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Rezension Zivilrecht: Kindesanhörung im Familienrecht

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Carl / Clauß / Karle: Kindesanhörung im Familienrecht, 1. Auflage, C.H.Beck 2015

Von Dr. Torsten Obermann, RAG, Münster



Das Buch richtet sich in erster Linie an Familienrichter, ist jedoch auch für andere Berufsgruppen, die mit Kindesanhörungen zu tun haben, durchaus von Interesse. Hier ist vor allem an Verfahrensbeistände zu denken, zudem an die Mitarbeiter der Jugendämter.

Angesichts der anhaltenden Kritik an der Abhängigkeit der Familiengerichte von psychologischen Sachverständigen erscheint die Kindesanhörung als die zentrale Möglichkeit des Gerichts, sich selbst aus erster Hand Kenntnisse von der Persönlichkeit des Kindes als der Hauptperson des Familienverfahrens zu verschaffen. Nur diese Kenntnisse ermöglichen es dem Gericht, die Plausibilität von Gutachten zu überprüfen. Auch stärkt der persönliche Kontakt zum Kind die Stellung des Richters gegenüber den Eltern in Einigungsgesprächen. Gleichzeitig ist die Kindesanhörung für viele Richter und (häufig ebenfalls juristisch ausgebildete) Verfahrensbeistände auch ein mit Unsicherheiten belasteter Verfahrensabschnitt. Insbesondere besteht die Sorge, dass man Angaben falsch oder überinterpretiert und das Kind durch die Anhörung weiter belastet. Die Angst vor Fehlern kann dazu führen, dass die Anhörung nach Möglichkeit ganz vermieden oder als notwendiges Pflichtprogramm abgearbeitet wird und so das in ihr liegende Potenzial nicht ausgeschöpft wird. An dieser Stelle bietet  das vorliegende Werk eine praktische Hilfestellung an.

Dabei verfolgt es durchaus einen kreativen Ansatz. Bereits die Gliederung ist ungewöhnlich. Die Arbeit beginnt mit zwei Kapiteln zu den rechtlichen und psychologischen Grundlagen der Kindesanhörung. In diesem ersten Teil hat das Werk den Charakter eines Kurzlehrbuchs. Großer Wert wird auf Lesbarkeit und Aktualität der wissenschaftlichen Darstellung gelegt. Für den Familienrechtler ist diese verzahnte Darstellung rechts-, natur- und sozialwissenschaftlicher Grundlagen für das Verständnis der Zusammenhänge äußerst hilfreich. Für die hohe wissenschaftliche Qualität ist durch die Beteiligung erfahrener Autoren aus Justiz, Psychologie und Psychiatrie gesorgt, die die einschlägige Literatur aktuell und kompetent auswerten. Dabei legen die Bearbeiter stets ein Augenmerk auf die Praxisnähe ihrer Ausführungen. So gelingt im Rahmen dieses Einführungsteils eine gedrängte Darstellung auf gut 100 Seiten. Das Werk insgesamt umfasst 275 Seiten, die durch ausführliche Inhalts-, Stichwort- und Literaturverzeichnisse, Überschriften und Randnummern zudem übersichtlich gegliedert sind. Einen informativen Blick über den Tellerrand des deutschen Rechts bieten die abschließenden Kapitel zum schweizerischen und österreichischem Recht.

Das Kernstück des Werkes bilden jedoch die Kapitel 4 und 5, in denen im Stil eines Handbuchs äußerer Rahmen und Inhalte der Kindesanhörung geschildert werden. Hier werden unter gleichzeitiger Berücksichtigung der rechtlichen sowie der psychologischen Voraussetzungen praktische Vorschläge unterbreitet und begründet, mit denen Praktiker sich auf eine Kindesanhörung in den verschiedensten Konstellationen ohne großen Aufwand so vorbereiten können, dass die Kinder entlastet werden und die Anhörung einen Gewinn für das Verfahren bringen kann. Drucktechnisch hervorgehobene Beispiele, Formulierungsvorschläge, Checklisten und Tabellen garantieren einen hohen praktischen Gewinn. Auf Besonderheiten der einzelnen rechtlichen Fragestellungen – z.B. Umgang oder Sorge, aber auch Adoption und Unterbringung – wird ebenso Rücksicht genommen wie auf Altersgruppen und Besonderheiten der Kinder.

Die Verquickung von Elementen des Lehr- sowie des Handbuchs mag zwar zu einigen Wiederholungen führen, bietet jedoch den unschätzbaren Vorteil, dass beide Abschnitte des Werks unabhängig voneinander benutzt werden können. Während die zusammenhängende Lektüre des Einführungsteils den Praktiker mit dem erforderlichen Grundwissen ausstattet, ermöglicht der Handbuchteil des Werks ein zielgerichtetes Nachschlagen zur Vorbereitung auf beinahe jeden erdenklichen Fall.

Abgerundet wird das Werk von Vorschlägen für die richterliche Fortbildung sowie von Informationsmaterial und Arbeitshilfen für die Praxis. Liest man z.B. die von den gängigen EDV-Programmen produzierten Ladungsschreiben, kann man sich vorstellen, dass diese nicht geeignet sind, Ängste und Vorbehalte von Kindern und Eltern gegenüber der gerichtlichen Anhörung abzubauen. Für derartige praktische Probleme werden Alternativen vorgeschlagen.
Das gerichtliche Verfahren hat sich insgesamt am Kindeswohl zu orientieren. Dies gilt insbesondere dort, wo der Richter mit dem Kind selbst in Kontakt tritt, in der Anhörung. Oft genug ist diese Situation für beide Beteiligte spannungsgeladen und es obliegt dem Richter als dem Erwachsenen, die Situation für das Kind zu erleichtern. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe, auf die ihn seine Ausbildung nicht vorbereitet, findet er wertvolle Unterstützung in dem vorliegenden Buch.



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