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Rezension: Der Kampf um die Weltordnung

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Herdegen, Der Kampf um die Weltordnung, 1. Auflage, C.H. Beck 2019

Von Dipl.-Jur. Julius Remmers, LL.M. (Edinburgh), Hamburg



Das vorliegende Rezensionsexemplar „Der Kampf um die Weltordnung“ vom Bonner Völkerrechtler Prof. Dr. Dr. h.c. Matthias Herdegen ist 2019 erschienen und behandelt ein Thema, das bisher sehr selten zu finden ist: internationale Beziehungen und Machtgefüge im Zusammenhang mit dem Völkerrecht. Etwas moderner und überspitzt ausgedrückt, könnte man es mit folgendem Slogan beschreiben: Politics meets public international law.

Die Verbindung zwischen der Politik und dem Völkerrecht nennt Herdegen„Macht und Recht“ (z.B. Kapitel I.). Deutlich wird, dass sich im Laufe der Jahrzehnte die Machtverhältnisse geändert haben und neue Wettstreitigkeiten entbrannt sind, angeführt von den USA, Russland und China.

Am Anfang des Buches formuliert Herdegen, worauf das Buch abzielt: „[...] unter diesen Bedingungen einer nationalen Interessenspolitik Grundzüge einer stabilen Friedensordnung im Einklang mit dem modernen Völkerrecht zu formulieren“ (S. 12). Dem Leser wird relativ schnell deutlich, dass hinter den Ausführungen von Herdegen fundiertes und gut recherchiertes Wissen steckt (als kleines Indiz sei auf die 626 Endnoten verwiesen, die sich dankenswerter Weise am Ende des Buches und nicht hinter den Sätzen oder am Ende der Seite befinden, sodass das Lesevergnügen nicht beeinträchtigt wird). Der Autor hat erreicht, ein Buch zu publizieren, dass nicht nur ansprechend und spannend ist, sondern auch einen akademischen Tiefgang hat. Diese Kombination ist selten und positiv hervorzuheben.

Das Buch gliedert sich in 13 Kapitel, namentlich „Die internationale Ordnung zwischen Macht und Recht“ (I.), „Der Kampf um Macht und nationale Interessen“ (II.), „Die Welt als Gemeinschaft: Kooperative und kosmopolitische Theorien internationaler Beziehung“ (III.), „Regeln und Grundwerte für die Staatenwelt: Elemente einer internationalen Ordnung“ (VI.), „Ordnungsvorstellungen und Rechtsfindung“ (V.), „Einhegung der Macht: Status und Gleichgewicht im Völkerrecht“ (VI.), „Der Kern der internationalen Ordnung: Sicherheit in der Staatenwelt und der ‚positive Frieden‘“ (VII.), „Schutz durch Staatengemeinschaft: Systeme kollektiver Sicherheit“ (VIII.), „Selbstverteidigung“ (IX.), „Waffengewalt für Menschenrechte: Humanitäre Intervention“ (X.), „Befriedigung durch internationale Gerichte“ (XI.), „Der Blick ins Innere der Staaten: Der Zusammenhang von innerer und äußerer Ordnung“ (XII.), und „Schlussbetrachtung: Macht und Recht in einer strategischen Verknüpfung“ (XIII.).

Das erste Kapitel beginnt mit einer verständlichen Erklärung zu völkerrechtlichen Verträgen, wie z.B. dem Aktionsplan zur Atomwaffenabrüstung des Irans (S. 28 f.). Allerdings hätten weiterführende Erklärungen dem Verständnis positiv beigetragen (Erklärungen zum „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ durch den Rückzug der USA, letzter Satz auf S. 29). Sehr gut herausgearbeitet ist, welcher Zusammenhang zwischen Interessensdurchsetzung von bestimmten Staaten und der Regelgebundenheit besteht (S. 33 ff.). Genauso gut sind die wissenschaftlichen Theorien zu internationalen und staatlichen Ordnungen dargestellt (z.B. Kants Ansicht zu internationalen Ordnungen, S. 40 f.). Zudem beinhaltet das Buch – auch didaktisch – gute Erklärungen zum Völkerrecht aus der Perspektive des Grundgesetzes und dazu passende Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen (S. 49 ff.). Diese Ausführungen dürften insbesondere für Jurastudenten, die sich mit Europa- und Verfassungsrecht beschäftigen, interessant sein. Die Aktualität des Buches wird an mehreren Stellen sehr deutlich, zum Beispiel anhand Trumps „America-First-Politik“ (S. 63).

