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Rezension Strafrecht: MüKo StPO Band 1

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Knauer / Kudlich / Schneider (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung: StPO; Band 1: §§ 1-150 StPO, 1. Auflage, C.H. Beck 2014

Von Richter am Amtsgericht Carsten Krumm, Lüdinghausen


Der ehrwürdige Münchener Kommentar ist um eine komplette neue Kommentierung gewachsen: Der „Müko-StPO“ liegt nun in erster Auflage vor, zunächst in Gestalt des Bandes 1. In insgesamt drei Bänden soll am Ende die gesamte StPO kommentiert sein. Der vorliegende erste Band, der §§ 1-150 StPO darstellt und erläutert, macht da – man kann dies schon zu Beginn der Rezension feststellen - Lust auf mehr. Zwar existieren bei C.H.Beck bereits einige Kommentierungen der StPO – hinzu kommen weitere gut angenommene Kommentare anderer Verlage. Doch heißt dies nicht, dass der Müko-StPO überflüssig ist – mehrbändige StPO-Werke dieses Umfanges gibt es nämlich nur wenige. Zudem ist sehr erfreulich, dass durch eine gemischte 17-köpfige Autorenriege der Kommentar nicht zu theorielastig geworden ist, sondern bei aller wissenschaftlicher Tiefe die Praxis nicht aus den Augen verloren wird. Nur fünf der Autoren stammen nämlich aus universitärem Umfeld – im Wesentlichen wird die Kommentierung von Rechtsanwälten, Staatsanwälten und Richtern geschultert.

Los geht es in dem Kommentar – wie nicht anders zu erwarten – mit einer (von Kudlichverfassten) Einführung. Diese ist aber nicht bloßes „Vor-die-Klammer- ziehen“, sondern eine nahezu komplette Darstellung des Strafprozessrechts, die sonst auch (nur wenig anders aufgearbeitet) in einem Lehrbuch hätte erschienen sein können. Wären alle drei Bände auf einmal erschienen, wäre manches an dieser Stelle überflüssig. Spezialprobleme wie etwa die „Rügeverkümmerung“ (Rn. 270-272 der Einführung), die sich in den Revisionsvorschriften im 3. Band sicher finden lassen werden, müssten nicht auch noch in eine Einführung. Angesichts des sukzessive erscheinenden Werks macht eine verklammernde Einführung aber durchaus Sinn.

Was die nachfolgenden einzelnen Kommentierungen angeht, so sind diese in der Regel einheitlich so aufgemacht, dass zunächst nach dem Gesetzestext eine Übersicht über das einschlägige Schrifttum gegeben wird und sich im Anschluss eine Übersicht über die Kommentierung findet, die auf die jeweiligen Randnummern der Kommentierung verweist. Insoweit entspricht das Werk durchaus anderen Kommentarwerken und reiht sich auch in die Reihe der anderen Münchener Kommentare ein. In den Kommentierungstexten sind rein äußerlich betrachtet Fettungen auffällig, die hilfreich sind, den Text zu strukturieren und es ermöglichen, dass der Leser Kommentierungsabschnitte schnell überfliegen kann, so etwa in der Sitzung, um die gesuchten Rechtsprobleme schnell auffinden zu können.

Angenehm ist es dabei auch, dass das große Format und die breit angelegte Kommentierung es ermöglichen, Informationen, insbesondere Rechtsprechungsübersichten nicht in Bleiwüsten, sondern in einer ansprechenden Form darzustellen, so etwa in „Spiegelstrich-Aufzählungen“. So gefällt etwa die Kommentierung von Conen und Tsambikakis zu § 24. Es finden sich dort ausführliche mehrseitige Übersichten über die Rechtsprechung zu Einzelfällen geltend gemachter Ablehnungsgründe (Rdnrn. 37 ff.).

Eine weitere Äußerlichkeit die sehr gut gefällt ist das Verbannen von Fundstellen in den Fußnotenapparat. Hierdurch bleibt der Text der eigentlichen Kommentierung sehr gut lesbar. Auch der Fußnotenbereich an sich ist gut bearbeitet. Hier werden neben der – vorwiegend obergerichtlichen – Rechtsprechung und strafprozessualer Standardliteratur in erheblichem Umfange weiterführende Aufsätze zitiert, so dass der Leser die wenigen verbliebenen ggf. nicht durch die Kommentierung selbst zu beantwortenden Fragen an anderer Stelle nachlesen kann. Hilfreich ist zudem die durchgehende Nennung des Entscheidungsdatums und der Geschäftsnummer aller zitierten Entscheidungen. Unabhängig von einem Datenbankzugang kann so der Großteil der zitierten Entscheidungen einfach gegoogelt werden. Für diese Entscheidung gebührt dem Herausgeber Kudlichund den weiteren Autoren uneingeschränktes Lob.

Im Übrigen kann im Rahmen einer Rezension wie der vorliegenden nicht der gesamte Text durchgegangen werden. Eine stichpunktartige Durchsicht zeigt aber durchaus, dass Rechtsprechungs- und  Literaturnachweise auf aktuellem Stand sind.

