Starck, Recht und Willkür, 1. Auflage, Mohr Siebeck 2012
Von RA, FA für Sozialrecht und FA für Bau- und Architektenrecht Thomas Stumpf, Lehrbeauftragter FH Öffentliche Verwaltung Mayen (Rheinland-Pfalz), Pirmasens
Die Union der deutschen Akademien ist ein Zusammenschluss von acht Wissenschaftsakademien mit mehr als 1.900 namhaften Wissenschaftlern bestehend aus allen Fachrichtungen zur Förderung des interdisziplinären Diskurses und Ausgleichs. Seit 2007 findet eine jährliche Tagung statt, im Jahr 2012 in Hannover zu dem spannenden und vielschichtigen Thema „Recht und Willkür“. Der Jurist Dr. Christian Starck (Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie) ist Herausgeber der vorliegenden 168 Seiten umfassenden Schrift, welche fünf Beiträge der letztjährigen Veranstaltung beinhaltet.
Den Auftakt macht der titelgebende Vortrag „Recht und Willkür“ von Horst Dreier. Dieser korrigiert zunächst einmal das allgemeinsprachliche Verständnis des Begriffes der Willkür und führt das Wort zunächst einmal auf seine ursprüngliche Bedeutung und Rechtsanwendung zurück. Denn Willkür war ursprünglich nicht – wie nach heutigem Verständnis – das Gegenteil von Recht, in dem die Herrschenden einfach machen können, was sie wollen, sondern eine konkrete Form und Ausprägung des Rechts selbst, also mitnichten negativ belegt. Der Begriff stand für eine autonome Gesetzgebungskompetenz bestimmter Rechtspersonen und Körperschaften, die sich selbstbestimmt verbindliche Regeln auferlegt haben und spiegelt somit zugleich das darin zutage tretende Selbstverständnis. Noch heute spricht man auch etwa im BGB von gewillkürten Schuldverhältnissen, die entstehen, weil die Beteiligten dies ausdrücklich so wollen und selbstbestimmt z. B. Verträge schließen. Willkür ist somit Ausdruck der Selbstbestimmtheit, so Dreier. Willkür alleine ist nach Dreier kein maßgebliches Merkmal eines totalitären Unrechtsstaates, wie er sodann mittels der so definierten Willkür anhand der Grundrechte erläutert.
Der zweite Beitrag von Dieter Langewiesche trägt den Titel „Recht und Revolution“ und stellt zunächst den Zusammenhang zwischen Normgehorsam und Normbruch dar. Er folgert den auch aus der Kriminologie bekannten Schluss, dass jede Gesellschaft Normverstöße und Normüberschreitungen in einem gewissen Umfang benötigt, damit die selbst gesetzten, geltenden Normen überhaupt eine Berechtigungsgrundlage haben und somit gerade durch ihre Verletzungen bestätigt werden. Anhand diverser Revolutionen wird die Bedeutung dessen sodann historisch beleuchtet.
Der dritte Beitrag von Michael Stolleis trägt die Überschrift „Rechtsstaat und Unrechtsstaat im 20. Jahrhundert“. Der Autor entwickelt kurz Herleitung und Inhalt des Begriffs des Rechtsstaates und wie er im vergangenen Jahrhundert in sein Gegenteil verkehren konnte und was heute noch daraus geschlossen werden kann. Sein Beitrag ist kritisch und mahnend. Am Ende kommt Stolleis u. a. zu folgender Einsicht: „Wir fragen als alternde Wohlstandsgesellschaft m. E. zuviel nach Sicherheit und zu wenig nach Freiheit.“ Dem kann man sich nur anschließen.
Der vierte Beitrag von Rolf Stürner befasst sich mit dem hochaktuellen und ebenso brisanten Thema „Recht und Markt. Gefährdung der Vermögensordnung durch private Spekulation und staatliche Überschuldung“. Die Schuldenkrise ist mittlerweile seit Jahren ein kaum zu löschendes Feuer, anscheinend mit weißem Phosphor als Brennstoff: man kriegt es einfach nicht gelöscht, es brennt stets aufs Neue. Sogar der Bankrott ganzer Länder ist nicht mehr ausgeschlossen. Der Horrorszenarien gibt es gar vieler, die Debatten nicht selten wenig sachlich geführt oder kolportiert. Der Beitrag von Stürner erläutert hierzu vieles und das tiefgründig. Er stellt die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftswissenschaften und den hieraus resultierenden Gesellschaftsformen grundlegend heraus und zeigt, wie eines das andere bedingt. Zudem arbeitet Stürner die unterschiedlichen Denkrichtungen von Finanzwirtschaft und Realwirtschaft heraus, was ein zentraler Aspekt zum Verständnis der gegenwärtigen Lage ist. Schließlich zeigt er Strukturen für künftige Lösungsansätze auf.
Der letzte Beitrag ist „Der internationale Schutz der Menschenrechte“ von Anne Peters. Die Autorin gibt zunächst einen guten Überblick über den Stand der Dinge in Sachen Menschenrechte, trefflicherweise unter der Zwischenüberschrift „Ideal und Realität“. Hier stellt sie den herrschenden Dualismus zwischen bürgerlichen Freiheitsrechten und wirtschaftlichen Freiheitsrechten dar. Die Rolle der EMRK wird beleuchtet. Wichtige Fragen nach dem Bindungsadressaten der Menschenrechte werden aufgeworfen, etwa die Frage, ob nicht nur Staaten, sondern auch Wirtschaftsunternehmen (die „ökonomische Gewalt“) an die Menschenrechte gebunden werden sollen/können/müssen und durch welche Regularien dies zu geschehen hat und was bereits konkret hierzu umgesetzt ist. Peters befasst sich in ihrem Beitrag schließlich auch mit der gerichtlichen und militärischen Durchsetzung der Menschenrechte (Stichwort: responsibility to protect).
An diese Beiträge schließt sich ein Streitgespräch zum Thema „Humanitäre Interventionen zum Schutz der Menschenrechte?“ an.
Insgesamt eine lehrreiche, nicht ganz leichte Lektüre, die viele Denkanstöße bietet.