Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Auflage, Vahlen 2017
Von RA Dr. Sebastian Braun, Leipzig.
Das Wirtschaftsstrafrecht ist ein Bereich, der sich aus vielen verschiedenen normativen Grundlagen zusammensetzt. Dabei stehen allgemeine und fachgebietsübergreifende Grundsätze ebenso im Fokus wie besondere Straftatbestände, die jedoch oftmals über den Pflichtfachstoff der juristischen Ausbildung hinausgehen. Wer an der Universität dahingehend eine Vertiefung wünscht, wird sich meist im strafrechtlichen Schwerpunktbereich wiederfinden. Dort wird oftmals eine Vorlesung zum Wirtschaftsstrafrecht angeboten, die dazu dienen soll, sich im Dickicht dieses Rechtsgebietes zu orientieren. Selbiges ist seit jeher das Ziel des Lehrbuches von Klaus Tiedemann, em. Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, das sich längst als Klassiker der wirtschaftsstrafrechtlichen (Ausbildungs)-Literatur etabliert hat und nunmehr in 5. Auflage erschienen ist.
Die elementarste Neuerung gegenüber der Vorauflage erschließt sich dem Leser sofort. Sie liegt darin, dass die bislang auf 2 Bände vorgenommene Aufspaltung in das allgemeine und besondere Wirtschaftsstrafrecht aufgegeben worden ist und man diese zwei Teile nun zusammengeführt vorfindet. Das erleichtert die Arbeit am Werk erheblich. Auch Tiedemann betont, dass der Allgemeine Teil des Wirtschaftsstrafrechts ohne Bezugnahme auf den Besonderen Teil kaum darstellbar ist. Indem man all dies nun in einem Buch zur Hand hat, lässt sich eine effektivere Erarbeitung der Materie erreichen, da schneller auf die einschlägige Randnummer geblättert und somit eine auftretende Verständnislücke unmittelbar geschlossen werden kann.
Zum Allgemeinen Teil gehören klassische Aufhänger wie die historische Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, dessen Rechtsquellen, aber auch die in § 5 breit dargestellte Tatbestandslehre. In diesem Abschnitt wird der Leser bezüglich der im Wirtschaftsstrafrecht vorzufindenden Verweisungstechnik und hinsichtlich der Blankettstrafgesetzgebung geschult. Es wird dabei thematisiert, welches Ziel sich hinter einer solchen Regulierungsmethodik verbirgt und eine Abgrenzung der Blankette von normativen Tatbestandsmerkmalen vorgenommen. Auch wenn in diesem Part Vorkenntnisse zum besseren Verständnis beitragen würden bzw. von Nutzen wären, lässt sich die Darstellung dennoch flüssig lesen und durch Rückgriff auf Beiträge aus der Ausbildungsliteratur ergänzen, die im Werk durchgehend hervorragend ausgewertet wurde und in den Fußnoten bzw. einzelnen Lektüreblöcken dargestellt ist. Im weiteren Verlauf des Allgemeinen Teils wird man sowohl über wirtschaftsstrafrechtliche Besonderheiten der Rechtfertigung- und Irrtumslehre als auch über Täterschaft und Teilnahme informiert. Jene Teile dürften selbst für denjenigen von Interesse sein, der an sich keine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftsstrafrecht sucht. Dies beruht auf dem Umstand, dass sich die dabei von Tiedemann gesetzten Schwerpunkte von den Darstellungen in allgemeinen Strafrecht AT Lehrbüchern abheben. Gerade diese Facetten können dazu beitragen, das Gesamtverständnis auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts zu erhöhen.
Den Übergang zwischen Allgemeinem und Besonderem Teil bereiten § 13 und § 14 des Lehrbuches vor. In ersterem wird das Verhältnis dieser Bereiche knapp beleuchtet. In letzterem widmet sich der Autor den allgemeinen Wirtschaftsstraftatbeständen des StGB, wie z.B. dem Betrug nach § 263 StGB oder der Untreue gemäß § 266 StGB. Die Darstellungen sind jedoch sehr spezifisch auf das Wirtschaftsstrafrecht zugeschnitten und setzen Grundlagenkenntnisse zu diesen klassischen Delikten voraus. Nachdem der Leser in § 15 eine alphabetische Übersicht über das besondere Wirtschaftsstrafrecht erhalten hat, werden im Folgenden sämtliche relevanten Tatbestände behandelt. Dabei werden das Strafrecht der öffentlichen Finanzwirtschaft, das Wettbewerbsstrafrecht oder auch das reformierte Korruptionsstrafrecht ebenso wenig ausgespart wie das Preis- und Wucherstrafrecht, die Insolvenzstraftaten oder das Arbeitsstrafrecht.
Im Buch sind zur Verdeutlichung der behandelten Rechtsfragen insgesamt 68 Beispielsfälle platziert, die in einem optisch hervorgehobenen Textblock vorgestellt und mit dem Stoff verwoben werden. Dies ermöglicht es, einen konkreten Zugang auch zu den sehr speziellen Materien – gedacht sei z.B. an das Lebensmittelstrafrecht – zu erhalten.
Fazit: Das Wirtschaftsstrafrecht stellt ein Geflecht verschiedener Rechtsbereiche dar, deren Systematisierung ein komplexes Unterfangen darstellt. Das Jahr 2017 ist in diesem Bereich vom Erscheinen großer Kommentare geprägt – z.B. dem sehr gelungenen Werk von Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis. Im Bereich der Ausbildungsliteratur reiht sich die Neuauflage von Tiedemann auf prägnante Art und Weise ein und kann daher jedem Kandidaten des Schwerpunktbereiches Strafrecht zur Lektüre empfohlen werden. Aber auch für den Praktiker, der sich dieses große Rechtsgebiet erarbeiten will, lohnt es, den Tiedemann zur Hand zu nehmen.