Quantcast
Channel: Die Rezensenten
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2717

Rezension: COVID-19 - Rechtsfragen zur Corona-Krise

$
0
0

Schmidt (Hrsg.), COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Auflage, C.H. Beck 2021

Von Rechtsanwalt / Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht / Fachanwalt für Arbeitsrecht Wilfried J. Köhler, Köln

Das von Hubert Schmidt herausgegebene Werk „COVID-19 – Rechtsfragen zur Corona-Krise“ ist im Mai 2021 schon in der 3. Auflage erschienen. Gegenüber der im September 2020 erschienenen Vor-Auflage, die ca. 710 Seiten umfasste, ist das Werk noch einmal deutlich erweitert worden. Neu aufgenommen in die 3. Auflage wurden die Themen „Deliktsrecht“, „Beamtenrecht“, „Kindertageseinrichtungen“, „Hochschulen – Digitale Lehre und elektronische Fernprüfungen“ sowie „Arbeitsschutzrecht“ (vgl. die bisherigen Themen der 2. Auflage). Das Werk umfasst nunmehr ca. 960 Seiten.

Sowohl der erweiterte Umfang als auch die schnelle Folge der Auflagen betonen die Bedeutung, die die Auseinandersetzung mit Rechtsfragen der Sars-Cov-2-Pandemie für die deutsche Rechtsentwicklung hat. Das Werk von Schmidt ist eingebettet in ein umfassendes und beispielhaftes Verlagsprogramm zur Covid-Pandemie. Neben der Zeitschrift COVuR sind im Beck-Verlag u.a.erschienen: „Staatshaftung und Corona“, „Miete in Zeiten von Corona“, „Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise“, „Covid-19 und Sport“, sowie mehrere arbeitsrechtlich orientierte Veröffentlichungen. Das hier zu besprechende Werk und das umgebende Covid-19-Verlagsprogramm bilden in durchaus beeindruckender Weise die Rechtsprobleme ab, die im Zusammenhang mit der derzeit herrschenden Pandemie diskutiert werden. Somit können die heutigen Diskussionen und Überlegungen auch eine „Blaupause“ für rechtliche Problembehandlungen bei zukünftigen Pandemien sein – die Covid-19-Pandemie wird m.E. nicht die letzte Pandemie gewesen sein, die Deutschland und die Welt erschüttert.

Das Werk ist aktuell, aber selbstverständlich können die neuesten Gesetzesänderungen keinen Niederschlag in den Ausführungen gefunden haben – das Infektionsschutzgesetz wurde nach ganz kurzer öffentlicher und parlamentarischer Diskussion durch die §§ 28b und 28c ergänzt (4. Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite v. 22.4.2021), wodurch bundeweit einheitliche Schutzmaßnahmen geschaffen werden sollten („Bundesnotbremse“). Kurze Zeit später sind die §§ 28b und 28c IfSG erneut geändert worden (2. Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze v. 28.5.2021). Für die Gesamtbewertung des Werks kann das keine Rolle spielen. Ist erst einmal der rote Faden der rechtlichen Beurteilung entwickelt worden, wie es im Werk geschehen ist, kann auch eine neue Rechtslage vom Leser kompetent weiter entwickelt werden.