Weiterhin ist die Darstellung der Privilegierung von mächtigen Staaten (Kapitel IV) sehr treffend. Mit Bezug auf den UN-Sicherheitsrat erklärt Herdegenin nachvollziehbarer Weise, inwiefern große Mächte den Sanktionsmechanismus der UN beeinflussen (S. 133). Seines Erachtens spiegelt sich das Machtgefüge auch in der nuklearen Abschreckung wider (S. 136 ff.).

Das Thema „Selbstverteidigung“ (Kapitel IX) dient als pars pro toto für die Darstellung des Buches. Zwar werden Staatstheoretiker ganz konventionell zitiert, wie Hobbes (S. 188). Jedoch lebt dieses Kapitel auch von vielen aktuellen Fällen. All dies setzt Herdegenin Verbindung mit der Völkerrechtslehre. Folgendes Beispiel verdeutlicht das Vorhergesagte: Der bewaffnete Angriff findet seinen Niederschlag unter anderem in der Anlage der UN-Resolution 2330 (XXII). Im dortigen Art. 3 über die Definition von Aggression (als Voraussetzung für einen Selbstverteidigungsfall) sind moderne „Cyber-Angriffe“ jedoch nicht gelistet. Diese werden von Herdegen rechtlich und politisch analysiert (S. 190). Die Aktualität des Buches zeigt sich beispielsweise auch darin, dass der Autor diskutiert, ob der Giftanschlag gegen den russischen Ex-Spion Sergej Skripal im Jahr 2018 einen bewaffneten Angriff im Sinne der UN-Resolution darstellt. Aber auch „ältere“ relevante Beispiele werden zum Thema „Selbstverteidigung“ genannt, wie die Terroranschläge vom 11. September 2001 (S. 192), Israels Präventivschlag im Sechstagekrieg 1967 (S. 193) oder das Problem der Rechtsfertigung möglicher Angriffe mit Massenvernichtungswaffen (S. 194).

Diejenigen Leser, die sich für internationale Gerichte interessieren, werden in Kapitel XI. (S. 207 ff.) findig, in dem nicht nur über den Internationalen Gerichtshof und Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, sondern auch über den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg und über mehrere Ad-hoc-Strafgerichtshöfe geschrieben wird.

Abgerundet wird das Buch mit einer Schlussbetrachtung (Kapitel XIII.), in der Herdegen die veränderten Rollen der USA, Deutschlands und anderen Ländern auf den Punkt bringt. Die zentrale Aussage „Macht und Recht verlangen eine Gesamtbetrachtung“ (S. 245) spiegelt das eigentliche Problem wider, dass das Völkerrecht relevant für die Politik einzelner Staaten und das moderne Machtgefüge ist.

Außerdem ist positiv anzumerken, dass sich zahlreiche Originalzitate, die sehr passend sind, wie ein roter Faden durch das Buch ziehen (z.B. Aussagen amerikanischer Politiker, S. 35, 194, 202 f.). Nur selten wäre wünschenswert gewesen, wenn Herdegen seine Ausführungen mit praktischen Beispielen ergänzt hätte (z.B. S. 21 UNSC).

Alles in allem bleibt festzustellen, dass das vorliegende Werk insbesondere allen Politikinteressierten, Völkerrechtlern und Philosophieinteressierten zu empfehlen ist. Die Geldbörse wird nicht sonderlich belastet, da der Verlag C.H.Beck mit einem Preis von nur 21,90 € ein inhaltlich sehr umfangreiches Buch herausgegeben hat.


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