Ich habe sodann einige typische in der Praxis häufig vorkommende Problemkreise aufgesucht, um hier die Kommentierungen zu prüfen. Zunächst war dies der in der Praxis ganz wichtige Bereich der Haftvorschriften, also §§ 112 ff. StPO. Bereits der Umfang der Kommentierungen der §§ 112-126 StPO von über 250 Seiten ist beeindruckend. Letztlich stellen die Darstellungen, die insgesamt von Böhm und Werner erstellt wurden, nahezu ein Lehrbuch des strafprozessualen Haftrechts da. Dabei ist der Kommentar an dieser Stelle einmal mehr praxisnah. Natürlich finden sich nämlich die üblichen Fragen zu den Voraussetzungen eines Haftbefehls. Vor allem werden aber auch die eher unscheinbaren Haftvorschriften, deren Anwendung in der Praxis oft viel mehr Probleme hervorruft als die Kernvorschrift des § 112 StPO ausführlich dargestellt. Man kann so etwa 6 Seiten zur Belehrungspflicht (§ 114b StPO) oder auch 12 Seiten zur Vorführung vor den zuständigen Richter (§ 115 StPO) lesen. Gut auch, dass umsichtig kommentiert wird und sich etwa in den Darstellungen zur Haftprüfung auch ausführliche Erörterungen zur Haftbeschwerde finden. Dies war natürlich auch wegen des gestaffelten Erscheinens der einzelnen Bände des Kommentars dringend nötig. Um den Praxisnutzen des Kommentars noch zu erhöhen, würde sich sicher empfehlen, einige Beispiels-/Musterformulierungen in die Kommentierungen an geeigneten Stellen aufzunehmen. Gerade bei der Haft, die in der täglichen Arbeit regelmäßig schnell zu bearbeiten ist, wäre das wünschenswert.

Weiterhin habe ich mir § 81a StPO näher angeschaut, also die Norm, in der es um körperliche Untersuchungen geht: 25 Seiten findet man hierzu! Natürlich werden hier auch Brech- und Abführmitteleinsatz behandelt, der Lügendetektor oder die Entnahme von Samen. Zentrales Thema ist natürlich dabei die Blutprobenentnahme. Trück als für diese Norm verantwortlicher Autor hat sich hier tatsächlich große Mühe gegeben, die gesamte Problematik aufzuarbeiten – insbesondere die Rechtsprechung der letzten Jahre zur Frage des Verwertungsverbotes bei nichtrichterlicher Anordnung. Besonders hilfreich werden für anwaltliche Leser die Ausführungen am Ende der Kommentierung zu den Rechtsmitteln sein, namentlich zur Revision. Hier wird vor allem die Verfahrensrüge in diesem Zusammenhang ausführlich dargestellt.

Als dritten Bereich habe ich für die Rezension die notwendige Verteidigung herausgesucht – bearbeitet vom Autorenteam Thomas/Kämpfer. Diese arbeiten in § 140 StPO alle wesentlichen Gesichtspunkte umfassend ab. Einen besonderen Schwerpunkt bildet hier § 140 Abs. 2 StPO, also die Generalklausel, die die notwendige Verteidigung im Falle einer schwierigen Sach- und Rechtslage vorsieht. Zunächst wird hier richtigerweise ausführlich dargestellt, dass eine solche Lage bei zu erwartender Freiheitsstrafe ab einem Jahr anzunehmen ist, wobei auch mittelbare Folgen (insbesondere Bewährungswiderruf) eine maßgebliche Rolle spielen können. Dann befassen sich die Autoren mit typischen prozessualen Situationen, wie etwa Sachverständigengutachten, Akteneinsichtsfragen oder Problemen der Beweisverwertung als Voraussetzung der notwendigen Verteidigung. Die Darstellungen sind hervorragend lesbar und zeigen an vielen Stellen weitere sich nicht unbedingt sofort aufdrängende Argumentationsansätze auf. Beispielhaft sind die besonderen Schwierigkeiten von Suchtkranken oder auch der Dolmetschereinsatz zu nennen. Die Autoren weisen hier richtigerweise darauf hin, dass ein Dolmetscher an vielen Stellen nicht die durch die sprachlichen Barrieren begründeten Verteidigungsschwierigkeiten ausgleichen kann. Verteidiger werden sich über solche Gedanken freuen und sie gut aufgreifen können.

Der Müko-StPO ist so der erwartete große Wurf. Natürlich ist der erste Band mit allein 299 Euro Preis eine teure Investition, die sicher kleinere Anwaltskanzleien/Einzelkämpfer nicht immer für Spezialliteratur ausgeben wollen. Das Buch ist so klar vor allem strafrechtlich orientierten Kanzleien zu empfehlen. Mit den in 2015 dann vorliegenden nächsten Bänden hat ein Verteidiger eine sehr ausführliche, topaktuelle und praxistaugliche Kommentierung vorliegen, die eine ideale Ergänzung für den in der Sitzung genutzten Meyer-Goßnerdarstellt.

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