische Arbeitsrecht ist maßgeblich seit Beginn der 2000er Jahre zu einem eigenen Teilgebiet des Arbeitsrechts avanciert. Insbesondere in den vergangenen Jahren wächst neben der stets anwachsenden Judikatur auch die Literatur in diesem Feld erheblich. Neben maßgeblich auf Studierende ausgerichteten Lehrbüchern, so etwa von Kocher (Rezension zur 1. Aufl. hierim Blog), Thüsing oder Schiek, findet sich auch das Handbuch von Preis/Sagansowie der von Franzen/Gallner/Oetker (Rezension zur 1. Aufl. hierim Blog) verantwortete Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, der als Pendant zum Erfurter Kommentar in diesem Jahr bereits in 4. Auflage erscheinen soll. Und doch bleibt bei alldem noch gehörig Raum für weitere Werke, insbesondere solche, die in die Tiefe gehen, systematisieren und Zusammenhänge aufzeigen. Diesen Anspruch verfolgt dann auch Karl Riesenhuber, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Handels- und Wirtschaftsrecht an der Ruhr-Universität Bochum, mit seinem nunmehr in 2. Auflage bei De Gruyter erschienenen Werk. Dieses – so der im Klappentext selbst gestellte Anspruch – „erschließt den Gesamtbestand des Europäischen Arbeitsrechts, seine primärrechtlichen Grundlagen sowie seine sekundärrechtliche Ausgestaltung, in systematischer Erörterung.“
Das außerordentlich hübsch gestaltete Cover ziert eine Abbildung des Werks „La strada entra nella casa“ (zumeist übersetzt als „Der Lärm der Straße dringt ins Haus“) des italienischen Malers Umberto Boccioni. Es ist ein futuristisches Werk, das den Betrachter zunächst überfordert, es ihm schwer macht, sich zu orientieren. Wohlmöglich hatten Verlag und Verfasser dies im Sinn, bestehen doch auch im Bereich des europäischen Arbeitsrechts jedenfalls für Einsteiger zunächst Orientierungsschwierigkeiten. Ob aber der Lärm der Straße, der für das großstädtische Chaos, die Geschwindigkeit, die Unaufgeräumtheit steht, das europäische Arbeitsrecht darstellen soll? Und ob das Haus, aufgeräumt, ruhig, stabil, das deutsche Arbeitsrecht abbilden soll? Oder ob lediglich die Simultaneität von deutschem und europäischem Arbeitsrecht betont werden soll? In Ermangelung einer Interpretation Riesenhubers, die sicherlich aufschlussreich gewesen wäre, ist die Deutung hier dem Leser überlassen.
Ein hübsch gestaltetes Cover beeinflusst zwar manches Mal die Kaufentscheidung; fehlt es allerdings an entsprechend gelungenem Inhalt, kann auch ein Buchumschlag dies schlechterdings nicht ausgleichen. Entscheidend sind der tatsächliche Inhalt und Nutzen. Gegliedert ist das Werk in fünf Teile, die wiederum in Kapitel sowie in fortlaufend nummerierte Abschnitte (§) untergliedert sind. Enthalten sind zudem die üblichen Verzeichnisse (Abkürzungen, Abgekürzt zitierte Literatur, Inhalt, Stichworte), darüber hinaus eines mit den wichtigsten, das Arbeitsrecht betreffenden europäischen Rechtsakten (S. 915 ff.).
Vorangestellt und damit vor die Klammer gezogen ist eine Einführung. Riesenhuber nennt diese „Europäisches Arbeitsrecht: Einführung, Begriffsbestimmung, Rechtsquellen, Übersicht, Methoden“. Besonders gut gefällt mir die an den Anfang gestellte Auseinandersetzung mit dem Arbeitnehmerbegriff, die nicht nur für Studierende oftmals schwierig zu verstehen ist und auch für Kenner der Materie immer wieder Überraschungen bereithält (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 17.11.2016 – C-216/15, Betriebsrat der Ruhrlandklinik gGmbH, NZA 2017, 41).
Es folgt ein Grundlagenteil (1. Teil), insbesondere zu thematisch zugehörigen Grundrechten (§ 2), Grundfreiheiten (§ 3) und Rechtssetzungskompetenzen (§ 5). Erfreulich ist, dass der Verfasser in der Neuauflage nun auch einen Überblick zum Zusammenspiel von Arbeitsrecht und Wettbewerbsrecht (§ 4) aufgenommen hat, der vor allem das Verhältnis von Kollektivverträgen und Kartellrecht näher beleuchtet (Rn. 4 ff.). Sodann widmet sich Riesenhuber dem internationalen Arbeitsrecht und der Entsendung (2. Teil), worin sich auch die seit der Vorauflage neu hinzugekommenen RL 2014/67/EU sowie RL (EU) 2018/957 wiederfinden (zum Rechtsstand s. § 7 Rn. 4). Im Anschluss gerät der Persönlichkeitsschutz ins Blickfeld (3. Teil). Hier werden zunächst die Diskriminierungsverbote behandelt, die auch in Deutschland vielbeachteter Gegenstand in der arbeitsrechtlichen Literatur sind (man erinnere sich nur an die Diskussionen vor Inkrafttreten des AGG). Besonders gefallen hat mir hier der einleitende Abschnitt über Rechtsgrundlagen und Schutzinstrumente (§ 9), der einen prima Einstieg in die Materie bietet. Neu eingefügt hat Riesenhuber im 3. Teil zudem einen Abschnitt zur Datenschutz-Grundverordnung (§ 13), die weithin ihre Kreise zieht und auch vor dem Arbeitsrecht nicht Halt macht.
