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Rezension: Das neue Schuldrecht

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Brönneke / Fröhlich / Tonner, Das neue Schuldrecht, 1. Auflage, Nomos 2021

Von RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl

Im Nomos-Verlag erscheinen in der gelben Reihe NomosPraxis seit einigen Jahren Bücher, die auf rechtliche Neuerungen spezialisiert sind. Diese sind von Vornherein nicht darauf angelegt, Evergreens der Ausbildungsliteratur zu werden, sondern in überschaubarem Umfang neue Gesetze und Verordnungen darzustellen und die möglichen Auswirkungen auf die Praxis anzureißen. Das nun vorliegende Werk zum „neuen“ Schuldrecht hat seine Existenzberechtigung aus dem Umstand, dass das Schuldrecht des BGB etwa 20 Jahre nach der großen Schuldrechtsreform aus dem Jahr 2002 wieder vor einschneidenden Veränderungen steht, maßgeblich ausgelöst durch die Umsetzung europäischer Richtlinien und die Digitalisierung der Geschäftswelt. Dass man für ein Buch von weniger als 300 Seiten elf verschiedene Autoren braucht, ist zwar ungewöhnlich, aber vertretbar, wenn die verschiedenen Kapitel Spezialwissen erfordern.

Insgesamt neun Kapitel harren der Lektüre. Diese befassen die Leser mit den Transparenzpflichten für Online-Marktplätze, mit der Umsetzung der Digitale Inhalte Richtlinie, mit neuen Widerrufsrechten und der Digitalisierung im Verbrauchsgüterkaufrecht. Weitere Abschnitte widmen sich dem Unternehmerrückgriff, dem Datenschutz bei digitalen Produkten, digitalen Produkten im Miet- und Werkvertragsrecht sowie der Durchsetzung von Verbraucherschutzvorschriften. Die Kapitel halten dabei überwiegend einen ähnlichen Umfang ein, sodass man nicht das Gefühl haben muss, dass einzelne Themen vernachlässigt werden.

Die Gestaltung ist textlastig, immerhin mit echten Fußnoten und Fettdruck für Schlagwörter. Beispiele, Hinweise, Formulierungsvorschläge, Grafiken oder Schaubilder sucht man vergeblich, was doch verwundert, da ein Großteil der Autoren von der Hochschule Pforzheim stammt, wo man die Aufbereitung von Inhalten für ein studentisches Publikum sicherlich nicht nur mit einer Bleiwüste vornimmt.

Die Integration der zugrunde liegenden Richtlinien ist ein echter Kraftakt für das deutsche Rechtssystem, was die Autoren an vielen Stellen betonen. Der Schritt zu einem europäischen Vertragsrecht wurde noch nicht gegangen, sodass nun an mancher Stelle kleinere Friktionen zu Tage treten, die der Gesetzgeber umschiffen musste (vgl. S. 36). Hierauf weisen die Autoren stets hin.

Das zweite Kapitel zu den neuen §§ 327 ff. BGB ist mit das Herzstück des Buches. Die Autoren arbeiten nicht nur den Gesetzestext übersichtlich ab, sondern setzen die Normen in Bezug zu den europarechtlichen Grundlagen, stellen wichtige Neuerungen heraus und machen Problemkreise deutlich, die sich aus den unterschiedlichen Rechtskulturen (Verjährungsbegriff, S. 77), aber auch schlicht aus der Umsetzung des Gesetzgebers ergeben haben. So wird die fehlende Regelung des Schadensersatzrechts erläutert (S. 35), die Problematik von Daten als Gegenleistung (S. 42) und die Hergabe von Daten als Vertragsschluss (S. 44), die Erläuterung des neuen Mangelbegriffs (S. 59 ff.) oder die Updatepflicht (S. 68; dazu auch S. 158 beim Warenkauf und S. 221 zum Datenschutz bei Updates).

Aber auch im vierten Kapitel zum Warenkauf werden viele Fallstricke des neuen Rechts aufgedeckt, sodass man sich anhand der gegebenen Informationen gleich Prüfungsanleitungen erstellen kann. So wird auf den ein wenig versteckten § 475 Abs. 3 S. 2 BGB n.F. verwiesen, der für Verbraucherverträge den § 442 BGB ausschließt (S. 141) oder die neuerdings mögliche Mängelhaftung für Mogelpackungen (S. 142). Ebenfalls interessant ist die Aufwertung von Industrienormen durch die WKRL, die gemeinschaftsrechtswidrig nicht umgesetzt wurde, aber im Wege der Auslegung ihren Weg in die deutschen Rechtsstreitigkeiten finden wird (S. 145). Hochgradig spannend wird auch der Umgang mit dem neuen Begriff der „Haltbarkeit“ in § 434 Abs. 3 S. 3 BGB n.F. sein, der u.a. prozessual die Problematik der ausgelassenen Wartungsobliegenheit des Verbrauchers ins Spiel bringen (S. 147), aber auch für die Garantiebestimmungen wichtig werden wird (S. 172).

Zugleich wird aber auch an vielen Stellen versucht, die neuen Begriffe plastisch zu machen (S. 39/40: was sind digitale Inhalte? was sind Erbringungshandlungen?) oder auch die Reichweite von Verbraucherrechten zu bestimmen (gibt es einen missbräuchlichen Widerruf?, S. 114). Praktische Probleme (Bestimmung der Rücksendekosten bei Speditionsversand, S. 129) werden mit Lösungsansätzen versehen. Auch der neue „Kündigungsbutton“, der erst kurzfristig für elektronisch geschlossene Dauerschuldverhältnisse in den neuen § 312k BGB aufgenommen wurde, wird aufschlussreich erläutert (S. 230 ff.).

Im – thematisch bedingt mitunter etwas sperrigen – Kapitel zum Datenschutz werden neben den theoretischen Grundlagen auch viele praktische Konstellationen zur Sprache gebracht, die neben der rechtlichen Betrachtung auch die ökonomische Seite in den Blick nehmen: Daten als geldwerte Ware. Hier werden zu Recht Versicherungsverträge benannt (S. 196), aber auch das Steuerrecht, wenn es um die Verwertung von Daten geht (S. 197).

Das Buch kommt rechtzeitig auf den Markt, ist sehr hilfreich und dabei auch zügig lesbar, was ein echtes Qualitätsmerkmal ist. Was ich mir in einzelnen Kapiteln neben einer optischen Aufbereitung manchmal deutlicher gewünscht hätte, wäre der Prozessbezug und der Einfluss auf die Rechtsberatung. Dennoch von meiner Seite aus eine klare Lektüreempfehlung. Das Werk wird in den ersten Monaten der Rechtsumstellung ein wichtiger Begleiter für alle Praktiker sein.


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