Kamann / Ohlhoff / Völcker, Handbuch Kartellverfahren und Kartellprozess, 2. Auflage C.H. Beck 2024
Von
RA Dr. Peter Gussone, Berlin
Das
2017 erstmals erschienene Handbuch hat einen qualitativen Standard gesetzt, den
es mit der Ende 2024 veröffentlichten 2. Auflage noch ausgebaut hat. Seit
der Erstauflage sind drei (sic!) GWB-Novellen erarbeitet worden und in Kraft
getreten. Das Handbuch ist auf dem Stand der letzten, 11. GWB-Novelle, die
im November 2023 Rechtswirklichkeit geworden ist. Respekt gilt den Herausgebern
und Autoren des Handbuchs, diese so umfassend und schnell eingearbeitet zu
haben. Weil die 12. GWB-Novelle fast schon in Sicht ist, werden
möglicherweise weniger als 7 Jahre bis zur 3. Auflage vergehen.
Ein
ganz wesentlicher Schwerpunkt des Werkes ist das Kartellschadensersatzrecht.
Dieser Bereich hat sich seit der Erstauflage doch erheblich und dynamisch entwickelt.
Der 3. Teil des Handbuchs zum „Kartellprozess“ nimmt diese Entwicklungen auf.
Er ist im Ganzen neu strukturiert und überarbeitet worden.
Neben
dem deutschen ist auch der europäische Gesetzgeber nicht untätig gewesen. Wegen
der Schnittstellen und Abgrenzungen zum Kartellrecht, z.B. § 19a GWB, ist
hier der sog. Digital Markets Act (DMA) besonders hervorzuheben. Die
Erläuterung zum DMA in § 16 kommen nunmehr aus berufenem Munde in Person
des Referatsleiters für Wettbewerbspolitik im Bundesministerium für Wirtschaft
und Klimaschutz. Auch dies wird ein Grund für den nicht unerheblichen Zuwachs
der zweiten Auflage um gut 300 Seiten sein.
Das
Handbuch gliedert sich in 4. Hauptabschnitte. Im 1. Teil leitet
Mitherausgeber Kamann allgemein in das Kartellrecht, seine Hintergründe und die
Ideen seiner Anwendbarkeit ein. Weiterhin zu kurz geraten scheint dabei
§ 5 zur politischen und ökonomischen Theorie und Diskussion der
Durchsetzung des Kartellrechts. Auch für den reinen Praktiker ist das Wissen um
die theoretischen Grundlagen des (deutschen/europäischen) Kartellrechts, das
ideengeschichtliche Fundament von Relevanz. Wahrscheinlich wird in dem an der
praktischen Anwendung orientieren Handbuch schlicht der Platz für tiefergehende
Ausführungen gefehlt haben.
Der
gut 700 Seiten lange zweite Teil widmet sich den Einzelheiten des
Kartellverfahrens in der EU als auch in Deutschland. Er betrifft also in erster
Linie die Unternehmen, die sich kartellbehördlichen Untersuchungen ausgesetzt
sehen. Sowohl der Einsteiger in der Rechtsabteilung oder Anwaltskanzlei als
auch die erfahrenen Kollegen finden hier reichlich Input zu allen relevanten
Aspekten des Kartellverfahrens – vom Beginn der Untersuchung (häufig durch sog.
Dawn Raids, s. hierzu die § 8, § 18 und § 19) – bis hin zum
Rechtsschutz vor den zuständigen Gerichten. Wichtige Änderungen, etwa die in
§ 81a GWB neusortierten Regelungen zur Haftung und Rechtsnachfolgen von Unternehmen
werden verständlich in der gebotenen Kürze dargestellt. Hier wie durchgehend in
allen Kapiteln helfen die im Fettdruck hervorgehobenen Schlagwörter und
Leitformulierungen für die Orientierung. Nur an mancher Stelle hätte man sich
eine kleinteiligere Gliederung anstelle von mehre Seiten abdeckenden
Ausführungen gewünscht, bei denen dann der Fettdruck nicht mehr ausreichend
ist.
Der
mit knapp 800 Seiten noch etwas längere Abschnitt zum Kartellprozess im
3. Teil des Handbuchs enthält in seinem 2. Abschnitt die wichtigen
Ausführungen zum Kartellschadenersatzprozess. Nur am Rande sei angemerkt, dass
die Gesamtüberschrift des 3. Teils auch gut „Private
Kartellrechtsdurchsetzung“ lauten könnte, dann nur darum geht es in diesem
Bereich. Der Kartellprozess im Sinne des Rechtmittels sanktionierter
Unternehmen findet sich ausschließlich im 2. Teil beschrieben.
Die
private Kartellrechtssetzung hat sich in Deutschland, aber auch in Europa seit
dem auch heute noch gültigen Urteil des BGH in Sachen Orwi aus dem Jahr
2011 (hierzu Abschnitt C in § 27), enorm entwickelt. Legislativ ist
vor allem die europäische Schadensersatz-Richtlinie aus 2014 zu nennen, die in
den Mitgliedsstaaten bis Ende 2016 umzusetzen war. Die hier für den privaten
Kartellprozess eingeführten Regelungen, z.B. die widerlegliche Vermutung, dass
bestimmte Kartelle einen Schaden verursachen, haben in der Praxis noch keine
Relevanz entfaltet. Die bislang aufgedeckten Kartelle fallen schlicht temporal
noch aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie heraus. Hier gelten die bisherigen
Regelungen des GWB weiter, die gleichwohl durch die Rechtsprechung derzeit
weiterentwickelt werden.
Nur
dem in der Materie bewanderten Leser wird dabei auffallen, dass die
kommentierenden Rechtsanwälte manche Problembereiche des geltenden Rechts in
ihrem Sinne darstellen. Im Kartellschadenersatzrecht lässt sich durchaus eine
Trennung der Anwaltschaft in Kläger- und Beklagtenvertreter feststellen. So ist
beispielsweise die Feststellung, dass bei Verstößen gegen das
Rechtsdienstleistungsgesetz von der Nichtigkeit der Abtretungen im sog.
Abtretungsmodell oder Sammelklageninkasso auszugehen ist (§ 28,
Rn. 21), zu verkürzt und erwähnt die anderslautende Auffassung, etwa des
Landgerichts Dortmund, nicht.
Sehr
schön lesen sich für Juristen, die zum wesentlichen Adressatenkreis des
Handbuchs zählen, die Erklärungen der ökonomischen Grundlagen der
Schadensberechnung in § 32. Wer endlich einmal, jedenfalls in den
Grundzügen, die ökonometrischen Methoden als Jurist durchdringen möchte, ist
hier richtig aufgehoben. Dieser Bereich ist in der Praxis immer wichtiger und
vielfach zum Hauptproblem der Kartellschadensersatzprozesse geworden: Wie
erkläre ich dem jedenfalls in Deutschland nur mit Juristen besetzten
Spruchkörper, welcher Schaden auf den kartellierten und benachbarten Märkten
entstanden ist? An dieser Stelle ist vieles derzeit im Fluss und die meisten deutschen
Gerichte scheinen noch überfordert mit einer ökonomischen Beweisaufnahme.
Das
Handbuch von Kamann/Ohlhoff/Völcker wird seine Alleinstellung aufgrund der auch
in der 2. Auflage vorhandenen Exzellenz behalten. Das teilweise
konkurrierende, ebenfalls im Beck Verlag erschienene Handbuch zur Privaten
Kartellrechtsdurchsetzung ist noch auf dem Stand von 2019.