In dem neuen Teil „Deliktsrecht“ (§ 8 des Werks) behandelt Förster die „widerrechtliche Verletzung zwischenmenschlicher Rechtsbeziehungen“ und beschreibt die denkbaren Haftungs-Szenarien, nämlich die unmittelbare Weitergabe des Virus von Person zu Person, die Verletzung einschlägiger Verkehrssicherungspflichten und die Haftung von Schutzmasken-Herstellern. Försterbetrachtet dabei die „unerlaubten Handlungen“ mit den spezifischen Besonderheiten, die aus der Covid-19-Pandemie resultieren. Sein Teil wird ergänzt durch die Teile „Straf- und Strafverfahrensrecht“ (§ 23 – Rau) und „Arbeitsschutzrecht“ (§ 25 – Felz). So behandelt Förster in § 8 Rn. 44 ff die Produkthaftung für Schutzmasken und beschreibt ihre Typen; Felz flankiert das Thema „Schutzmasken“ aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht, beschreibt die Normen für Atemschutzmasken (§ 25 Rn. 13 ff), und weist sowohl auf durchgeführte Studien zur Wirksamkeit von Atemschutzmasken als auch auf eine Vielzahl von nationalen und europäischen Regelungen und Empfehlungen dazu hin (§ 25 Rn. 36 ff und dortige Fußnoten). Unerlaubte Handlungen und strafbare Handlungen haben häufig Schnittstellen. Man denke hier nur an den Fall aus Österreich, bei dem ein infizierter Mann seine Ex-Ehefrau vorsätzlich angehustet und mit dem Covid-19-Virus angesteckt hat (ntv.de – Meldung vom 11.5.2021: „Infektiöser Rosenkrieg in Linz; Mann steckt Ex-Frau an und wird verurteilt“). Dieser Fall konnte – selbstverständlich – nicht im Werk behandelt werden, kann aber sowohl als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (vgl. dazu Förster, § 8 Rn. 39 ff) als auch als Körperverletzungsdelikt gewertet werden (vgl. dazu Rau,§ 23 Rn. 46 ff – wo u.a. „Anspucken, Anhusten oder Anniesen“ aus strafrechtlicher Sicht behandelt werden).

Bei dem Teil „Straf- und Strafverfahrensrecht“ (§ 23) habe ich den Eindruck, dass einige Abschnitte nicht aktualisiert werden konnten. So finden sich in den dortigen Randnummern 66 ff richtige und wichtige Ausführungen zum Subventionsbetrug durch Anträge auf Corona-Soforthilfen, neuere Rechtsprechung ist dort aber nicht zu finden. So ist z.B. nicht die Entscheidung des LG Stade vom 16.12.2020, 600 KLs 141 Js 21934/20 (7/20), juris, zitiert worden; zu diesem Urteil hat der BGH auch schon (nach Druck des Werks) eine Entscheidung getroffen und die Revision des Angeklagten verworfen (BGH, Beschl. v. 4.5.2021 - 6 StR 137/21, BeckRS 2021, 10616).

Zschieschack hat seinen Teil Wohnungseigentumsrecht (§ 4 des Werks) nach der in 2020 erfolgten sehr umfassenden Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes durch das WEMoG komplett überarbeitet und stellt die wohnungseigentumsrechtliche Situation in Pandemiezeiten sehr kompetent dar. Wichtig und interessant dabei sind vor allem seine Ausführungen zu Eigentümerversammlungen.

Völlig zu Recht weist Zschieschack darauf hin (§ 4 Rn. 43), dass die neuen Vorschriften des § 23 Abs. 1 Satz 2 (virtuelle Eigentümerversammlungen) und des § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG (Beschlüsse im Umlaufverfahren) Erwartungen wecken, die sich vermutlich nicht erfüllen lassen werden. Die virtuelle Teilnahme an einer Präsenzversammlung ist zwar nach neuem Recht möglich, setzt aber einen Gestattungsbeschluss voraus, der festlegen muss, welche Rechte (sämtliche / einzelne – ganz / teilweise) „im Wege der elektronischen Kommunikation“ ausgeübt werden können. Tatsächlich sind solche Beschlüsse einem hohen Anfechtungsrisiko ausgesetzt, weshalb Zschieschack auch vor „Schnellschüssen“ bei der Entwicklung von derartigen Beschlüssen ausdrücklich warnt (Rn. 44). Das ist völlig richtig; viele Verwalter oder auch antragstellende Eigentümer neigen nach meiner Erfahrung leider zu solchen unbedachten und nicht durchdachten Schnellschüssen. Zschieschack entwickelt in den Randnummern 46 – 51a ein Konzept, wie eine Eigentümerversammlung in einer Krisenzeit (und einer vorgeschriebenen oder gewollten Beschränkung der Personenzahl) durchgeführt werden kann. Nachdem er darauf hingewiesen hat, was jedenfalls nicht zulässig ist (z.B. eine reine Vertreterversammlung, bei der eine Teilnahme aller Wohnungseigentümer nicht erlaubt ist), präferiert er virtuelle Vorversammlung, bei der sich die Eigentümer über die anstehenden Themen austauschen und ihre Meinung bilden können. Nach diesem Meinungsaustausch könnten dann die Eigentümer, die nicht zur „echten“ Versammlung erscheinen wollen oder können, Vollmachten mit bindenden Weisungen an Vertrauenspersonen erteilen, um so ihr Stimmrecht auszuüben. Das ist sicher eine sinnvolle Möglichkeit, hat aber eher wenig mit der Neugestaltung des Wohnungseigentumsgesetzes zu tun, und ist auch schon früher (vor dem WEMoG und vor der Pandemie) in ganz ähnlicher Weise praktiziert worden.

