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Rezension Zivilrecht: Der Zivilrechtsfall

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Braun, Der Zivilrechtsfall – Klausurenlehre für Anfänger und Fortgeschrittene, 5. Auflage, C.H. Beck 2012
 
Von Ref. iur. Arian Nazari-Khanachayi, Frankfurt am Main
 
 
Die heutige juristische Universitätsausbildung ist in einem erheblichen Umfang von der Bearbeitung und Lösung von Fällen gekennzeichnet. Dass dabei die methodologisch-rechtstheoretischen Instrumentarien teilweise auf der Strecke bleiben, ist ein Ungetüm dieses Ausbildungskanons. Johann Braun, ehemaliger Inhaber eines Lehrstuhls für Zivilprozessrecht, Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie in Passau, missbilligt diesen Zustand ebenfalls, bringt jedoch auch einige Argumente für diese Ausbildungsvariante an (S. 4). Damit ist er sich der Notwendigkeit der Fallbearbeitungstechnik für das heutige Studium bewusst. Folglich liefert er mit seiner Klausurenlehre ein Buch, welches die Arbeitstechnik zur Lösung von Fällen durchleuchtet und diese auf eine besonders instruktive Weise mit den methodisch-rechtstheoretischen Grundstrukturen der Rechtswissenschaften durchtränkt. Gerade deswegen besteht das Buch aus einem theoretischen und einem praktischen Teil.
 
Im theoretischen Teil des Werkes stehen Ausführungen zum Sinn und Zweck des Gutachtens und der besonderen Anforderung an einem Rechtsgutachten im Vordergrund. So werden beispielsweise die Unterschiede zwischen dem Gutachten eines Rechtsanwalts und dem eines Richters aufgezeigt (S. 6 f.). Sprachliche Feinheiten können mit Blick auf die besonderen Anforderungen des Gutachtenstils zur Notendifferenzierung führen, so dass die diesbezüglichen Hinweise und die entsprechenden Formulierungsvorschläge (S. 9 f.) ausgezeichnete Hilfestellungen bieten. Dabei verdeutlicht Braun, dass das Gutachten regelmäßig eine Kollegialentscheidung vorbereiten soll. Aus diesem Grunde muss ein hervorragendes Gutachten einerseits Überzeugungskraft besitzen, andererseits „Weitsicht“ erkennen lassen (S. 11 f.). Des Weiteren wird in diesem ersten Teil des Werkes die Ratio der „logischen Methode“ bei der Lösung von Fällen illustriert (S. 16) und eine Anleitung zum Auffinden der richtigen Anspruchsgrundlagen dargestellt. Hierbei wird erläutert, warum eine Anspruchskonkurrenz entstehen kann und in einem Gutachten alle Normen nebeneinander zu prüfen sind (S. 18 f.). Weiterhin werden zum einen die für eine gelungene Klausurbearbeitung elementaren Begriffe der Einrede und der Einwendung in materieller Hinsicht erklärt (S. 23), zum anderen wird ihre Bedeutung für die Rechtsfolgenseite einer Prüfung dargeboten (S. 25). Braun zeigt in diesem Zusammenhang anhand einiger prägnanter Beispiele häufige Fehlerquellen auf (S. 26). Damit bleibt zu hoffen, dass die Lektüre dieses Abschnitts künftigen Fehlern der Leser entgegenwirkt. Ferner liefert Braun eine Anleitung zum Erreichen eines „Automatismus“ für die Lösungsanfertigung (S. 33), für das Erkennen von Selbstverständlichkeiten und für den Umgang mit selbigen (S. 34). Nicht nur dieser Teil, sondern auch die auf den folgenden Seiten dargestellten Anweisungen zum Erstellen einer Lösungsskizze heben dieses Werk besonders hervor: Dem Leser wird auf diese Weise verdeutlicht, welche Arbeitsschritte dem Bearbeiter einer Klausur ohne Mühe ‚von der Feder gehen müssen‘. Das Einstellen eines „Automatismus“ in diesem Bereich kann zu einer besseren Einteilung der geistigen Kapazitäten, damit zu mehr Erfolg bei der Bearbeitung von Klausuren führen. Schließlich äußerst Braun eine persönliche Einschätzung hinsichtlich der Kriterien für die Bewertung einer Klausurbearbeitung (S. 39 f.). Diese Einschätzung ist äußerst hilfreich, weil sie den Leser in die Lage versetzt, Defizite in ‚punkteträchtigen‘ Bereichen auszugleichen.
 
