Wagner, Vorsicht Rechtsanwalt, 1. Auflage, C.H. Beck 2014
Von RA, FA für Sozialrecht und FA für Bau- und Architektenrecht Thomas Stumpf, Lehrbeauftragter FH Öffentliche Verwaltung Mayen (Rheinland-Pfalz), Pirmasens
Joachim Wagner ist promovierter Jurist und Journalist und leitete viele Jahre lang das Fernsehmagazin „Panorama“. Für sein neues Buch „Vorsicht Rechtsanwalt“ hat er im ganzen Bundesgebiet verstreut Fälle zum Ist-Zustand der Anwaltschaft recherchiert. Was er in seinem Buch zusammengetragen hat, ist teilweise erschreckend – jedenfalls soll es so wirken. Wagner berichtet von hartem Konkurrenzkampf, unlauteren Methoden, Anwälten mit Einkommen auf Hartz-IV-Niveau, Anwälten ohne Ethik, Moral und Anstand, unkollegialem Verhalten, schlechter Qualität anwaltlicher Dienstleistung und betrügerischen Methoden. Und natürlich von Anwälten, die Geld scheffeln ohne Ende, gleich auf welche Art. Wagner kann seine Fälle belegen. Und er lässt aufhorchen. Dabei schießt er in seiner Verallgemeinerung jedoch oft über das Ziel hinaus. So erlaubt seine oft nicht weiter differenzierte Beobachtung u.a. „den Schluss, dass ein relevanter Teil des Berufsstandes teilweise in einer ethischen Parallelwelt lebt, die im Widerspruch zu einigen Grundwerten unseres Rechtsstaats steht“. Dies wird gerade in Hinblick auf Strafverteidiger ausgesprochen, die in diesem Buch besonders schlecht wegkommen. Im Fokus seines Werkes steht der Werteverfall in der Anwaltschaft generell, sowie die schlechte Qualität der anwaltlichen Beratung. Die Hauptursache dafür ist schnell ausgemacht: all die Kandidaten, die mit einem „Ausreichend“ in den Anwaltsberuf strömen. Der kurze Schluss: wer ein schlechtes Examen hat, ist zwangsläufig auch ein schlechter Anwalt. Ausnahmen hierzu sind selten zu finden, so die Essenz des Autors. Oder mit dessen Worten: „Das Jurastudium ist ein Sammelbecken der Mittelmäßigen“. Vierer-Kandidaten sehen den Anwaltsberuf als letzte Möglichkeit, überhaupt einen juristischen Beruf zu ergreifen, es sind „Muss-Anwälte“. Natürlich ohne jegliche Motivation, sie können nichts und lernen auch nichts dazu. Klarer Fall, anders kann es gar nicht sein.
Auch schön: wer Hartz-IV-Mandate führt, ist auch nicht geheuer, vielmehr sogar in höchstem Maße unseriös. Hier stützt sich der Autor – ganz neutral und objektiv, versteht sich – auf Aussagen der Arbeitsverwaltung, wonach durch die Hartz-IV-Gesetze eine wahre „Rechtsanwaltsindustrie“ entstanden sei. In diesem Zusammenhang heißt es: „Zur Hilfe kommen ihnen [den Anwälten] dabei die hohen Fehlerquoten bei Jobcenterbescheiden. Sie bieten Anwälten ein hohes Ausbeutungspotential. Die Arbeitsverwaltung hat die mit heißer Nadel gestrickten Hartz-IV-Gesetze mit ihren vielen unbestimmten Rechtsbegriffen, offenen Rechtsfragen und komplizierten Berechnungsmethoden noch nicht im Griff“. Genau, warum erdreistet sich dieses elende Hartz-IV-Pack auch, sich gegen fehlerhafte Bescheide zu wehren? Und dann auch noch unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts? Und die arme, vom Gesetzgeber völlig allein gelassene Arbeitsverwaltung wird zum Opfer einer anwaltlichen Ausbeutungsindustrie. Wo das Hartz-IV-Gesetz doch mit heißer Nadel gestrickt wurde (vor 9 Jahren), da kann man doch nicht die immer noch fehlerhaft arbeitende Verwaltung mit Widersprüchen und Klagen belästigen. Wagners Darstellung ist alles andere als objektiv und lässt nicht gerade auf eine tiefere Kenntnis des Anwaltsberufs schließen. Und den Anwalt möchte ich sehen, der mit einer Untätigkeitsklage (!) neue Gebühren produziert. Ich empfehle dringend einen Blick in die von den Sozialgerichten für Untätigkeitsklagen anerkannten Gebühren.
