Veith / Gräfe / Lange / Rogler, Der Versicherungsprozess, 5. Auflage, Nomos 2023
Von
RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl
Parallel
zum großen NomosKommentar zum Versicherungsrecht, der vor kurzem in der dritten
Auflage erschienen ist, folgt nunmehr in neuer fünfter Auflage die aktualisierte
Version des Prozesshandbuchs. Ein eigenes Handbuch für die verfahrensrechtliche
Geltendmachung bzw. Abwehr von Ansprüchen lohnt sich vor allem in den
zivilrechtlichen Rechtsgebieten, die eigenen Spezialkammern an den
Landgerichten zugewiesen sind, wozu das Versicherungsrecht gehört. Ungeachtet
dessen darf nicht übersehen werden, dass auch bei Streitwerten unterhalb von
5000 EUR immer mehr Streitigkeiten vor Gericht ausgetragen werden, sodass ein
solches Handbuch eben nicht nur für die spezialisierten Kammern und Fachanwälte
interessant ist, sondern auch für die allgemeinen Zivilrechtler an den
Amtsgerichten und innerhalb der Anwaltschaft, die in diesem Bereich auch über
die Besonderheiten und Fallstricke des Prozesses informiert sein müssen.
Über
1600 Seiten inklusive Verzeichnissen warten inzwischen auf die Rechtsanwender,
wenn sie sich durch das Handbuch arbeiten möchten. Das Bearbeiterteam wurde
weitgehend konstant erhalten und punktuell ergänzt, was sich auch auf das neue Herausgeberquartett
ausgewirkt hat. Bis auf wenige Ausnahmen stammen alle Autoren aus der Anwaltschaft,
was für eine kohärente Sicht auf die Materie sorgt, aber zugleich auch
überrascht, da im Versicherungsrecht viele Autoren aus der Justiz zu finden
sind, die gerade beim Prozessrecht durchaus ihre Perspektive mit einbringen
könnten. Das Schriftbild ist bei kleiner Schrift sehr dicht mit wenig Abständen
und schmalen Rändern, sodass die durchgehende Lektüre schon nach kurzer Zeit
anstrengend wird. Von fett gedruckten Schlagworten als Hervorhebung wird Gebrauch
gemacht, aber nicht übermäßig. Das Fußnotenregime ist optisch abgesetzt und
zweispaltig, was eine Menge Platz spart. Innerhalb der Kapitel finden sich zur
Straffung an vielen Stellen Aufzählungen. Was mir in einem Prozess-Handbuch
aber klar fehlt, sind Arbeitshilfen, zusammenfassende Übersichten, Formulierungsvorschläge,
Praxishinweise oder auch hervorgehobene taktische Empfehlungen. Reine
Deskription ist schon in herkömmlichen Kommentaren enthalten, sodass hier für
die Zukunft vielleicht ein wenig Modernität einziehen könnte.
Inhaltlich
sind fünf Abschnitte (A-E) geschaffen worden, innerhalb derer dann einzelne
Kapitel (§), 25 an der Zahl, einen Allgemeinen Teil und sodann die Versicherungszweige
abdecken. Im ersten Abschnitt geht es zunächst ganz allgemein um die Klage
gegen den Versicherer, die Klage gegen den Versicherungsnehmer sowie Fragen der
Prozessfinanzierung. Anschließend folgen die großen Abschnitte zu den
Sachversicherungen, den Personenversicherungen und den Haftpflichtversicherungen,
bevor es abschließend um Mischformen geht, darunter die D&O-Versicherung,
die Kreditversicherung, aber auch die Rechtsschutzversicherung. Die Kapitel
sind naturgemäß unterschiedlich groß, sodass die jeweiligen Autoren nach der
Bedeutung ihres Themas Gewichtungen vornehmen können und müssen.
Die
einzelnen Kapitel vertiefen sich nicht nur in Spezialwissen, sondern integrieren
auch die essentialia negotii des Prozessrechts elegant in die Ausführungen.
Infolge dessen kann man auch sein Wissen zu Vortrags- und Beweislast
auffrischen und dies dann auf die Besonderheiten der versicherungsrechtlichen
Streitigkeit adaptieren. Die Klauseln der Verträge werden stets mit aufgegriffen
und erklärt, idealerweise anhand der einschlägigen Rechtsprechung des BGH.
