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Rezension Zivilrecht: GVG

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Kissel / Mayer, GVG, 7. Auflage, C.H. Beck 2013

Von RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl

 
Das GVG ist in der täglichen, vor allem gerichtlichen Praxis ständiger Begleiter und manchmal auch Problembereiter. Oftmals ist es so, dass das GVG in Auszügen en passant in anderen Kommentaren mitbearbeitet wird, dann aber jeweils nur in den thematisch passenden Bezügen; aber nur wenige Kommentare ermöglichen es dem Leser, sich mit dem GVG als Ganzem zu beschäftigen. Das vorliegende Werk von Kisselund Mayer ist ohne Zweifel einer der maßgebenden Kommentare zum GVG und bietet einen umfassenden Blick auf das Kernstück der deutschen Gerichtsverfassung inklusive aller betroffenen Rechtsgebiete.

Dabei wirkt sich der Umfang der Darstellung zu keinem Zeitpunkt zulasten der Detaildichte aus. Neben nahezu lehrbuchähnlichen Passagen wie zu den Neuregelungen in den §§ 198 ff. GVG zur unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens, zu den Rechtsbehelfen gem. § 23 EGGVG, zum Familiengericht in § 23b GVG oder ganz allgemein zur Bindung des Richters an Recht und Gesetz (§ 1, Rn. 110 ff.) kommen an zahlreichen anderen Stellen viele Einzelheiten zur Sprache, die dem Leser die jeweilige Thematik exakt nahebringen und ihn auf Feinheiten aufmerksam machen. Exemplarisch zu sehen ist dies etwa bei der Anordnung von Ordnungsmitteln, § 178 GVG, wenn die möglichen Arten der Ungebühr durch Verfahrensbeteiligte nach Stichworten präsentiert und in den Kontext der bisherigen Rechtsprechung gebracht werden (§ 178, Rn. 11 ff.). Ebenso zu nennen ist aber auch das gesamte Prozedere der Schöffenwahl, das in zeitlichem, sachlichem und personellem Umfang akribisch nachgezeichnet wird, bis hin zu den Details des späteren Auslosungsvorgangs der Hauptschöffen in öffentlicher Sitzung (§ 45, Rn. 7 ff.). Selbst Massengeschäfte des Alltags finden in der Darstellung hinreichende Beachtung, so zu sehen für die Akteneinsicht in den verschiedenen Gerichtszweigen (§ 12, Rn. 108 ff.).

Klassische Problemfelder, die bereits Gegenstand der juristischen Ausbildung sind, werden auch in diesem praxisorientierten Kommentar ganz selbstverständlich präzise abgehandelt und mögliche Streitfragen aufgegriffen. Hier zu nennen sind die Erläuterungen zur Abgrenzung der einzelnen Gerichtsbarkeiten (§ 13, Rn. 92 ff.) einschließlich der Besonderheiten der kirchlichen Angelegenheiten (§ 13, Rn. 200 ff.), aber auch die Zuweisung von Rechtsstreitigkeiten über Wohnraum an die Amtsgerichte (§ 23, Rn. 18 ff.) und natürlich der Öffentlichkeitsgrundsatz, § 169 GVG, mit all seinen Verästelungen, darunter die Zulässigkeit von Ton- und Fernsehaufnahmen oder das Verhältnis zur EMRK.

Daneben stehen die (internen) Probleme der Gerichtsbarkeit, die bei fehlerhafter Handhabung natürlich auch Auswirkungen auf die zu führenden Prozesse und die anderen Prozessbeteiligten haben können. Dass wie hier die allgemeinen und besonderen Fragen der Geschäftsverteilung (§ 21e, Rn. 78 ff.) oder der Vertretung (§ 21e, Rn. 140 ff.) innerhalb eines Gerichts so pragmatisch und detailgenau wiedergegeben werden, ist vorbildlich.

Gleichermaßen greifen die Autoren aber auch Entwicklungen auf und unterziehen diese ggf. einer kritischen Würdigung, etwa die Reform der Justiz (Einleitung, Rn. 124 ff.) oder auch die richterliche Selbstverwaltung (§ 1, Rn. 32 ff.; § 12, Rn. 92). Gerade solche Ausführungen zeigen die Lebendigkeit der nur scheinbar normstarren Judikative.

Wann auch immer sich das GVG im gerichtlichen Alltag als gedankliche Hürde zeigt: mit diesem Werk hat man nicht nur einen kompetenten, sondern auch instruktiv geschriebenen Helfer an der Hand. Die Lektüre sorgt dabei neben der Problemlösung nicht nur für das nötige Verständnis und einen effektiven Wissenszuwachs, sondern - und das macht die Arbeit mit dem Werk sogar zum Vergnügen - auch dafür, dass man sich, durchaus mit einer gewissen kritischen Distanz, mit dem Berufsstand des Richters auseinander setzt und das eigene Handeln hinterfragt. Ein beeindruckender Kommentar.

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