Der praktische Teil ist in acht Themenkomplexen mit insgesamt 42 Klausuren eingeteilt. Behandelt werden Themen aus den Bereichen Besitz und Eigentum (5 Klausuren), Deliktsrecht (4 Klausuren), Rechtsgeschäftslehre (9 Klausuren), Leistungsstörungen und Mängelgewährleistungen (10 Klausuren), Quasivertragliche Schuldverhältnisse (2 Klausuren), Kredit und Kreditsicherung (3 Klausuren), Familien- und Erbrecht (4 Klausuren) und Zivilprozessrecht (5 Klausuren). Im Vordergrund stehen dabei klassische Fragestellungen aus den jeweiligen Teilgebieten wie etwa die Möglichkeiten eines gutgläubigen Erwerbs einer beweglichen Sache und etwaige Gegenrechte des gutgläubigen Besitzer im Falle eines bestehenden Herausgabeanspruchs des – ehemaligen – vermeintlichen „noch“ Eigentümers (Klausur Nr. 3, S. 63 ff.), die Abgrenzung zwischen § 119 Abs. 1 und Abs. 2 BGB im Rahmen der Anfechtung und der Tatsache, dass das Anfechtungsrecht kein Reuerecht darstellen darf (Klausur Nr. 10, S. 111 ff.) oder Fragen im Zusammenhang mit den Wirkungen der Ehe, insbesondere den verfügungsbeschränkenden Normen der §§ 1365, 1369 BGB (Klausur Nr. 34, S. 279 ff.). Diese Auswahlprämisse zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk. Keinesfalls darf nun angenommen werden, die Klausuren seien daher auch in anderen Fallbüchern zu finden, die Lektüre dieses Buches also nicht von einem Mehrwert gekennzeichnet. Braun bleibt nämlich auch im Rahmen des praktischen Teils seiner didaktischen Zielsetzung treu: Die Klausurlösungen sollen nicht nur das Wissen um die jeweiligen Problemfelder vermitteln, sondern tragen zu einem großen Stück dazu bei, das Erarbeiten einer Klausurlösung einzuüben. So ist jede Klausur so konzipiert, dass zunächst in einem ersten Schritt Methoden für das Erfassen des Sachverhalts und für das Erfassen der Fallfrage illustriert werden, um sodann eine gedankliche Erarbeitung der Lösung sowie eine Strategie der Niederschrift zu entwickeln. Erst in einem zweiten Schritt werden eine Lösungsskizze, die – kurze – Niederschrift und Vertiefungshinweise präsentiert. Auf diese Weise wird der Leser in die Lage versetzt, den vorstehend beschriebenen „Automatismus“ durch stetige Wiederholung und Illustration eines versierten Prüfers zu erreichen.
 
Festzuhalten bleibt, dass Braun mit der Neuauflage seines Standardklausurlehrbuchs erneut eine exzellente Melange zwischen Arbeitstechnikvermittlung und Wissenspräsentation geschaffen hat. Die Lektüre seines Werks hilft nicht nur dem Studierenden in den Anfangssemestern, sich an das Lösen von Klausuren heranzutasten und erste Erfolge zu verzeichnen. Vielmehr vermögen die kritisch-pragmatischen Hinweise zur Funktion eines Rechtsgutachtens, Studierenden in fortgeschrittenem Semester und Examenskandidaten vor Augen zu führen, worauf es bei der Erstellung eines Rechtsgutachtens tatsächlich ankommt. Hierdurch werden zugleich viele Mythen sowohl von „kommerzieller Seite“ als auch aus dem Studierendenkreis entmystifiziert. Das Werk von Braun kann daher jedem Studierenden – unabhängig vom Ausbildungsstadium – dringend empfohlen werden.

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