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Rezension: Die Zukunft des Rechts- und Sozialstaats – Festschrift für Rainer Schlegel

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Meßling / Voelzke, Die Zukunft des Rechts- und Sozialstaats – Festschrift für Rainer Schlegel, C.H. Beck 2024

Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., LL.M., Essen

Zum 1. März 2024 ist Rainer Schlegel als Präsident des Bundessozialgerichts in den Ruhestand eingetreten. Dabei trat Schlegel im Verlaufe seines Berufslebens nicht nur als Richter in Erscheinung, sondern auch mit wissenschaftlichen Beiträgen und besonders mit überaus lesenswerten Beiträgen zur Sozialpolitik insgesamt. Beispielhaft für letztere seien hier seine Kritik an subventionierter Teilzeitarbeit und an Minijobs (Link) sowie seine Vorschläge zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung (Link) genannt. Seine vielfältige berufliche Laufbahn, seine langjährige Tätigkeit beim Bundessozialgericht und seine stets interessanten sozialpolitischen Vorschläge gaben nunmehr Anlass zur vorliegenden Festschrift, die von Miriam Meßling und Thomas Voelzke im Verlag C.H. Beck herausgegeben wurde.

Das Werk ist insgesamt in zehn Abschnitte gegliedert, innerhalb derer die Beiträge alphabetisch den Nachnamen der Autoren nach sortiert sind; allein Geleitwort, Abkürzungs- und Inhaltsverzeichnis sowie ein Grußwort des Bundesministers für Arbeit und Soziales sind vorangestellt. Der zehnte Abschnitt enthält gewissermaßen als „Anhang“ die Publikationsliste des Jubilars.

Wie stets können in diesem Rahmen nur einige Beiträge pars pro toto herausgehoben werden. In den staatsrechtlichen Abschnitten hat mich der Beitrag von Axer erfreut, der sich mit „Art. 87 Abs. 2 GG als Gestaltungsvorgabe und -grenze für die Sozialversicherung“ auseinandersetzt (S 81 ff.). Danach werden als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes diejenigen sozialen Versicherungsträger geführt, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Lediglich solche Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes, aber nicht über mehr als drei Länder hinaus erstreckt, werden abweichend als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes geführt, wenn das aufsichtsführende Land durch die beteiligten Länder bestimmt ist. Axer setzt sich hiermit unter besonderer Berücksichtigung des BSG-Urteils v. 18.5.2021 (NZS 2022, 57, betreffend Zahlung des GKV-Spitzenverbandes an BZgA) auseinander und erkennt darin eine „Systementscheidung für die Sozialversicherung mittels verselbstständigter Verwaltungseinheiten“ (S. 88). Diese Entscheidung hat vor allem Folgen für die demokratische Legitimation, die untergesetzliche Normsetzung, die Aufsicht über die Versicherungsträger sowie die Finanzautonomie, womit sich der Verfasser eingehend auseinandersetzt. Axer gelangt zu dem Schluss, dass das Grundgesetz den sozialen Versicherungsträgern verfassungsrechtlich einerseits keine Selbstverwaltung zubillige (wie etwa den Kommunen), andererseits aber gleichwohl die Verselbstständigung anerkenne „mit Folgen insbesondere für die demokratische Legitimation und die finanzielle Selbstständigkeit sowie den verfassungsrechtlichen Schutz des Sozialversicherungsbeitrags“ (S. 92).

Ein ganz anderes Thema behandelt Thesling, dessen Beitrag bereits im Titel „Ausgewählte sozialstaatliche Impulse im Einkommenssteuerrecht mit besonderem Fokus auf den Familienleistungsausgleich“ ankündigt (S. 217 ff.). Ausgehend vom verfassungsrechtlichen Rahmen (S. 219 ff.) analysiert der Verfasser einige Regelungen des geltenden EStG. Dabei gehen die Ausführungen leider nur selten über eine Darstellung des Normgefüges hinaus. Immerhin fordert Thesling eine kritische Bestandsaufnahme von § 3b EStG (Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen) und § 35a Abs. 2 und 3 EstG, (Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen und Renovierungsaufwand), insbesondere auch der in den Normen angelegten Regelungstechnik (S. 223). Die Auseinandersetzung mit dem Familienleistungsausgleich (S. 224 ff.) bleibt leider ebenfalls weitgehend darstellender Art; dort wo sie darüber hinaus geht und sich insbesondere den Grenzen der Gestaltung einer möglichen Kindergrundsicherung widmet (S. 229 f.), bleibt der Beitrag knapp und geht zu wenig in die Tiefe, was angesichts des hochinteressanten Themas etwas misslich ist.

