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Rezension: Selbstverwaltung und Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung

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Hadank, Funktionale Selbstverwaltung und Staatsaufsicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung – Zu Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung in der gesetzlichen Krankenversicherung, zugleich eine Analyse und Einordnung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes, 1. Auflage, Duncker & Humblot 2022

Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., LL.M., Essen

Das Verhältnis zwischen funktionaler Selbstverwaltung und Staat ist nicht frei von Spannungen. Funktionale Selbstverwaltung meint dabei einen „historisch gewachsenen und von der Verfassung grundsätzlich anerkannten Bereich nicht-kommunaler Selbstverwaltung, der im Übrigen sehr heterogene Erscheinungsformen aufweist und zusammenfassend als funktionale Selbstverwaltung bezeichnet wird“ (BVerfG NVwZ 2003, 974 (976)). Grundlage der funktionalen Selbstverwaltung ist das Konzept der Selbstverwaltung durch die Betroffenen selbst, mithin „gesellschaftliche Kräfte zu aktivieren, den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten, die sie selbst betreffen und die sie in überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen können, eigenverantwortlich zu überlassen, und dadurch den Abstand zwischen Normgeber und Normadressat zu verringern“(BVerfG NJW 1972, 1504 (1506)). Insofern werden öffentliche Aufgaben bestimmten Selbstverwaltungskörperschaften zur Erledigung im Wege mittelbarer Staatsverwaltung übertragen. Die demokratische Legitimation ist umstritten (s. dazu etwa Engelmann, NZS 2000, 76 (77)), wird vom BVerfG aber nicht in Frage gestellt. Vielmehr geht das BVerfG in seiner Rechtsprechung davon aus, dass die funktionale Selbstverwaltung das demokratische Prinzip ergänze und verstärke und damit als Ausprägung dieses Prinzips verstanden werden könne (BVerfG NVwZ, 974 (976)).

Gleichwohl bestehen Grenzen für die Selbstverwaltung. So darf sich der Gesetzgeber – trotz der grdsl. zulässigen Autonomiegewährung – „seiner Rechtsetzungsbefugnis nicht völlig entäußern und seinen Einfluss auf den Inhalt der von den körperschaftlichen Organen zu erlassenden Normen nicht gänzlich preisgeben“ (BVerfG NJW 1972, 1504 (1506)). Dies geschieht maßgeblich durch die Aufsicht, die entweder als Fach- oder Rechtsaufsicht ausgestaltet ist. Im besten Falle – so Bogs bereits 1973 – möge das Verhältnis zwischen Aufsichtsbehörde und Versicherungsträger das einer „spannungsvollen Kooperation“ sein (Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S 187).

Mit diesem Verhältnis von funktionaler Staatsverwaltung und Aufsicht befasst sich nun auch Hadankin seiner im Jahr 2021 an der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommenen und kürzlich bei Duncker & Humblot erschienenen Arbeit. Dabei liegt der Fokus des Werks auf dem besonderen Verhältnis im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Bereits der Untertitel des Werks setzt dabei den Rahmen, will sich Hadank doch nicht nur mit Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung“ beschäftigen, sondern zugleich auch eine „Analyse und Einordnung des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes“vornehmen.

Das vorliegende Druckwerk befindet sich, Rechtsprechung und Literatur betreffend, auf dem Stand von Oktober 2021. Es ist in eine Einführung sowie sechs Kapitel gegliedert. Zunächst skizziert Hadank die Ausgangslage sowie den Gang der sich anschließenden Untersuchung („Einführung“). Beginnend mit einem historischen Abriss (S. 20 ff.) und einer kursorischen Darstellung sowohl des Forschungsstands (S. 22 f.) als auch der Funktionen der Staatsaufsicht (S. 23 ff.) zeigt Hadank sodann das Ziel seiner Untersuchung („Erhoffter Ertrag“) auf, bestehend aus einer „kritische[n] Bestandsaufnahme des Verhältnisses von (funktionaler) Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht, allerdings begrenzt auf das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung“ (S. 26). Hieraus leitet sich der Aufbau des Werks ab (S. 29 f.).

