Bockemühl, Handbuch Strafrecht, 9. Auflage, Carl Heymanns 2024
Von
RiAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl
Das
früher unter der Bezeichnung „Handbuch des Fachanwalts Strafrecht“ bekannte
Werk hat inzwischen eine stolze neunte Auflage erreicht und erscheint
regelmäßig mit aktualisierten Informationen. Die Umfirmierung zeigt, dass die
frühere Einengung auf die Zielgruppe der Anwaltschaft nun auch im Titel aufgegeben
wurde und stattdessen alle Rechtsanwender im Bereich des Strafrechts adressiert
werden sollen. Das war zwar auch schon vorher der Fall, da das Handbuch in
Besprechungen stets als auch für Richter, Staatsanwälte, Behörden oder
Pressemitarbeiter geeignet eingestuft wurde. Dennoch erlaubt dies den Autoren,
ihre Ausführungen Stück für Stück mit einem weiteren Fokus als bisher zu
präsentieren. Auf inzwischen beinahe 2200 Seiten inklusive der Verzeichnisse
werden Haupt-, Teil- und Randgebiete des Strafrechts beleuchtet. Es hat
zeitbedingt wieder Wechsel im Autorenteam gegeben, jedoch ist die Mischung
weiterhin sehr ausgewogen und vereint Rechtsanwälte, Richter, Professoren und
Praktiker aus strafrechtsnahen Bereichen.
Insgesamt
45 Kapitel harren der Lektüre. Die Ausführungen beginnen mit der Beschreibung
der Tätigkeit des Strafverteidigers an sich, wozu auch Gedanken zur
Strafbarkeit und zur Haftung des Rechtsanwalts gehören. Klassisch folgen sodann
Kapitel zu Ermittlungs-, Zwischen und Hauptverfahren, wobei der Hauptverhandlung
naturgemäß ein sehr umfangreicher Abschnitt vorbehalten wurde. Sehr schön
unterschieden wird dabei zwischen aktivem und reaktivem Verhalten des
Verteidigers in bestimmten Situationen. Weitere Kapitel widmen ihre Aufmerksamkeit
den Zwangsmaßnahmen gegen den Beschuldigten sowie der Untersuchungshaft, wobei letztgenanntes
Kapitel sogar nach Stichworten sortiert ist, um der Fülle der Informationen
Herr zu werden. Kleinere Abschnitte betreffen dann Strafbefehlsverfahren und
beschleunigtes Verfahren, bevor alsdann die Rechtsmittel zur Sprache kommen.
Dabei wird die Berufung eher kurz gestreift, leider wird sogar der § 32d StPO bei der Frage der formgerechten Einlegung der Berufung völlig vergessen zu erwähnen. Die Revision wird dahingegen sehr umfangreich
erläutert, wiederum mit der Nutzung von alphabetischer Sortierung wichtiger
Rügevarianten. Nach einem Ausflug in das Wiederaufnahmeverfahren mit zwei
kleinen Kapiteln erhält dann die Strafvollstreckung ihrer hohen Bedeutung gemäß
gleich mehrere Abschnitte, wobei insbesondere den Einziehungsentscheidungen,
die für die wirtschaftliche Situation des Verurteilten erhebliche Bedeutung
haben können, ein eigenes Kapitel gewährt wird.
Im
fünften Abschnitt des Buches wird der Fokus dann auf thematisch spezifizierte
Verfahren gelegt, um deren Besonderheiten für die Strafverteidigung herauszuheben.
Dazu gehören bspw. Btm-Verfahren, das Steuerstrafrecht oder
Jugendstrafverfahren. Mit dem Kapitel zu Verkehrsstrafsachen und
Verkehrsordnungswidrigkeiten bin ich wie schon bei den Vorauflagen nicht
zufrieden, gerade was die Aktualität der Ausführungen und Fundstellen und
manche systematische Komponente angeht. Dies rührt natürlich aus meinem
besonderen Interesse an den beiden Rechtsgebieten her, mindert aber den guten Gesamteindruck
des Werks nicht bedeutend, sodass ich die Kritik hier nicht im Detail ausführen
werde. Tatsächlich schade ist es, dass aufgrund des Redaktionsschlusses das KCanG
nicht mehr zur Gänze aufgenommen werden konnte (gar nicht im Kapitel zum
Verkehrsrecht, immerhin als Entwurf im Kapitel zum Btm-Verfahren). Da hoffen
wir dann für die 10. Auflage auf erhellende Erläuterungen.