In den Abschnitten zu Sozialpolitik und Sozialrecht habe ich mir zunächst den Beitrag von Zander zur „Reform der Organisation der Sozialversicherungen“ angesehen (S. 349 ff.). Auf eine kurze Bestandsaufnahme und einen Überblick über „Herausforderungen und Notwendigkeit einer Reform“ (S. 351 ff.) folgen Ideen des Verfassers für eine Organisationsreform, die aus seiner Sicht drei Dinge umfassen möge. Erstens sollen Effizienzpotentiale gehoben werden, d.h. Kostentreiber identifiziert und mögliche Einsparungen kommuniziert werden (S. 355). Zweitens sollen Doppelstrukturen abgeschafft werden (S. 356 ff.). Schließlich und drittens sei die Digitalisierung wesentlicher Baustein, um die Effizienz der Verwaltung zu steigern. Dabei nennt Zander in seinem Beitrag durchaus konkrete Beispiele für Effizienzsteigerungen – so etwa die Schaffung einer einheitlichen Aufsichtsstruktur für die Sozialversicherung; ob die Umsetzung eines solchen Vorschlags aber (verfassungs-)rechtlich zulässig und auch politisch durchsetzbar ist, lässt der Verfasser offen.

Unter der Überschrift „Teilzeitarbeit zwischen Privilegierung und Diskriminierung“ greift Greiner eine Kritik des Jubilars an sog. „subventionierter Teilzeit“ (Link) auf. Greiner untersucht darin den „Status quo“ (S. 458 ff.) sowie die verfassungsrechtlichen Implikationen (S. 465 ff.) und spricht sich aufgrund dessen gegen ein Verbot solcher Teilzeitarbeitsverhältnisse aus, die auf nicht objektiv anerkennenswerten Belangen der Beschäftigten gründen; die Beschränkung des Zugangs zu den Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung sieht er jedenfalls kritisch (S. 469). Stattdessen sollten die gesetzlichen Teilzeitansprüche nach Greiners Auffassung eingeschränkt werden, was – jedenfalls unter Beachtung seiner einige Zeilen zuvor geäußerten Annahme, Arbeitnehmer würden gerade in Bereichen großen Fachkräftemangels ihre Arbeitszeitwünsche individuell ohnehin besser durchsetzen können als je zuvor (S. 469) – nicht ganz konsistent erscheint und erst recht wohl nicht zu dem Ergebnis führen dürfte, dass der Jubilar bei seiner Kritik vor Augen hatte.