Gewissermaßen als Voraussetzung für die folgenden Analysen widmet sich der Verfasser dem „Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht“ (Kapitel 1). Die Bezeichnung als „Spannungsverhältnis“wird im Ergebnis als dialektisches Verhältnis gedeutet, wonach sich Selbstverwaltung und Staatsaufsicht zwar bedingen und doch gleichzeitig gegensätzlich sind (S. 33). Sodann werden Teile des Spannungsverhältnisses untersucht (S. 33 ff.), wobei auch grundlegende Aspekte (etwa Abgrenzung Rechtsaufsicht vs. Fachaufsicht (S. 56) oder Fragen der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung (S. 78 ff.)) behandelt werden.

Es folgen Ausführungen zu einer „Konzeptidee für die wechselseitige Regulierung von funktionaler Selbstverwaltung und Staatsaufsicht“ (Kapitel 2). Dabei wird gewissermaßen der Versuch unternommen, eine Theorie dieses Spannungsverhältnisses aufzustellen. Richtigerweise stellt der Verfasser dabei fest, dass das dialektische Verhältnis von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht „regelmäßig keiner absoluten Auflösung, sondern einer (wechselseitigen) Regulierung“ bedürfe (S. 127), was zugleich den Grundstein für die Reformvorschläge im fünften Kapitel legt. Gut gefallen hat mir hier, dass Hadank neben der Aufsichtsgesetzgebung auch die Aufsichtspraxis in den Blick nimmt, darauf hinweisend, dass selbstverständlich – was aber bisweilen vernachlässigt wird – die Ausübung der Aufsichtsbefugnisse einen wesentlichen Teil der Ausprägung des Verhältnisses zwischen Aufsichtsbehörde und Selbstverwaltungskörperschaft ausmacht (S. 126).

Darauf aufbauend folgen Überlegungen betreffend „Grund und Grenzen der Aufsichtsgesetzgebung“ (Kapitel 3). Insofern setzt sich Hadankmit den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Aufsichtsgesetzgebung auseinander und fragt etwa nach Verfassungsvorgaben zum „Ausbalancieren des Spannungsverhältnisses“ (S. 133). Wenngleich die Ausführungen in rechtstheoretischer Hinsicht überaus interessant zu lesen sind und wertvolles Hintergrundwissen schaffen, so bleibt doch recht wenig Ertrag übrig, was angesichts der fehlenden verfassungsrechtlichen Absicherung (S. 131) nicht überrascht. Gleichwohl wird hier schön herausgearbeitet, wie relevant doch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (S. 178) ist, während die „maßvolle Ausübung der Aufsicht“ sich nicht auf die Gesetzgebung, sondern nur auf die Ausübung der Aufsichtsrechte beschränkt (S. 171).

Es schließt sich die im Untertitel des Werks angekündigte „Analyse des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes“ (Kapitel 4) an. Zunächst werden der Gesetzeskontext (S. 179) sowie der Maßstab für die Untersuchung (S. 182 ff.) skizziert. Sodann folgt die Analyse, wobei Hadank zwischen externen (S. 185 ff.) und internen Kontrollmechanismen (S. 225 ff.) unterscheidet. Die Ausführungen sind insgesamt interessant zu lesen und geben einen guten Überblick über die Inhalte des Gesetzes. Teilweise hätte ich mir aber tiefergehendere Ausführungen gewünscht. So sind zwar Ausführungen zur Berichtspflicht über Beteiligungsverhältnisse enthalten (S. 227 ff.) und auch zum Zustimmungsvorbehalt der Selbstverwaltung bei Abschluss künftiger Beteiligungen an externen Einrichtungen (S. 237 f.); hier wäre jedoch – über die gesetzliche Regelung hinaus – auch ein Vergleich mit den gesetzlichen Krankenkassen an sich überaus aufschlussreich gewesen. So erschließt sich dem interessierten Leser hier nicht, warum die neu statuierten Pflichten im System der Krankenkassen und ihrer Verbände nur den GKV-Spitzenverband treffen sollen und nicht auch die einzelnen Krankenkassen. Gleiches gilt für das neu eingefügte Recht der Aufsichtsbehörde, vor ihrer Entscheidung über die Genehmigung eines Vorstandsdienstvertrages beim GKV-Spitzenverband eine unabhängige rechtliche und wirtschaftliche Bewertung des Vertrages verlangen zu dürfen (§ 217b Abs. 2 S. 7 SGB V). Ungeachtet der m.E. unklaren Sinnhaftigkeit dieser Vorschrift erschließt sich doch nicht, warum eine derartige Vorschrift nur für bestimmte Organisationen gelten soll, nicht aber in den grundsätzlich geltenden § 35a Abs. 6 SGB IV eingefügt wurde, sodass die Vorschrift für alle Krankenkassen und Verbände Anwendung finden würde. Im Ergebnis kritisiert Hadankdie Ausweitung der Aufsichtsrechte durch das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes (S. 258) ebenso wie die Einfügung neuer Transparenzregelungen (S. 261). Schließlich setzt sich der Verfasser noch mit den letztlich nicht umgesetzten Reformvorhaben auseinander (S. 264 ff.) und nimmt eine abschließende Bewertung des Gesetzes vor (S. 285 ff.)

