Kindhäuser / Schumann, Strafprozessrecht, 5. Auflage, Nomos 2019
Von RAG Carsten Krumm, Dortmund
„Ein wirklich tolles Buch, es könnte aber noch etwas Praxis rein!“, soviel schon zur Zusammenfassung vorab. „Strafprozessrecht“ ist nunmehr in der 5. Aufl. erschienen und weist fast 450 Seiten auf. Es ist damit für studentische Ausbildungsliteratur eher ein dickes Buch.
Welche Themen werden im Einzelnen behandelt? Los geht es in einem ersten großen Buchabschnitt, in dem es um Ziele des Strafverfahrens, die Rechtsquellen und den (groben) Gang des Strafverfahrens geht. Ein zweiter großer Abschnitt befasst sich natürlich mit dem Ermittlungsverfahren. Etwa 120 Seiten sind diesem Verfahrensabschnitt gewidmet. Hier geht es nicht nur um Einleitung, Verfahrensgrundsätze, die Funktion und Organisation von Staatsanwaltschaft und Polizei, sondern auch um Beschuldigtenrechte, die Verteidigung und Zwangsmaßnahmen. Praxisrelevante Maßnahmen wie Sicherstellung, Beschlagnahme, vorläufige Fahrerlaubnisentziehung und Durchsuchung sind in diesem Zusammenhang dargestellt. Schließlich findet sich eine ausführliche Darstellung des Haftrechts. Die verschiedenen Arten des Verfahrensabschluss schließen sich dem an. Zudem haben sich die Autoren dafür entschieden, das eigentlich ein Sonderleben führende Klageerzwingungsverfahren in diesem Verfahrensabschnitt mit abzuhandeln. Dies erscheint angesichts der Funktion des Klageerzwingungsverfahrens durchaus sachgerecht.
Ein dritter großer Buchabschnitt befasst sich dann mit dem gerichtlichen Verfahren. Dies beginnt mit Fragen des Gerichtsaufbaus und der Zuständigkeit. Auch die Stellung von Schöffen wird dargestellt. Die Autoren befassen sich dann mit der Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen, den Prozessvoraussetzungen und der Frage, was zu tun ist, wenn Prozessvoraussetzungen fehlen. Weiter geht es mit Prozesshandlungen, den Zwischenverfahren und dem Hauptverfahren. Hier liegt ein klarer Schwerpunkt des Buches. Die Verfahrensprinzipien werden hier ebenso dargestellt, wie der Gang der Hauptverhandlung und die Beweisaufnahme. Insbesondere die Beweiserhebung, das Beweisantragsrecht und die Frage von Beweisverwertungsverboten werden in gebührender Ausführlichkeit dargestellt. Die Urteilsverkündung und hiermit zusammenhängende Fragen werden ebenso dargestellt, wenn auch deutlich kürzer. Der Tatbegriff und die Frage der Rechtskraft, die Hand in Hand gehen, sind dann in einem eigenen Paragrafen untergebracht.
Es schließen sich die besonderen Verfahrensarten an, wie etwa das Strafbefehlsverfahren, das Sicherungsverfahren oder das Privatklageverfahren. Schließlich wird in dem gerichtlichen Verfahren auch die Vollstreckung von Entscheidungen erörtert.
Im Vierten Buchabschnitt finden sich dann Darstellungen zu aller Art von Rechtsbehelfen. Grundbegriffe des Rechtsmittelrechts werden dabei vorangestellt. Sodann geht es um den Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren, Berufung, Revision, Beschwerde und Wiederaufnahme des Verfahrens. Im letzten Buchabschnitt ist das eingefügt, was üblicherweise ganz am Anfang derartiger Lehrbücher steht: Geschichtliche Fragen und Fragen der Europäisierung des Strafprozesses. Mir selbst gefällt gerade diese Positionierung des Abschnittes sehr gut, da er eigentlich nur zur Abrundung des Wissens da ist, jedoch nicht dem eigentlichen Lernen des Strafprozessrechts dient.
Wie immer bei derartigen Rezensionen lässt sich dem Leser durch Darstellung der inhaltlichen Buchschwerpunkte nur schwer mitteilen, wie gut oder wie schlecht das Buch tatsächlich ist, was es leistet und was nicht. Es macht daher Sinn, sich mit einzelnen Fragen zu befassen. Ich habe hier drei Themenbereiche besonders in den Blick genommen. Zunächst habe ich mich mit dem Haftrecht befasst. Dieses ist in § 9 des Buches dargestellt und zwar auf 19 Buchseiten. Nach einer kurzen Einführung zu den verschiedenen Haftarten wird der dringende Tatverdacht dargestellt, insbesondere auch in Abgrenzung zu anderen Verdachtsgraden. Die Darstellungen bleiben dabei recht theoretisch. Aus Praktikersicht würde ich mir wünschen, dass hier kurze Beispiele zur Abgrenzung gebildet werden. Schön wären also einige Fälle, in denen gleiche Lebenssachverhalte geringfügig abgewandelt so dargestellt werden, dass ein Student oder Referendar auch für sich den Unterschied etwa zwischen dem hinreichenden Tatverdacht und dem dringenden Tatverdacht ausmachen kann. Weiter geht es dann mit den Haftgründen, wobei auch hier wieder Beispielsfälle am Anfang der Darstellungen stehen, die später im Text aufgenommen und einer Lösung zugeführt werden.