Auch Opferanwälte sind offensichtlich tendenziell nur ausbeuterische, heuchlerische Trittbrettfahrer und Elendstouristen, denn der Opferschutz ist „auch zu einem staatlichen Subventionsprogramm für arbeitslose und schlecht verdienende Verteidiger geworden“. So ist es, Herr Wagner, Opfer brauchen keinen Rechtsbeistand und die Möglichkeit zur Nebenklage sollte man sowieso aus dem Gesetz streichen, um der „Renaissance des Opfers“ in unserem Staat Herr zu werden. Was melden diese Opfer von Straftaten und Unglücksfällen überhaupt Rechtsansprüche an? Unerhört, dass die hierzu auch noch einen Anwalt bemühen.
Der Autor erhebt umfangreiche Vorwürfe gegen die Anwaltschaft: mit ihrer Wahrheitspflicht ist es nicht weit her, Verschwiegenheit bedeutet ihnen nichts, sie sind ungewissenhaft, unzuverlässig und unkollegial, mit der Verwaltung von Fremdgeldern nehmen sie es nicht so genau, sie führen aussichtslose Klagen, nur um Gebühren zu kreieren, und unabhängig sind sie – wegen des zunehmenden wirtschaftlichen Drucks – schon lange nicht mehr. Dabei ist es eine Sache, auf berechtigte Missstände hinzuweisen und Probleme anzusprechen. Es mag hierzu auch die beschriebenen Fälle in der Praxis geben. Was an dem Buch jedoch missfällt, ist die völlig unreflektierte Wiedergabe, die extrem stark ausgeprägte Tendenz zur Verallgemeinerung und der reißerische Tonfall in der Diktion. Letzteres fängt bereits beim Untertitel an, der da lautet: „Ein Berufsstand zwischen Mammon und Moral“. Klar, ohne eine boulevardhafte, ach-so-tolle Alliteration kann man bestimmte Leserkreise eben nicht ansprechen. Wenig geistreich. So geht das dann auch weiter. Von „Münchhausens Erben“ und „verbaler Inkontinenz“ ist die Rede, von einem „Mangel an Selbstreflexion und Selbstkritik“ und „Intransparenz“. Wenn Wagner einen neuen ethischen Kompass für die Anwaltschaft fordert, macht er selbst natürlich keinen klar definierten Richtungsvorschlag. Wenn Dinge schief laufen, muss man sie gerade rücken, ohne Frage. Dennoch ist Wagners Darstellung sehr einseitig und verzerrt. Wenn ein Anwalt ein hohes Einkommen erwirtschaftet, wird eben komplett unterschlagen, dass er hiervon zunächst einmal auch Umsatzsteuer, Miete, Sach- und Personalkosten, seine Beiträge für Versorgungswerk und Haftpflichtversicherung abführen muss. Herausgestellt werden in allen Bereichen fast nur Negativbeispiele, und zwar die krassen (alles andere ist ja uninteressant und lässt sich nicht so gut verkaufen). Es mag all diese Fälle geben und Wegschauen oder Ignorieren wäre falsch. Die Anwaltschaft kennt ihre Probleme und geht sie auch an. Hier werden aber alle über einen Kamm gezogen. Das Buch ist eine Ohrfeige für all jene Anwälte, die ihre Arbeit ordentlich machen, sich jeden Tag für ihre Mandanten reinhängen und ihren Job lieben, trotz aller Widrigkeiten, die er gelegentlich mit sich bringt. Darüber lesen wir aber nichts.