Gubitz / Gerson / Hailer / Weber, Strafmaßfindung und Strafmaßverteidigung, 1. Auflage, C.F. Müller 2023
Von
RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl
In
der umfangreichen Reihe „Praxis der Strafverteidigung“ ist nun erstmals ein
eigener Band zur Rechtsfolgenbemessung erschienen, der auf knapp 400 Seiten inklusive
Verzeichnissen nicht nur die Strafmaßfindung, sondern auch die
Strafmaßverteidigung als Thema anbietet. Entsprechend der Aufteilung der
inhaltlichen Bereiche sortieren sich auch die Autorinnen und Autoren aus Justiz,
Wissenschaft und Anwaltschaft. Es ist erfreulich, dass insbesondere der
Strafmaßverteidigung als realistischer Alltagstätigkeit des Anwalts endlich
einmal ein eigenes Werk gewidmet wird. Denn ansonsten droht diese Variante
gegen die Platzhirsche „Freispruchverteidigung“ und „Verfahrensfehler
hervorrufen“ in der Fachliteratur immer zu kurz zu kommen – zu Unrecht, wie die
Autoren selbst konstatieren (S. 189-191).
Was
wird inhaltlich geboten? Zuerst geht es ganz klassisch um die möglichen
Strafen, Nebenstrafen, Maßregeln und die Einziehung. Hier gibt es nur einen kursorischen
Überblick, ebenso wie bei den tatsächlichen Feststellungen, die als Grundlage
für die Strafmaßfindung fungieren. Die Prinzipien der Strafzumessung kommen
dann ausführlicher zur Sprache, darunter die Präventionsvarianten, der Gleichbehandlungsgrundsatz
oder das Doppelverwertungsverbot. Umfassend geht es sodann um die Wahl des
Strafrahmens mit Verschiebungsoptionen, minder schweren Fällen und besonders
schweren Fällen sowie Konkurrenzfragen. Erst dann kommt es zur konkreten
Festlegung der Strafe anhand der Grundsätze des StGB. Hier werden sowohl die
Zumessungsbeispiele aus § 46 StGB als auch solche außerhalb des StGB erörtert,
wobei die Verfahrensdauer sowie die Tatverursachung durch staatliches Tun oder
Unterlassen zu Recht ein wenig mehr Platz eingeräumt bekommen als andere
Umstände. Nach einem kurzen Ausflug zur Geldstrafenbemessung geht es dann in
die originäre und die nachträgliche Gesamtstrafenbildung, eine allseits ungeliebte
Übung unter Strafrechtlern. Den Schlusspunkt bildet die Strafaussetzung zur
Bewährung, sowohl was die Prognosekriterien als auch was die denkbaren Auflagen
angeht. Dass in diesem ersten Teil die Nebenstrafen und Maßregeln nicht genauer
erläutert werden, ist nachvollziehbar, sorgt aber für Kohärenzlücken in der
Darstellung. Denn die Besonderheit des § 44 StGB wird auf S. 6 ausdrücklich
benannt, dass also die Hauptstrafe zu reduzieren wäre, wenn ein Fahrverbot
angeordnet wird, jedoch später nicht mehr aufgegriffen, wenn es um die
tatsächliche Bemessung der Freiheitsstrafe geht (Abschnitt E. ab S. 76 ff.).
Das könnte vielleicht in der Folgeauflage noch ergänzt und mit einer Binnenverknüpfung
unterlegt werden.
Im
zweiten Teil werden die Grundlagen der Strafmaßverteidigung aufbereitet, die
ja, wie die Autoren zutreffend klarstellen, nicht in Gegnerschaft zur
Freispruchverteidigung steht, sondern als Option eben auch beherrscht sein
will. Eingangs werden auch Aspekte benannt, die für einen Beschuldigten
relevant sein können, um ein bestimmtes Strafmaß zu akzeptieren, selbst wenn
sein Verteidiger meint, er könne noch ein besseres Ergebnis erzielen (S. 193).
Auch die durch die Verfahrensvorschriften selbst angelegten Spannungen zwischen
den Beteiligten müssen erkannt werden, um kommunikativen Fallen
entgegenzusteuern (S. 200). Die Empfehlung an den Verteidiger, auch bei
Straßmaßverteidigung nicht nur abzuwarten, sondern eigene Akzente zu setzen,
also dennoch offensiv zu verteidigen, ist zutreffend, bedarf aber i.d.R. einer genauen
Tatsachenbasis, die mancher Mandant nicht zu liefern imstande sein dürfte.
Sodann geht es darum, das Verteidigungsziel zu definieren und es später
umzusetzen. Der Berücksichtigung außerstrafrechtlicher Rechtsfolgen (S. 213
ff.) wird zu Recht ausreichend Aufmerksamkeit gewidmet, ebenso den Handlungsmöglichkeiten
bei drohender Einziehung (S. 269 ff.). En passant werden dann auch Alternativen
zum Urteil präsentiert, also Einstellungsmöglichkeiten oder das
Strafbefehlsverfahren, ebenso wie später die Verständigung nach § 257c StPO.
Die Art und Weise des Geständnisses wird differenziert dargestellt und auch die
prozessuale Rolle des Verteidigers bei Erklärungen des Beschuldigten erfasst
(S. 352; hier hätte durchaus noch stärker auf die Problematik der Vertretungsvollmacht
und die Rolle des Beschuldigten bei Erklärungen des Verteidigers eingegangen
werden können). Die Beschreibung weiterer aktiver Handlungsmöglichkeiten des
Verteidigers vom opening statement bis zum Schlussvortrag runden die Darstellung
sinnvoll ab.
Das
Werk liest sich flüssig und stellt einen schönen allgemeinen Überblick dar,
nicht aber eine Art allwissendes Handbuch mit konkreten Handlungsanweisungen.
Das heißt: Die Verteidigung muss man schon selbst hinkriegen, aber auf dem Weg
dorthin lassen sich mit diesem Buch etliche Verständnisschwierigkeiten im Umgang
mit dem StGB beseitigen und mit den zahlreichen praktischen Hinweisen kann man
seine eigene Vorgehensweise kritisch prüfen. Die Untermauerung der Ausführungen
mit einem dichten Fußnotenapparat zeigt zudem, dass die Autoren hier nicht vor
sich hinfabulieren, sondern aus dem vorhandenen Kontext zwischen Gesetz, Entscheidungen
des BGH und der Rezeption in der Kommentarliteratur einen Leitfaden für den
Verteidiger destillieren. Ob man sich dann alle Tipps und Ausführungen zu eigen
machen will oder nicht, bleibt jedem Rechtsanwender selbst überlassen. Und das
ist auch gut so. Strafverteidigung darf gerne ein „Kampf“ sein. Deshalb muss
sie aber noch lange nicht laut oder aggressiv sein. Sie muss nur erfolgreich
sein im Sinne des Mandanten.