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Rezension: Vertragliche Schuldverhältnisse

Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, 2. Auflage, Mohr Siebeck 2017

Von Dipl. iur. Andreas Seidel, Göttingen


Nachdem seit der Erstauflage aus dem Jahr 2013 nahezu jeder Vertragstypus eine rechtliche Neuerung erfahren hat, war die Zeit reif für die zweite Auflage dieses Werkes, das von Mohr Siebeck in der Reihe der Lehrbücher des Privatrechts geführt wird. Dabei muss jedoch der Eindruck vermieden werden, der Ordinarius für Bürgerliches Recht sowie Deutsches und Europäisches Handelsrecht an der Universität Mainz, Prof. Dr. Jürgen Oechsler, habe bloß auf ca. 200 Seiten die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Gebiet der vertraglichen Schuldverhältnisse dargestellt, wie es leider zu häufig in der Lehrbuchliteratur anzutreffen ist. Vielmehr lässt schon der Umfang von knapp 1100 Seiten hellhörig werden.

Ein großer Umfang ist jedoch nicht mit einer hohen Qualität gleichzusetzen. Gerne denkt man dabei an das berühmte Zitat, das je nach Quelle Voltaire, Goethe, Twain, Marx oder Pascal zugeschrieben wird: „Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich keine Zeit habe, einen kurzen zu schreiben.“ Jedem Juristen dürfte jedoch spätestens, seit dem er in seinen ersten Studientagen zum ersten Mal das Bürgerliche Gesetzbuch durchgeblättert hat, die Fülle des Regelungsgehalts des Rechts der vertraglichen Schuldverhältnisse bewusst sein. Dies wird auch mit Blick auf die zivilrechtlichen Großkommentare deutlich, wobei Oechsler keineswegs diesen Vergleich scheuen muss – gleichwohl eine andere Darstellungsart gewählt wurde.

Als monolithischer Ratgeber für die umfassende Behandlung vertraglicher Schuldverhältnisse kann dieses Werk jedoch nicht fungieren. Gemäß dem Titel beschränkt sich der Autor auf die vertraglichen Schuldverhältnisse, bespricht jedoch nur rudimentär den allgemeinen Teil des Schuldrechts. Selbstverständlich finden sich trotzdem immer wieder, wenn der allgemeine Teil durch die vertraglichen Schuldverhältnisse modifiziert wird oder wenn Regeln der §§ 241 ff. BGB für Einzelfragen des Besonderen Teils des Schuldrechts eine besondere Bedeutung spielen, Hinweise auf den allgemeinen Teil. Dies gilt insbesondere für die ausführliche Behandlung der Mängelgewährleistungsrechte, die die §§ 280 ff. BGB modifizieren (vgl. etwa Rn. 78 ff. für das Kaufrecht oder Rn. 1095 ff. für das Werkvertragsrecht). Auch ist das Verbraucherwiderrufsrecht in die Darstellung des Kaufvertrages integriert (Rn. 560 ff.). Hingegen findet sich keine Darstellung oder wenigstens Skizzierung der allgemeinen Grundsätze in der Einleitung. Vielmehr wird dort in das Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse eingeführt, die dogmatischen Grundlagen dargestellt, der Anwendungsbereich und die Funktion des Vertragsrechts besprochen und die Entwicklungen kurz umrissen. In einem derart großformatigen Werk über das Vertragsrecht war es darüber hinaus im Rahmen dessen auch möglich, links und rechts über den Tellerrand hinauszuschauen und etwa eine ökonomische Analyse (Rn. 37 ff.) zu wagen oder die Drittwirkung von Grundrechten im Vertragsrecht darzustellen (Rn. 44 ff.).

Das Format dieses Lehrbuches gibt die Möglichkeit, das Vertragsrecht äußerst umfassend darzustellen. Dabei lässt sich jedoch bezweifeln, ob derartig umfangreiche Werke tatsächlich genutzt werden, um sich auf Scheine oder die juristischen Examina vorzubereiten. Zu Fragen bliebe auch, ob die umfassende Auseinandersetzung mit einzelnen Rechtsgebieten in dieser Problemtiefe zur Klausurvorbereitung überhaupt zielführend ist. Lediglich wenn die Darstellung anderer Lehrbücher in Teilbereichen zu „dünn“ wird, ist wohl anzunehmen, dass die Masse der Studenten auf derartig vertiefte Lehrbücher zurückgreifen wird. Auch kann die Deutung des Zwecks dieses Werkes in ein Handbuch aufgrund zuweilen unzureichender Verweise, die häufig nur ergänzender Natur sind, nicht überzeugen. Das daraus entstehende Nischendasein ist jedoch vor dem Hintergrund der äußerst fundierten Analyse zu bedauern. Oechslervermag es, die Zusammenhänge der unterschiedlichen vertraglichen Schuldverhältnisse überzeugend darzustellen, stets auch mit Blick auf die europarechtlichen Implikationen, die insbesondere durch die Vollharmonisierung einen immer stärker werdenden Einfluss auf das Zivilrecht und hier vor allem auf das Verbraucherschutzrecht gewinnen (Oechslerspricht insofern von einem Paradigmenwechsel, Rn. 36a).

Dabei dürfen die obigen Bemerkungen jedoch nicht als Kritik missverstanden werden. Vielmehr soll nur die Frage des Anwendungsbereichs eines derart umfangreichen Lehrbuches aufgeworfen werden. Abseits hiervon zeichnet sich jedoch der Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse durch eine exzellente Darstellung aus, die – um die obige Frage zu beantworten – kaum hätte kürzer gefasst werden können, ohne die Problemtiefe zu beschneiden. Tatsächlich lässt sich eher an Stellen wie dem operativen Leasing (Rn. 751), das nur skizziert wurde, oder der fehlenden Behandlung des Rechts der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB), das Gegenteil behaupten.

Somit bleibt schlussendlich zu konstatieren, dass erstens die vorliegende Darstellung auf herausragende Weise das Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse darlegt und zweitens, dass jetzt schon mit Spannung auf die dritte Auflage gewartet werden darf, die hoffentlich noch umfassendere Erläuterung enthalten wird. Hierdurch bliebe wohl auch nicht zu befürchten, dass der Anwendungsbereich dieses Werkes noch weiter verengt wird, es ließe sich vielmehr überlegen, die Gesamtkonzeption in Richtung eines umfangreichen Nachschlagewerkes zu entwickeln, wobei der Grundstein hierzu aufgrund des detaillierten Inhaltsverzeichnisses (S. XI ff.) sowie des umfangreichen und gut sortierten Paragrafen- und Stichwortverzeichnisses (S. 1093 ff., 1100 ff.) bereits jetzt gelegt ist.

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