Ganter / Jöbges / Stollenwerk, Das strafrichterliche Dezernat – Die effektive Hauptverhandlung, 1. Auflage, C.H. Beck 2021
Von RAG Dr. Alexander Schäfer, Kaiserslautern
In der dunkelblauen Reihe des Beck-Verlags erscheinen seit einiger Zeit Leitfäden, die praktischen Nutzen für den Rechtsanwender in der Justiz haben sollen und deshalb in erster Linie Prozessrecht im Kontext seiner praktischen Anwendung erklären und die Tiefen der richterlichen Dezernatsarbeit beleuchten, die sonst nur über den wohlmeinenden erfahrenen Kollegen am anderen Ende des Flures zugänglich sind. Solche wohlmeinenden Kollegen, ihres Zeichens (stellvertretende) Vorsitzende Richter am Landgericht, haben sich zusammengetan, um dieses praktische Erfahrungswissen im Dienste einer effektiven Dezernatsarbeit und im Licht der prozessrechtlichen Notwendigkeiten und Möglichkeiten zusammenzutragen und aufzuschreiben.
Das Buch ist – wie bei der Reihe bekannt – von handlichem Format und mit 350 Seiten gerade so lange, das man noch geneigt ist, es auch einmal von vorne nach hinten zu lesen, wenn man sich in einer Einarbeitungsphase befindet. Es eignet sich nicht nur als Nachschlagewerk, sondern ist auch im Zusammenhang sinnvoll lesbar und gewinnbringend.
Das Buch bildet, anders als es der Titel nahelegt indes nicht die gesamte strafrichterliche Dezernatsarbeit ab, sondern widmet sich – wie es der Untertitel ankündigt – der effektiven Durchführung der Hauptverhandlung mit dem Schwerpunkt der Verhandlung vor der großen Strafkammer des Landgerichts. So wird der Strafrichter am Amtsgericht nicht ganz so viel zum Strafbefehlsverfahren (§ 61 des Buches) finden und die Richterin in der Strafvollstreckungskammer ebenfalls nicht. Auch der wesentliche Teil der Arbeit, der sich mit der revisionssicheren Abfassung eines Strafurteils befasst, ist in anderen Büchern zu finden. Die Praxis stützt diese Schwerpunktsetzung aber durchaus. Die Schwierigkeiten einer womöglich ineffektiven Verhandlungsführung zeigen sich nämlich tatsächlich vorwiegend in den mehrtätigen Verhandlungen beim Landgericht, in der eine Vielzahl von Beweisen zu verarbeiten sind und in der er es ohne strategische Vorbereitung und mit entsprechendem Bemühen dazu kommen kann, dass sich alles sehr in die Länge zieht, oder dass es zu reversiblen Fehlern kommt.
Bezogen auf diese Schwerpunktsetzung liefert das Buch das Versprochene in guter Qualität und beschränkt sich eben nicht auf die Wiedergabe von StPO-Vorschriften. Vielmehr werden für alle Stadien des Verfahrens vom Eingang der Anklage über das Zwischenverfahren und den ersten Verhandlungstag bis zum Abschluss der Hauptverhandlung immer auch Zweckmäßigkeitserwägungen angestellt und hervorgehoben, welche Möglichkeiten es gibt, den Prozessstoff zu bändigen. Dabei wird immer wieder betont, dass mit einer guten Planung und einer offenen aber verbindlichen Kommunikation sowohl in Richtung der Staatsanwaltschaft als auch in Richtung Verteidigung viel erreicht werden kann. Besonders begrüßenswert ist, dass dem tonangebenden ersten Verhandlungstag dabei ein ausführliches Kapitel gewidmet ist, das den Vorsitzenden Richter auf eine Vielzahl von Eventualitäten aufmerksam macht und wie man diesen begegnen kann. Auch widmet man sich der Einführung der verschiedenen Beweismittel (Zeugen, Sachverständige, Urkunden) und zeigt Fallstricke auf. Sichere Formulierungen zur Protokollierung werden aufgezeigt und – wichtig – auch Hinweise dazu aufgezeigt, wie und mit welchem Aufwand diese Schritte zu organisieren sind. Insbesondere wird dadurch deutlich, auf welche Machtkämpfe und evtl. Provokationen man sich nicht einlassen sollte und wo andererseits ein bestimmendes Auftreten angezeigt ist.
Zusammenfassend kann der Leser von der Berufserfahrung der Autoren profitieren und sowohl im Detail wie auch in der großen Linie Einiges mitnehmen. Zwar findet sich manchmal eine allzu launige Episode (z.B. dass jeder inhaftierte Angeklagte im Hinblick auf am Sitzungstag anwesende Partner den Hinweis verstehe „reden schon, aber nicht knutschen“). Darüber sieht man angesichts vieler gelungener Kommunikationshinweise und der Vielzahl handfest nützlicher Tipps gerne hinweg und seinen eigenen Stil wird – was eine Binsenweisheit ist - ohnehin jeder selbst finden müssen. Das Buch ist also für jeden, der (umfangreichere) Hauptverhandlungen vor sich hat und sich dort souverän und ohne Burn-out behaupten möchte, zu empfehlen. Alternativen hierzu bietet der an sich reiche Büchermarkt z. Zt. nur wenige.