In der arbeitsrechtlichen Rubrik widmet sich Griese der Geringschätzung von geringfügiger Beschäftigung (S. 857), ein Thema, das auch den Jubilar immer wieder umgetrieben hat. Die Zusammenstellung relevanter rechtlicher Regelungen für geringfügige Beschäftigungen, die Griese hier vornimmt, ist lobenswert, da – wie er selbst richtigerweise konstatiert – die Rechtsverhältnisse geringfügig Beschäftigter in der rechtswissenschaftlichen Literatur weithin nicht ihrer Bedeutung entsprechend berücksichtigt werden (S. 862). Dabei sind einige Kritikpunkte bedenkenswert, so die Grundsatzkritik an fehlenden sozialversicherungsrechtlichen Leistungen für geringfügig Beschäftigte trotz für diese geleisteter Beiträge (S. 859 f.). Teilweise geht Grieses Kritik an den spezifischen Beeinträchtigungen von geringfügig Beschäftigten allerdings fehl. So ist die Kritik daran, dass das Verfahren über die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur für gesetzliche Versicherte Anwendung findet, nachvollziehbar und richtig, nicht aber die Behauptung, dass hiervon geringfügig Beschäftigte besonders betroffen sein sollen (S. 859, leider ohne nähere Begründung). Auch die Kritik an der sog. Pendlerpauschale gem. § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG (S. 861) geht weithin fehl, da die Regelungstechnik in Form des Werbungskostenabzugs denklogisch zu einer Bevorzugung höherer gegenüber geringeren Einkommen führt, womit aber keine spezifische Geringschätzung gegenüber geringfügigen Beschäftigungen verbunden ist. Im Ergebnis fordert Griese– bezugnehmend auf einen Vorschlag des Jubilars – die Streichung der Opt-Out-Option in der gesetzlichen Rentenversicherung, eine Einbeziehung geringfügig Beschäftigter in die Arbeitslosenversicherung sowie (im Hinblick auf die Pauschalversteuerung) eine Einvernehmensregelung für die Ausübung steuerlicher Wahlrechte (S. 868 f.). Die Idee einer staatlichen Fahrtkostenbezuschussung, mit der Griese das bestehende System der Pendlerpauschale ersetzen will (S. 869), bleibt hingegen vage.

Abschließend bietet die Festschrift noch einige allgemeinere Beiträge zu Verwaltung, Justiz und Gerichtsverwaltung auf. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist hier der Beitrag von Bieresborn zur informationellen Selbstbestimmung und Einwilligung bei Sozialdatenverarbeitung hervorzuheben (S. 921), in dem der Verfasser den Versuch unternimmt, die Einwilligung und ihre Funktion im Rahmen des Sozialdatenschutzes zu untersuchen. Dabei gelangt Bieresborn nach eingehender Auseinandersetzung mit SGB X und DS-GVO zum treffenden Ergebnis, dass die Einwilligung zwar ein zentrales Instrument darstellt, um Sozialdaten rechtmäßig zu verarbeiten, jedoch sei der Gesetzgeber stets aufgefordert, bei der Wahl der Verarbeitungsgrundlage die nicht geringen Anforderungen an eine wirksame Einwilligung und insbesondere die alternativ mögliche Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die Datenverarbeitung zu bedenken (S. 935).

Nicht unterschlagen werden sollen schließlich die lesenswerten Beiträge von Kirchberg zu Konkurrentenstreitigkeiten bei obersten Bundesgerichten (S. 1003) sowie Limperg zur Frage nach einer Reform der Wahlen zu den obersten Bundesgerichten (S. 1027), da diese Thematik in der jüngeren Vergangenheit doch immer wieder Kontroversen auslöste.

Die Festschrift enthält insgesamt ein breites Spektrum an Beiträgen, vom Verfassungs- und Europarecht, über den Schwerpunkt Sozialpolitik und Sozialrecht bis hin zu Beiträgen über Verwaltung, Justiz und Gerichtsverwaltung, wobei der Schwerpunkt des Bandes – dem Wirken des Jubilars entsprechend – im Sozialrecht liegt. Die Festschrift lädt den Leser zur Lektüre hoch interessanter Beiträge ein, denen hier der notwendige Raum geboten wird, Probleme ganz grundsätzlich, von einem neuen Blickwinkel aus oder besonders pointiert anzugehen. Dabei sind die Beiträge von unterschiedlicher Länge und auch unterschiedlichem Tiefgang, zeigen aber oftmals neue oder anders begründete Sichtweisen auf bestehende Fragestellungen auf. Mir hat die Lektüre viel Freude bereitet, wobei stets zu bedenken ist, dass Festschriften nicht nur aktuell lesenswert, sondern von bleibendem Wert sind und auch nach Jahren noch gern zitiert werden. Vor allem aufgrund seiner sozialpolitischen Einlassungen, die auf seiner hervorragenden sozialrechtlichen Expertise beruhen, ist zu hoffen, dass Schlegel dem wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs noch lange erhalten bleiben möge.


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