Die Möglichkeit der Beschlussfassung im Umlaufverfahren helfe, so Zschieschack zu Recht, in Pandemiezeiten auch nur wenig, denn § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG sehe nur vor, dass durch Beschluss ein erleichtertes Umlaufverfahren geschaffen und festgelegt werden könne, dass für schriftliche Abstimmungen über einen einzelnen Gegenstand eine einfache Mehrheit ausreiche. Der Gesetzgeber habe aber für die Eigentümergemeinschaften leider nicht die Möglichkeit geschaffen, die er für Vereine kreiert hat. Dort hat er nämlich bestimmt, dass „ein Beschluss ohne Versammlung der Mitglieder gültig [ist], wenn alle Mitglieder beteiligt wurden, bis zu dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform abgegeben haben und der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde.“ Hat die Eigentümerversammlung ein erleichtertes Umlaufverfahren beschlossen, stellt sich die Frage, ob die einzelnen Wohnungseigentümer auch verpflichtet sind, am schriftlichen Umlaufverfahren zustimmend teilzunehmen, wenn einem Eigentümer bei Unterbleiben eines Beschlusses ein Schaden droht. Zschieschack bejaht das – zu Recht – wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt und auch, wenn dringende Instandsetzungs- oder Finanzierungsnotwendigkeiten erkennbar sind.

Die Frage einer Zustimmungsverpflichtung kann zwar grundsätzlich so beantwortet werden, ist allerdings auch immer abhängig von dem Einzelfall, der sehr weitgehend von der ordnungsgemäßen Vorbereitung einer Beschlussfassung durch den Verwalter bestimmt wird.

Obwohl das WEMoG, durch das das Wohnungseigentumsgesetz geändert wurde, während der Pandemie beschlossen wurde, sind pandemiespezifische Regelungen vom Gesetzgeber nicht geschaffen worden. Das ist bedauerlich – dieses Bedauern wird auch – allerdings in sehr zurückhaltender Weise – bei den Ausführungen von Zschieschack deutlich.

Baßlsperger beschäftigt sich in dem neuen Teil Beamtenrecht (§ 19 des Werks) umfassend mit den beamtenrechtlichen Fragen, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehen. Die Themen umfassen u.a. die Dienstleistungspflicht im Beamtenverhältnis, die Besonderheiten bei der Betreuung von Kindern und Angehörigen, der Anspruch auf oder die Verpflichtung zu Home-Office (mit den damit zusammenhängenden Problemfeldern, ob und wann die ArbStättVO einschlägig ist und wann der Dienstherr technische Einrichtungen für die Beamten-Tätigkeit zur Verfügung stellen muss); außerdem behandelt er Urlaubsfragen und macht Ausführungen zur Impf- und Testpflicht.

