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Rezension Zivilrecht: Familienrecht

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Kaiser / Schnitzler / Friederici / Schilling, NomosKommentar BGB, Band 4, Familienrecht, 3. Auflage, Nomos 2014

Richter am Amtsgericht Carsten Krumm, Lüdinghausen


Einen einzelnen Band eines Großkommentars zu besprechen ist eine eher unübliche Aufgabe. Zunächst fragt man sich, ob eine solche Teilrezension überhaupt Sinn macht. Diese Frage lässt sich hier klar beantworten: Band 4 des großen Nomos-BGB-Kommentars kommt als ein großes eigenständiges Kommentierungswerk daher, zumal das Familienrecht im BGB doch ein eher in sich selbst ruhender abgeschlossener Gesetzesteil ist. Familienrechtlich orientierte Juristen sollten sich diesen Kommentarband so ruhig auch einmal als Alternative zu sonstiger familienrechtlicher Literatur ansehen, zumal (natürlich) auch das Betreuungsrecht komplett mitkommentiert ist.

Auf den ersten Blick erschlagend scheint zunächst die Schar der Verfasser. 55 Autoren haben die über 3000 Seiten des Kommentars gestemmt. Die meisten der Autoren sind durch zahlreiche Veröffentlichungen als Kenner der Materie ausgewiesen – neben den Herausgebern finden sich etwa so illustre Namen wie Hohloch, Rakete-Dombeck, Menne, Götsche oder auch Rehbein. Die Autorenschaft setzt sich zusammen aus Professoren, Richtern, und Rechtsanwälten. Da ist es schon erstaunlich, wenn bei einem stichprobenartigen Lesen kaum Qualitätsunterschiede bei den einzelnen Kommentierungen erkennbar werden.

Die Kommentierungen sind durchweg auf hohem Niveau, ausführlich und aktuell. Dankenswerterweise sind Rechtsprechungs- und Literaturnachweise in den Fußnotenapparat „verbannt“ worden, was die Lesbarkeit überaus erhöht. Gerade lange Kommentierungen würden anders kaum noch handhabbar sein. Klare Strukturen, die sich meist in allgemeine Einführungsbemerkungen, die ausführliche Darstellung des Regelungsgehalts der einzelnen Normen und schließlich Praxishinweise gliedern, erleichtern die Kommentarlektüre ebenso wie Überschriften in den Kommentierungen und leichte Fettungen wesentlicher Stichworte. Alle Kommentierungen haben eingangs zudem eine Gliederungsübersicht vorangestellt, was die thematische Suche und ein schnelles Überfliegen des Inhalts bei der Recherche weiterhin erleichtert.

Natürlich kann an dieser Stelle keine Rezension vorgenommen werden, die allen Einzelheiten des Kommentars Rechnung trägt. Zwei kurze Einblicke seien aber gewagt und hier dargestellt. Zunächst habe ich einen Blick in die Kommentierung zu § 1684 BGB geworfen, der sich bekanntlich zur Frage des Umgangsrechts verhält. Hier fällt zu Beginn der Kommentierung bereits positiv ein äußerst ausführliches Literaturverzeichnis auf, das 1 ½ Seiten umfasst und Lesern, die trotz aller Ausführlichkeit des Kommentars noch nicht in ihrem Wissensdurst gestillt sind, ein weiteres Nachforschen ermöglicht. Sodann folgt die eigentliche etwa 20 Seiten umfassende eigentliche Kommentierung, die sich zunächst der geschichtlichen Entwicklung und dann allgemeinen Fragen des Normzwecks widmet. Im Anschluss an diese einführenden Ausführungen finden sich die Darstellungen zum eigentlichen Regelungsgehalt des § 1684 BGB. Es wird hier der Charakter des Umgangsrechts ebenso dargestellt wie auch die notwendige Berücksichtigung des Willens des Kindes. Die Kommentatorin Peschel-Gutzeitweißt hier richtigerweise auf oft anzutreffende Beeinflussungen des Kindeswillens hin und die sich hieraus – abseits der reinen Juristerei – ergebenden (und meist viel wichtigeren) Probleme. Weiter befasst sie sich mit dem Inhalt des Umgangsrechts, einschließlich der Kosten des Umgangs. Letztere führen bekanntermaßen häufig zu weiteren Schwierigkeiten. Sodann arbeitet Peschel-Gutzeit zahlreiche in der Praxis oft heiß umkämpfte Einzelfragen ab, wie etwa Ferienregelungen, den Umgang an Feiertagen und auch die Frage, wie jeweils Ersatzregelungen aussehen könnten für den Fall des Ausfalls des Umgangs. Hilfreich sind dann auch Darstellungen zu Verfahrensfragen, wie etwa der Elternvereinbarung, dem Verfahrenspfleger, etwa einzuholenden Sachverständigengutachten oder auch der Vollstreckung von Umgangstiteln. Hilfreich werden die Leser auch die Behandlung von Fragen der Auslandsberührung empfinden. Ein besonderes Bonbon ist dann noch ein steuerrechtlicher Anhang zu §§ 1684 ff. BGB, verfasst von Heimann. Hier zeigt sich, wie umfassend und umsichtig der Kommentar erstellt wurde.