Die sonstigen Darstellungen zu den Haftgründen entsprechen den auch schon aus anderen ähnlichen Darstellungen bekannten Üblichkeiten und sind gut gegliedert und mit aktueller weiterführender Literatur und Rechtsprechung belegt. An den weiteren Ausführungen etwa zur Verhältnismäßigkeit ist nichts zu erinnern. Den theoretischen Grundlagen der Voraussetzungen eines U-Haftbefehls folgen dann die Darstellungen zu dem Erlass des Haftbefehls, also der prozessualen Umsetzung. Form und Inhalt des Haftbefehls werden auch dargestellt. Ich selbst würde mir hier wünschen, dass zumindest ein Haftbefehlsformular oder ein Beispielshaftbefehl in den Text aufgenommen wird, damit die eigentlich guten und prägnanten Darstellungen insgesamt für nicht praxiserfahrene Leserinnen und Leser nicht im „luftleeren Raum“ bleiben. Die Darstellungen sind nämlich eigentlich ganz hervorragend, auch was die Vollstreckung des Haftbefehls, die Frage notwendiger Verteidigung oder der weiteren Überprüfung bzw. Aufhebung des Haftbefehls angeht. Schließlich wird auch die Aussetzung des Vollzugs nach § 116 dargestellt. Letztlich finden sich sogar noch einige Randnummern zu dem eigentlichen Vollzug der Untersuchungshaft. Diese Darstellungen sind insgesamt auch für erfahrene Praktiker durchaus lesenswert. Abgeschlossen werden sie durch ein Prüfungsschema für das Gutachten in einer Klausur.
Weiterhin habe ich mir das Beweisantragsrecht näher angeschaut. Dieses ist in § 22 des Buches auf 15 Seiten abgehandelt und damit in ausreichender Tiefe. Richtigerweise wird zunächst vom Beweisantragsrecht und der gerichtlichen Aufklärungspflicht als Grundbegriffe ausgegangen. Beweisantrag, Beweisermittlungsantrag, Beweisanregung und Beweiserbieten werden ebenso dargestellt wie Hilfs- und Eventualbeweisanträge. Auch diese Ausführungen sind für erfahrene Praktiker interessant zu lesen. Sodann wird die Beweisantragstellung an sich näher erörtert. Gleiches gilt für die Ablehnung von Beweisanträgen und die Gründe für die Ablehnung. Schließlich werden noch die präsenten Beweismittel abgehandelt. Auch hier ist mir klar, dass sicher nicht für jeden Problemkreis Muster oder Beispielstexte in das Buch aufgenommen werden können. Es würde aber durchaus Sinn machen, zumindest zwei oder drei kurze Beweisantragsmuster abzudrucken. Meines Erachtens lässt sich Strafprozessrecht auch hier nicht losgelöst von tatsächlichen Beispielen lernen.
Als dritten Themenkreis habe ich das Revisionsrecht angeschaut, welches in § 31 auf 17 Seiten Text dargestellt ist. Auch hier sind die Darstellungen auf hohem Niveau und entsprechend den Üblichkeiten klassischer Ausbildungsliteratur zum Strafprozessrecht. Es werden zunächst Zulässigkeitsfragen behandelt und dann Fragen der Begründetheit, wobei die Wechselwirkungen zwischen der Begründung mit Verfahrensrüge oder Sachrüge mit der Zulässigkeit der Revision auch gut verzahnt dargestellt werden. Natürlich werden auch die Revisionsgründe nach absoluten und relativen Gründen unterschieden. Typische Verfahrensrügen werden sodann in Rn. 29 ff. abgehandelt und beispielshaft dargestellt. Ähnlich sind die Darstellungen zur Sachrüge, wobei diese freilich kürzer bleiben konnten. Sehr gut an dem Buch gefällt mir dann noch die Darstellung der gerichtlichen Entscheidungsmöglichkeiten hinsichtlich der Revisionsentscheidung, die Darstellung der Möglichkeiten eines Nebenklägers, Revision einzulegen und schließlich auch die Problematik der Revisionserstreckung auf mit Verurteilte.
Was ist sonst noch an den Buch gut? Zunächst ist hier das gut gegliederte Inhaltsverzeichnis zu nennen. In den Texten ist es besonders angenehmen, dass klar und häufig untergliedert wurde, so dass es nur sehr wenige Buchseiten ergibt, die ohne größere Überschrift Unterbrechungen sind. In die Texte sind unzählige Fälle mit eingebracht, auf die dann in den jeweils nachfolgenden Darstellungen eingegangen wird. Zudem finden sich nach den einzelnen Abschnitten Wiederholung und Vertiefungsfragen, die jeweils die Randnummern angeben, unter denen die Lösungen nochmals nachgelesen werden können. Hierdurch es ist durchaus gut möglich, sein Wissen zu überprüfen. Zahlreiche Textfettungen ermöglichen ebenso wie zahlreiche ein schnelles Überfliegen des Textes und wiederfinden wichtiger Textpassagen.
Alles in allem handelt es sich bei dem Buch nicht nur um ein solches, das für die studentische Ausbildung taugt, sondern vielmehr auch um ein gutes Kompendium für Referendare und auch Praktiker, die sich systematisch mit Fragen des Strafprozessrechtes auseinandersetzen wollen oder müssen und nicht nur anhand eines Kommentars arbeiten wollen.