Das sich anschließende Individualarbeitsrecht (4. Teil) bildet mit über 340 Seiten einen Schwerpunkt des Werks. Darin hat Riesenhuber nicht nur den Abschnitt zur Transparenzrichtlinie (RL (EU) 2019/1152) umfänglich überarbeitet (§ 14), die die ursprüngliche Nachweisrichtlinie (RL 91/533/EWG) zwischenzeitlich ersetzt hat, sondern auch Ausführungen zur Whistleblower-Richtlinie (RL (EU) 2019/1937) neu aufgenommen (§ 15).
Obgleich die Kompetenzen der Union im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts insbesondere durch Art. 153 Abs. 5 AEUV beschränkt sind, der neben dem Arbeitsentgelt auch das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht von Anwendungsbereich ausnimmt, so bestehen doch einige Richtlinien, die es insbesondere bei der Mitwirkung der Arbeitnehmer zu beachten gilt. Diesen widmet sich der Verfasser im letzten Teil (5. Teil).
Die Neuauflage des treffend wohl als „Handbuch“ zu charakterisierenden Werks war überfällig. Riesenhuberhat das „Europäische Arbeitsrecht“ darin umfänglich abgebildet und systematisch dargestellt. Darin liegt auch seine große Stärke: Umfassend, prägnant und vor allem aktuell. So wurden Rechtsprechung und Literatur umfangreich berücksichtigt sowie bereits Ausführungen zur geplanten Mindestlohn-Richtlinie (§ 1 Rn. 47 f.) und zur proklamierten Europäischen Säule sozialer Rechte (§ 2 Rn. 81 ff.) aufgenommen. Zudem ist die Aufmachung bzw. Gestaltung hervorzuheben. Der Einband ist hochwertig, die Papierstärke angenehm und das Schriftbild sehr leserfreundlich. Vom Text abgesetzte und vielfach vorzufindende Inhalts‑, Vorschriften-, Rechtsprechungs- und Literaturübersichten ermöglichen dem Leser den schnellen Zugang zur vertiefenden Recherche, ebenso wie der gut gelungene Fußnotenapparat. Ein – bei einem fast 1000 Seiten umfassenden Werk m.E. gebotenes Lesebändchen – wäre hier gewiss ein weiterer Pluspunkt gewesen. Inhaltlich liegt der Fokus deutlich auf der „umfassenden Abbildung“ der Materie, sodass mir die Ausführungen an einigen Stellen zu sehr an der Oberfläche verhaftet bleiben. Beispielhaft sei auf die Erläuterungen zur Koalitionsfreiheit sowie zum Recht auf kollektive Maßnahmen (Streik, Aussperrung) hingewiesen (§ 2, Rn. 13 f., 41, 52, 77; § 5 Rn. 14), die doch etwas dürftig ausfallen. Stark wird das Werk hingegen immer dann, wenn sich Riesenhubermethodische Fragen vornimmt (vgl. etwa § 1 Rn. 7 ff. zur Frage, ob ein einheitlicher Arbeitnehmerbegriff festgelegt werden sollte); die Vorliebe des Verfassers, der auch Herausgeber des in derselben Verlagsreihe erscheinenden Standardwerks zur Europäischen Methodenlehre ist (vgl. Rezension zur 3. Auflage hierim Blog), bleibt dem Leser insofern nicht verborgen.
Insgesamt handelt es sich um ein gutes Handbuch zum Europäischen Arbeitsrecht, das umfänglich und übersichtlich aufbereitet sowie gut lesbar ist. Zwar hat das von Preis/Saganverantwortete Handbuch deutlich mehr Tiefgang, behandelt jedoch auch nicht die gesamte Breite des Europäischen Arbeitsrechts, sodass die Neuauflage von Riesenhuberunbedingt ihre Berechtigung hat. So kann das Werk allen, die am Europäischen Arbeitsrecht interessiert oder jedenfalls damit befasst sind, empfohlen werden. Insbesondere ist es auch als begleitendes Werk zum Einstieg in das Rechtsgebiet empfehlenswert, so für Studenten, Referendare oder Praktiker, die sich im Europäischen Arbeitsrecht spezialisieren möchten.