Einen zweiten Blick habe ich ins Unterhaltsrecht, dort in § 1578 BGB „Maß des Unterhalts“ gewagt. Die Kommentierung umfasst hier über 50 Seiten (!). Allein das Literaturverzeichnis ist 2 Seiten lang und richtigerweise auch nach besonderen Unterhaltsfragen strukturiert. Die Kommentierung dann ist wie ein kurzes Lehrbuch zum Unterhaltsrecht beschaffen und damit absolut gut geeignet für die praktische Arbeit und auch zum Lernen dieses Rechtsgebietes. Man findet hier natürlich Erläuterungen zu den wesentlichen unterhaltsrechtlichen Kernbegriffen wie „Surrogatstheorie“, „eheliche Lebensverhältnisse“ oder „überobligatorische Tätigkeit“. Von viel größerer Bedeutung sind freilich die Darstellungen zu den Faktoren, die zur Bestimmung des Maßes des Unterhaltes heranzuziehen sind, also in erster Linie natürlich das Erwerbseinkommen, aber auch das mietfreie Wohnen, die Berücksichtigung berufsbedingter Aufwendungen oder auch die Bestimmung fiktiver Einkünfte. Dankbar sein kann man dabei über (für Kommentare eher unübliche) Berechnungsbeispiele Rn. 109 ff. insbesondere auch zum Krankenvorsorgeunterhalt (Rn. 122) sein. Am Ende der Kommentierung finden sich dann wie auch an anderen Stellen des Kommentars verfahrensrechtliche Fragen und vor allem Ausführungen zur häufig schwierigen Darlegungs- und Beweislast.

Gut gefällt im Weiteren die Aufnahme einer über 320 Seiten starken Kommentierung zum VersAusglG, die leider auf den ersten Blick etwas versteckt als Binnenkommentierung vor § 1587 BGB eingefügt ist. M.E. hätte man diese Kommentierung ruhig ans Ende des Kommentars verschieben können. Die Aufnahme der Kommentierung an dieser Stelle entspricht aber den Konventionen aus alten VAHRG-Zeiten. Viele Praktiker werden diese Binnenkommentierung daher vielleicht sogar gut finden. Die Qualität der Ausführungen der bekannten VA-Rechtler Götscheund Rehbein ist in jedem Fall unbestritten. Sinnvoll war auch die Aufnahme des LPartG in den Katalog der Kommentierungen.

Was zuletzt sehr gut an dem Kommentar gefällt ist eine tolle Kommentierung des Gewaltschutzgesetzes, das mittlerweile einen erheblichen Raum in der familienrechtlichen Praxis einnimmt. Hier wird insbesondere in den Vorbemerkungen des Gesetzes das Verfahrensrecht, also die §§ 210 ff. FamFG systematisch dargestellt. Selbst die umstrittene Problematik der Verfahrenskostenhilfebewilligung für einstweiliges Anordnungs- und Hauptsacheverfahren wird dargestellt (Vorbemerkungen Rn. 59). Ebenso wird das Lebenspartnerschaftsgesetz ausführlich dargestellt. Selbst steuerrechtliche Probleme werden in dem Kommentar angerissen - es ist so zu sehen, dass der Kommentar weit mehr ist als ein bloß wissenschaftlich fundiertes Erläuterungswerk zum familienrechtlichen Teil des BGB. Vielmehr geht es in dem Kommentar auch darum, aus der Praxis und für die Praxis die Normen mit all ihren Folgewirkungen darzustellen. Sehr erfreulich ist auch die Darstellung zahlreicher Länderberichte, also Ausführungen zu der familienrechtlichen Rechtslage in zahlreichen anderen Staaten. Allen voran sind die Nachbarländer Deutschlands vertreten, aber auch zweckmäßigerweise die Türkei, Italien und England/Wales. Hier kann freilich nur ein grober Einstieg in die jeweilige Landesmaterie stattfinden. Genau dafür reichen diese Länderberichte jedoch hervorragend aus.

Insgesamt ist der Kommentar also ganz klar aus der Praxis und für die Praxis. Er ersetzt ohne weiteres auch ausführlichere Lehrbücher zum Familienrecht und ist so jedem familienrechtlich orientierten Juristen ans Herz zu legen als eine der guten Alternativen zu herkömmlicher familienrechtlicher Literatur.

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