Sodann
wird die Perspektive gewechselt und der Rechtsanwalt wird als Vertreter des
Verletzten oder eines Zeugen präsentiert. Dazu gehören dann Kapitel zu Klageerzwingungsverfahren,
zur Nebenklage, zur Adhäsion oder zum Zeugenbeistand. Dabei kommen dann auch
ganz praktische Fragen zur Sprache, etwa ob man als Vertreter des Zeugen Robe
tragen sollte oder gar muss oder wer die Kosten der Beiordnung zu tragen haben
wird. Leider konnte ich zur psychosozialen Prozessbegleitung keine Ausführungen
oder Nennungen im Stichwortverzeichnis finden. Hier wären ein oder zwei Abschnitte
sicherlich wünschenswert für die Folgeauflage.
Im
Folgenden werden dann Themen aufbereitet, die in allen Instanzen des Strafprozesses
von Bedeutung sein können. Dazu gehören vor allem Vernehmungssituationen, die
Lehre vom Beweisverbot und dessen tatsächliche Umsetzung in der Praxis, die Verständigung
im Verfahren oder auch das Entdecken eines Strafklageverbrauchs. Hinzu kommen
ganz klassische Strafzumessungsfragen, darunter auch die Auswirkung eines Täter-Opfer-Ausgleichs,
die Bedeutung geleisteter Aufklärungshilfe oder der Umstand der ausländischen
Staatsangehörigkeit eines Angeklagten.
Ein
eigener Abschnitt befasst die Rechtsanwender mit dem Sachverständigenwesen,
darunter der rechtliche Kontext im Strafprozess und einzelne Disziplinen wie
die forensische Psychiatrie oder die Aussagepsychologie. Leider immer bedeutsamer
für Strafverteidiger ist das Auge für die mediale Auswirkung des Prozesses für den
Mandanten, sodass der zugehörige Abschnitt wahrlich Pflichtlektüre für alle
Prozessbeteiligten sein sollte. Dass man – wie ich – mit dem Stil der Bearbeiterin
nicht warm wird und es auch zu ihrer aktiven Zeit als Gerichtsreporterin nie
geworden ist, soll jedoch nicht die Wichtigkeit der Thematik kleinhalten. Den
Schlusspunkt setzt, wie könnte es anders sein, der Abschnitt zu Kosten des
Verfahrens und zu der Vergütung des Verteidigers. Dass das mahnende letzte Kapitel
die Folgen falscher Abrechnung aufzeigt, ist ein gutes Beispiel, wie umsichtig das
Handbuch zusammengestellt wurde und den Strafverteidiger eben nicht als Retter
des unschuldigen Mandanten glorifiziert, sondern von Anfang bis Ende auf die
Anforderungen und Risiken der Tätigkeit als Strafverteidiger in unzähligen
Facetten hinweist.
Dass
das Handbuch wie eingangs erwähnt neuerdings damit beworben wird, dass es sich nunmehr
an alle Rechtsanwender richte, ist nur bedingt richtig. Denn dieses Attribut hatte
es schon zuvor. Natürlich müssen auch Richter und Staatsanwälte verstehen, was
Verteidiger zu tun haben und wie sie es im Verfahren tun können. Die StPO ist
kein Kuschelkindergarten, sondern dient in den vorgegebenen Bahnen der
Rechtsfindung im Strafprozess. Da haben Eitelkeiten nichts zu suchen, sondern
die Beteiligten sind alle mit eigener Zielsetzung und Motivation an die
Vorgaben des Rechts gebunden. Handbücher wie das vorliegende helfen enorm
dabei, diese verschiedenen Motivationen, Herangehensweisen und Handlungsoptionen
nicht nur zu erkennen, sondern auch zu verstehen. So kann Rechtswissen
geschaffen, aber auch das Gespür für taktisches Vorgehen verbessert werden.
Auch in der neuen Auflage ist dieses „Handbuch Strafrecht“ ein verlässlicher
und empfehlenswerter Begleiter im strafprozessualen Alltag.