Hingewiesen wird auch, sofern passend, auf ungewöhnliche Konstellationen. So
führt Lange z.B. sehr informativ zur Frage aus, wie man die durch die
DS-GVO geschaffenen Rechte ggf. nutzen kann, um Informationen der Gegenseite zu
erhalten, die für die eigene Argumentation erforderlich sind (S. 33 ff.). Dabei
wird auch umfassend auf mögliche Einwände eingegangen.
Innerhalb
der Kapitel zu den speziellen Versicherungen sind die Erläuterungen eine gute
Mischung aus Definition der versicherungsvertraglich genutzten Begriffe und den
Auswirkungen auf den Prozess, d.h. wer muss welche Umstände darlegen und
beweisen. So wird bspw. bei den versicherten Gefahren der Wohngebäudeversicherung
(S. 217 ff.) zunächst aufgeführt, gegen welche Gefahren der Versicherungsnehmer
sein Haus versichern kann und wann diese Gefahr tatsächlich als eingetreten
angesehen werden kann. Ein Klassiker, selbst vor den Amtsgerichten, ist dabei der
Wasserschaden, den Hoenicke gut nachvollziehbar darstellt (S. 223 ff.),
etwa die Definition des Rohrbruchs, den Umfang der tatsächlichen
Austauschpflicht eines porösen Rohrs oder was überhaupt „aus einem Rohr“
bedeutet. Auch im Kapitel zur privaten Krankenversicherung (S. 637 ff.) stellt Wendt
anschaulich dar, welche verschiedenen Heilbehandlungsinstitutionen es für den
Versicherungsnehmer gibt und inwieweit der Versicherer in welchem Fall zur
Leistung verpflichtet oder zur vorherigen Prüfung berechtigt ist (S. 668). Gleichermaßen
werden in den einzelnen Kapiteln aber auch die vielen Pflichten des Versicherers
benannt und erläutert, deren Verletzung Folgen für den Versicherungsvertrag
oder den Anspruch des Versicherungsnehmers haben können. Dies kann exemplarisch
im Kapitel zur Lebensversicherung aufgezeigt werden (S. 561 ff.), wo Schnepp/Kipar
nicht nur die zeitliche Entwicklung der verschiedenen Informationspflichten
anhand der jeweiligen Verordnungen dokumentieren, sondern auch die möglichen Schadensersatzansprüche
des unzureichend beratenen Kunden darlegen (Rn. 243). Nicht fehlen dürfen
natürlich die Unterkapitel zum manipulativ oder kollusiv handelnden
Versicherungsnehmer, gut zu sehen etwa im Kapitel zur Kfz-Kaskoversicherung (S.
743 ff.), wenn der so genannte manipulierte Unfall vorgestellt wird (S. 798),
oder im Kapitel zur Rechtsschutzversicherung (S. 1425 ff.), wenn die vorsätzliche
Herbeiführung des Versicherungsfalls (S. 1449) mit ihren Konsequenzen v.a. für den
Versicherungsnehmer diskutiert wird (Binnendeckungsklage?).
Das
Handbuch ist umfangreich, detailliert, präzise und gut die Ausführungen sind
durchgehend mit aktueller Rechtsprechung untermauert. Die Autoren stellen die
jeweiligen Prozessmöglichkeiten für beide Prozessparteien ausgewogen dar,
sodass man kein Handbuch für den „Passivanwalt“ befürchten muss. Schön für die
Neuauflage fände ich neben den schon oben genannten gestalterischen Zusätzen eigene
bzw. mehr Ausführungen zu Photovoltaik-Anlagen. Diese sind nicht einmal im
Sachverzeichnis erwähnt, kommen aber in einigen Fußnoten schon vor, und werden
in den nächsten Jahren dank der Heizungswende für viele interessante
Streitigkeiten mit hohem Schadenspotential sorgen. Nachdem aber verschiedene
Versicherungsarten betroffen sein können, wäre wohl eher ein kurzes Kapitel im
Abschnitt E als Zusammenfassung denkbar. Aus meiner Sicht ist das Handbuch
durchgehend empfehlenswert, sowohl für den erkennenden Richter, für den
Allgemeinanwalt und natürlich den Fachanwalt.