Bei der Corona-Impfpflicht und Testpflicht für Beamte (Rn. 84 ff) weist Baßlsperger zu Recht darauf hin, dass eine Impfpflicht in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verpflichteten eingreife und eine Impfpflicht nur aufgrund eines Gesetzes geschaffen werden könne – Weisungsbefugnisse von Dienstvorgesetzten reichen keinesfalls aus (Rn. 85). Baßlsperger stellt aber auch die Frage, „ob der Bund oder ein Land ein entsprechendes Gesetz überhaupt erlassen könnte“, beantwortet diese Frage – m.E. zu Recht – dahingehend, dass nach einer ordnungsgemäßen Abwägung der Pro- und Contra-Argumente unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit durchaus „das Pendel … in Richtung einer Befürwortung der Impfpflicht ausschlagen“ könnte (Rn. 86). Bei der Corona-Testpflicht für Beamte vertritt Baßlsperger im Ergebnis die Auffassung (Rn. 92), dass eine „verpflichtende Gesundheitsüberprüfung für Beamte [also ein Corona-Test] auch aufgrund von Verwaltungsvorschriften oder Einzelanweisungen denkbar“ wäre. Das erscheint mir ein wenig zu weitgehend; auch der von Baßlspergerherangezogene § 44 Abs. 4 BBG ist bei einer allgemeinen „ermittelnden“ Testung – ohne dass „Zweifel an der Dienstfähigkeit“ vorliegen – nach meiner Auffassung nicht einschlägig.

„Arbeitsschutzrecht“ behandelt Felz in § 25 des Werks. Eingangs stellt er kurz aber prägnant das System des Arbeitsschutzes in Deutschland dar (Rn. 6 ff). Dem Leser wird vor Augen geführt, dass das Arbeitsschutzrecht europa- und verfassungsrechtlich geprägt ist und die europäischen und verfassungsrechtlichen Vorgaben vom nationalen Gesetzgeber im Arbeitsschutzgesetz, im Produktsicherheitsgesetz und in weiteren zahlreichen Verordnungen umgesetzt wurden. Daneben zeigt er auf, dass mit „Technischen Regeln“ eine „dritte Regelungsebene“ vorhanden ist (Rn. 9), die auf den Arbeitsschutz einwirkt. Diese „Technischen Regeln“ geben den Stand der Technik, der Arbeitsmedizin und der Hygiene wieder; sie werden von Arbeitsschutzausschüssen ermittelt, an denen u.a. Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und die Wissenschaft beteiligt sind. Die Unfallversicherungsträger, die ebenfalls an den „Technischen Regeln“ mitwirken, haben im deutschen Arbeitsschutzsystem eine besondere Funktion (Rn. 12). Sie können – neben den staatlichen Vorschriften – autonomes Recht setzten, nämlich Unfallverhütungsvorschriften. Diese Vorschriften sind sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmer bindend.

Nach dieser prägnanten Einführung beschäftigt sich Felz mit dem Arbeitsschutzrecht in der „epidemischen Lage nationaler Tragweite“. Auf der Grundlage des § 5 IfSG erörtert Felz den SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard und die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geschaffen wurden. Änderungen haben sowohl der Arbeitsschutzstandard (letzte Änderung 29.1.2021) als auch die Arbeitsschutzregel (letzte Änderung 29.4.2021) erfahren. Felz stellt die Rechtsnatur beider Regelungen dar (Rn. 21 f), die Adressaten (Arbeitgeber und weitere Personen, die aufgrund ihrer Führungsposition verantwortlich sind), sowie die erforderlichen Schutzmaßnahmen, die sich aus dem „Schutzstandard“ und der „Schutzregel“ ergeben können. Schließlich wird die arbeitsgerichtliche und verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung referiert.

Mein Gesamtergebnis: Die 3. Auflage des Werks ist ein noch umfassenderes Nachschlage- und Arbeitsbuch zu Covid-19-Rechtsproblemen geworden als es schon die 2. Auflage war. Es bietet zum Themenkreis „Pandemie“ sehr fundierte Ausführungen von Fachleuten und kann deshalb allen, die sich mit den vielfältigen Rechtsfragen um die Covid-19-Pandemie beschäftigen müssen, empfohlen werden. Die Lektüre der einzelnen Teile des Werks ist für mich sehr gewinn- und erkenntnisbringend gewesen.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 2717