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Rezension: Sozialgerichtsbarkeit im Blick

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Baldschun / Dillbahner / Sternjakob / Weyrich (Hrsg.), Sozialgerichtsbarkeit im Blick – interdisziplinäre Forschung in Bewegung, 1. Auflage, Nomos-Verlag 2021

Von RA'in, FA'in für Sozialrecht Marianne Schörnig, Düsseldorf

Das Buch ist die Bündelung von Vorträgen anlässlich der Fachkonferenz der Nachwuchsgruppe „Die Sozialgerichtsbarkeit und die Entwicklung von Sozialrecht und Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland“ am 21. und 22.09.2020. Die Vortragenden waren in erster Linie Lehrende und wissenschaftliche Mitarbeiter im Sozialrecht und im Öffentlichen Recht an Universitäten (von 28 Autoren 24), zwei Richter, ein Anwalt und ein (!) Autor, der nur in der Verwaltung tätig ist.

Die Vorträge sind zusammengefasst in vier Teile: „Impulse“, „Zugang zu Recht und Gericht“, „Öffentliche Diskurse und nicht-juristisches Wissen in der Rechtsprechung“, „Anforderungen an sozialstaatliche Konfliktlösungsverfahren“.

Teil eins, „Impulse“, befasst sich mit den Ideen, Vorstellungen und gesellschaftlichen Strömungen, die sich auf Sozialrecht auswirken; hier am Beispiel der Rechtsprechung: Einmal anhand der Rechtsprechung zur Rente wegen voller Erwerbsminderung, die sich erst aufgrund von Erkenntnissen über die „üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes“ änderte, weiterhin wird die Rechtsprechung zu den sog. „Ghettorenten“ genannt, die sich erst nach historischer Forschung (wann lag ein „Ghetto“ im 2. Weltkrieg vor?) entwickelte.

Teil zwei: „Zugang zu Recht und Gericht“: Hier geht es um die Vertretung und Wahrnehmung klägerischer Interessen durch Verbände vor den Sozialgerichten (im Sozialrecht befeuert dadurch, dass es nur vor dem Bundessozialgericht Anwaltszwang gibt). Dazu ein Vergleich zum Zugang zum Recht und Rechtsschutz im schweizerischen Recht.

„Öffentliche Diskurse und nicht-juristisches Wissen in der Rechtsprechung“ befasst sich mit aktuellen Themen, die in das Sozialrecht mit hineinspielen, wie den sog. „Off Label use“ im Krankenversicherungsrecht (= ein Medikament, das für eine bestimmtes Krankheitsbild zugelassen ist, wird für eine andere Therapie verwendet; auch bekannt als „zulassungsüberschreitende Anwendung“).

„Anforderungen an sozialstaatliche Konfliktlösungsverfahren“: Welche anderen Schlichtungsmöglichkeiten es im Sozialrecht außerdem gibt. Genannt sind hier die Schiedsstellen, aber auch die gemeinsame Selbstverwaltung oder Verwaltungspraxis an sich.

Man merkt, dass alle Autoren aus der Lehre kommen. Praxisbezug findet sich nur an wenigen Stellen. Die Sozialgerichtsbarkeit wird in weit über der Hälfte aller Fälle von der Medizin beeinflusst; sei es nun durch den erwähnten „Off Label use“, aber auch auf dem Gebiet der Rentenversicherung, des Teilhaberechts, des Rehabilitationsrechts. In Anbetracht dessen wundert es sehr, dass kein einziger Mediziner mit von der Partie ist. Gerade auch in dem Teil über Konfliktlösungsmöglichkeiten hätte es sich angeboten, auch Praktiker zu Wort kommen zu lassen. Anstatt einen Beitrag über die Verwaltungspraxis der Optionskommunen (im SGB II) mit dem Blick „von außen“ zu verfassen (auch diese Autorinnen stammen aus der Forschung), hätte man auch Teilnehmer zu Wort kommen zu lassen.

„Interdisziplinär“? Zwischen welchen Disziplinen denn? Sozialrecht und was noch? Medizin ist es jedenfalls nicht. Wirtschaftswissenschaften (auch wenn der Bund der Steuerzahler genannt wird) auch nicht. Für Forschende und Lehrende bietet das Buch einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand. Alle anderen dürften sich nicht angesprochen fühlen.


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