Anders / Gehle, Das Assessorexamen im Zivilrecht, 12. Auflage, Vahlen 2015
Von Rechtsreferendar Arian Nazari-Khanachayi, LL.M. Eur., Heidelberg
Die erste Station des juristischen Vorbereitungsdienstes beginnt regelmäßig am Zivilgericht. Demnach erfolgt der Einstieg aus der universitären Ausbildung, gegebenenfalls nach einem Master-/Magister- und/oder Promotionsstudium, in die praktische Arbeitswelt der Juristerei über das Zivilrecht. Hierbei muss man sich nicht nur an die prozessualen Schwerpunkte der erlernten Inhalte gewöhnen, sondern vielmehr an die Denkstrukturen der praktischen Arbeitsweise, die sich von den an der Universität gelehrten wissenschaftlichen Denkstrukturen – bisweilen – wesentlich unterscheiden können. An dieser Stelle ist das Lehrbuch von Dr. Monika Anders, Präsidentin des Landgerichts Essen, und Dr. Burkhard Gehle, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Köln, mit einem Umfang von 608 Seiten besonders zu loben.
Bereits in formaler Hinsicht führt das nunmehr in 12. Auflage erscheinende Lehrbuch von Anders/Gehle den Leser an die Arbeitsweise der praktischen Zivilrechtstätigkeit ein: So beginnt das Buch mit einer dezidierten Darstellung der Zivilrechtsfallbearbeitung aus der Sicht eines Praktikers. Insbesondere die sog. Relationstechnik als eine für die praktische Arbeit unersetzbare Denkführung steht zu Beginn dieses Abschnitts im Mittelpunkt. Auch im Verlaufe des Werkes steht die Orientierung an den Bedürfnissen des Lesers, der sich an die Zivilrechtsfallbearbeitung an den Zivilgerichten zunächst gewöhnen und an diese allmählich heranarbeiten muss, im Vordergrund: So wird nach einer Illustration der für das Urteil und den Beschluss notwendigen Inhalte auf die Besonderheiten einer Zivilgerichtsklausur im Examen, auf das Gutachten aus der Anwaltssicht und auf den mündlichen Aktenvortrag eingegangen. Sodann werden die weiteren notwendigen prozessualen Inhalte dargestellt und mit einem Anhang zur Arbeit im Zivildezernat abgerundet. Doch nicht nur die Auswahl der Inhalte hebt das Buch in formaler Hinsicht hervor, sondern zugleich die Darstellungsweise als solche: Stets fühlt sich der Leser von den Verfassern – die nach der eigenen Zielsetzung, ihre Erfahrungen aus ihrer Ausbildungstätigkeit in das Buch haben hineinfließen lassen (vgl. Vorwort) – mit einer klaren Gedankenführung durch die kompliziertesten Verästelungen der ZPO geführt. Die Komplexität wird dabei durch das Einschieben zahlreicher Beispielsfälle und Kästchen mit Tipps für die Ausbildung und für das Examen abgemildert. Zudem sind eine Reihe an Formulierungsbeispielen zu finden, die auch die Arbeit beim Einzelausbilder im Rahmen der Bearbeitung einzelner Akten zu erleichtern imstande sind. Schließlich behält der Leser den Überblick durch die zahlreichen Intraverweise, sodass sich das Werk nicht nur zum „Durcharbeiten“, sondern zugleich auch zum Nachschlagen einzelner, bisweilen spezifischer Fragen hervorragend eignet.
Diese formalen Vorzüge wegen des Abstellens auf die Bedürfnisse von Rechtsreferendaren in ihrer Anfangsphase im juristischen Vorbereitungsdienst gehen in die inhaltliche Ausgestaltung des Werkes auf und bringen die Exzellenz des Werkes vollends ans Licht. So wird etwa anknüpfend an die im Einführungsteil dargestellten Grundsätze der Relationstechnik für die Examensklausur am Zivilgericht eine empfehlenswerte Herangehensweise illustriert: Nach dem Beginn mit einem Vorschlag sollen unproblematische Punkte weggelassen werden, um unmittelbar auf die Schlüssigkeit im Rahmen der Begründetheit eingehen zu können. Eine Auseinandersetzung mit der Erheblichkeit sei nur im Falle einer gänzlichen oder teilweisen Schlüssigkeit des Klägervortrags notwendig, sodass man ggf. unmittelbar auf die Beweise (falls die Erheblichkeit des Beklagtenvorbringens zu bejahen sei) oder auf die Tenorierung zusteuern könne (vgl. zum Ganzen ausführlicher S. 146 f. Rn. 11 f.). Hierin zeigt sich insbesondere das Fingerspitzengefühl von Anders/Gehlein didaktischer Hinsicht, weil sie sich in die Situation des examinierten Juristen nach der Hochschulausbildung versetzen und diesen an die praktische Arbeit heranführen möchten. Der aufmerksame Leser wird dabei schnell erfassen können, welche Denkstrukturen aus der universitären Ausbildung beibehalten werden können und welche neuen Arbeitstechniken angeeignet werden müssen. Ein weiteres Beispiel für das besondere Heranführen des Lesers an die Denkstrukturen des praktisch arbeitenden Juristen zeigt sich am Beispiel der Darstellung der Überlegungen zur Klageerhebung aus anwaltlicher Sicht: So wird ausgehend von der Konstellation der Unbezifferbarkeit einer Leistungsklage und der Unzulänglichkeit einer Stufenklage in der konkreten Situation auf die Praktikabilität der sofortigen Erhebung der Feststellungsklage verwiesen, obgleich diese subsidiär zur Anwendung kommt. Ferner wird auf die Nützlichkeit der Feststellungsklage in solchen Konstellation verwiesen, in denen diese Klageart ihre besondere Bedeutung für die Hemmung von Verjährungsfristen im Hinblick auf künftige Schäden aus deliktischen Haftungen entfaltet (S. 417 Rn. 37 f.).
Insgesamt kann die Neuauflage des Standardwerkes von Anders/Gehlefür das Zivilrecht im Rahmen des juristischen Vorbereitungsdienstes und für das Zweite Juristische Staatsexamen jedem Rechtsreferendar empfohlen werden. Dabei eignet sich das Werk durch die dezidierte Darstellung der wesentlichen Schritte eines Zivilverfahrens und der anwaltlichen Sicht auf ein solches Verfahren zuvorderst für das systematische Erarbeiten der Rechtsmaterie. Gleichzeitig aber kann das Werk auch fortgeschrittenen Rechtsreferendaren und Praktikern besonders empfohlen werden, weil das Einarbeiten von unzähligen aktuellen Entscheidungen und Gesetzesänderungen in Verbindung mit dem Umfang dieses Buches dieses Werk zu einem – um es mit den Worten der Verfasser aus dem Vorwort zu sagen – Handbuch haben werden lassen.