Trotz der Ausweitungen der Aufsichtsrechte macht Hadank im Ergebnis ein „Spannungsverhältnis“zwischen Selbstverwaltungskörperschaft und Aufsichtsbehörde aus, das zu regulieren sei. Aus den Ergebnissen der vorherigen Kapitel folgend unterbreitet er daher einen Vorschlag für eine „schonende Regulierung“ dieses Verhältnisses (Kapitel 5). Hier schlägt der Verfasser erstens eine Stärkung der funktionalen Selbstverwaltung vor, bestehend aus dem Dreiklang Beseitigung von Legitimationsdefiziten – insbesondere bei der Besetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses – (S. 293 ff.), Professionalisierung der Selbstverwaltung (S. 309 ff.) sowie Vermeidung von Machtkonzentration (S. 315). So kritisiert Hadankdie Inkompatibilitätsregelung des § 51 Abs. 6 Nr. 5 SGB IV, wonach eine Beschäftigung bei einem Versicherungsträger oder dessen Verbänden der Wählbarkeit zum Verwaltungsrat entgegensteht, und will stattdessen Beschäftigte von Krankenkassen aufgrund ihres Sachverstandes vermehrt in die Selbstverwaltung einbinden, wovon er sich eine Professionalisierung erhofft (S. 314 f.). Der Gefahr etwaiger Korruption sollen neue Transparenzregelungen entgegenwirken (S. 315), was allerdings nicht auf ganzer Linie überzeugt. Hier hätte ich mir noch tiefergehendere Ausführungen gewünscht, wie solche Transparenzregelungen aussehen könnten und inwieweit sie Interessenkollisionen tatsächlich vermeiden mögen. Zweitens soll die Effizienz der Staatsaufsicht gesteigert werden, einerseits durch eine Deregulierung des Fachrechts (S. 323 ff.), andererseits durch eine Harmonisierung der Aufsichtsstrukturen (S. 330 ff.). Hier spiegelt sich in aller Klarheit der maßgebliche Grundgedanke der Arbeit wider: So will Hadankdie funktionale Selbstverwaltung nicht zu einer „sog. Selbstverwaltung“(so Schlegel, jM 2021, 129) verkommen lassen, sondern durch größere Freiheiten, eine Deregulierung der gesetzlichen Vorschriften und eine weniger invasive Aufsicht wieder zu einer wirklichen „Selbstverwaltung“ entwickeln. Hingegen tendiert der Gesetzgeber, was wohl auch das Ergebnis HadanksAnalyse des GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes ist, eher in die entgegengesetzte Richtung.

Abschließend fasst Hadankdie wesentlichen Ergebnisse noch einmal zusammen (Kapitel 6). Ein umfassendes Literatur- sowie ein Sachwortverzeichnis runden das Werk ab.

Insgesamt ist dem Verfasser eine lesenswerte Arbeit gelungen. Die Struktur der Ausführungen ist klar durchdacht, sodass der Leser sich stets im Werk zurechtfindet. Überdies ist die Literaturauswertung sehr umfassend geraten. Teilweise sind die Ausführungen doch eher theoretischer, grundsätzlicher Natur, teilweise auch sehr auf den Gemeinsamen Bundesausschuss fokussiert. So hätte ich mir das ein oder andere Mal mehr Bezüge und Ausführungen zu den gesetzlichen Krankenkassen an sich sowie auch eine vertieftere Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Normen gewünscht. Gleichwohl vertieft die Auseinandersetzung vor allem mit den Grundstrukturen der funktionalen Selbstverwaltung – sowie ihrem Verhältnis zur Staatsaufsicht – das Verständnis der Zusammenhänge im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Lektüre des Werks ist folglich insbesondere allen zu empfehlen, die mit Fragen des Organisationsrechts in der Sozialversicherung betraut sind oder sich hierfür interessieren.


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