Quantcast
Channel: Die Rezensenten
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2717

Rezension: Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft

$
0
0

Meyer, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft, 1. Auflage, Duncker & Humblot 2021

Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., LL.M., Essen

Rechtsprobleme rund um die Organe der Aktiengesellschaft bilden stets einen interessanten und zugleich praktisch bedeutsamen Untersuchungsgegenstand. Die praktische Tätigkeit der Organe wird von einer zunehmenden Zahl und Dichte an Regelungen bestimmt, die sich in einem Band nur noch schwerlich erfassen und zugänglich machen lassen, sodass sich bereits mehrere Handbücher hierzu herausgebildet haben, so etwa zum Aufsichtsrat von Goette/Arnold („Handbuch Aufsichtsrat“, C.H. Beck 2021) und Lutter/Krieger/Verse („Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats“, 7. Aufl., Otto Schmidt, 2020) sowie zum AG-Vorstand von van Kann („Vorstand der AG“, Erich Schmidt 2021, Besprechung hierim Blog). Doch vermag dies die vertiefte Auseinandersetzung mit bestimmten Fragestellungen nicht zu ersetzen.

Insofern bieten monographische Darstellungen vielfach einen Mehrwert, der sich nicht in der wissenschaftlichen Aufbereitung eines spezifischen Problems erschöpft, sondern gleichzeitig auch einen Nutzen für die Aufsichtsratspraxis bietet. In diesem Sinne gebührt auch der nunmehr erschienenen Arbeit „Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft“ von Moritz Meyer Beachtung, die im Jahr 2020 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommenen wurde und nun bei Duncker & Humblot erschienen ist. Dabei macht der Verfasser bereits in der Einführung transparent, dass die behandelten Interessenkonflikte bereits mehrfach untersucht worden sind, so vor allem von Krebs(„Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten“, 2002), Berner(„Offenlegung von Interessenkonflikten“, 2017) und Wardenbach („Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde als Bestellungshindernisse zum Aufsichtsrat der AG“, 1996). Gleichwohl und insbesondere aufgrund des weiterhin nicht geklärten Gesamtsystems erscheint die neuerliche Untersuchung gewinnbringend, verspricht der Verfasser doch bereits zu Beginn, dass „ein schlüssiges System herausgearbeitet und entwickelt werden [soll], das in erster Linie die zu ergreifenden Maßnahmen im Fall eines bestehenden Interessenkonflikts im Aufsichtsrat umfasst, des Weiteren aber auch die Rechtsfolgenseite berücksichtigt und alledem vorgelagerte, durch Interessenkonflikte bedingte Anforderungen und Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Auswahl und Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern mit einbezieht“ (S. 27).

Meyer beginnt mit einer Einführung, in der Gegenstand und Untersuchungsgang skizziert werden (§ 1). Sodann widmet er sich dem „Auftreten von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat“ (§ 2). Dieses Kapitel erscheint zwar zunächst als eher allgemeines, bildet jedoch den Grundstein für die spätere vertiefende Untersuchung. So werden hier die Organe der Aktiengesellschaft in gebotener Kürze dargestellt (S. 30 ff.) sowie das Potential von Interessenkonflikten eruiert (S. 44 ff.). Besonders gefallen hat mir der Abschnitt, in dem sich der Verfasser mit dem Begriff des „Interessenkonflikts“ grundlegend auseinandersetzt und dessen Dogmatik und Typologie genauer unter die Lupe nimmt (S. 57 ff.). So überrascht es, dass ein so wesentlich scheinender Begriff wie der des „Interessenkonflikts“ erst im Jahr 2020 Eingang ins Aktiengesetz gefunden hat (S. 59). Meyer nähert sich dem Begriff in verschiedener Weise und führt ihn sodann – m.E. überzeugend – einer Definition zu, die den Begriff handhabbar macht (S. 66). Anschließend geht der Verfasser noch der Feststellung (S. 70 ff.) sowie den Arten von Interessenkonflikten (S. 74 ff.) nach und grenzt schließlich die Interessen- von der Pflichtenkollision ab (S. 85 ff.).

Ein Interessenkonflikt kann bereits präventiv vermieden werden. Dies geschieht maßgeblich in der Weise, dass bestimmte Personen von einer Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied bereits vorab ausgeschlossen werden. Meyer setzt sich mit derartigen Inkompatibilitätsansätzen, gleich ob geschrieben oder ungeschrieben, vertieft auseinander (§ 3), kommt aber gleichwohl zu dem ernüchternden Ergebnis, dass jedenfalls de lege lata„dem Gedanken der Konfliktvermeidung letztlich nur eine eingeschränkte Bedeutung attestiert werden“ könne (S. 136).

Liegt ein Interessenkonflikt erst einmal vor, bestehen diverse Maßnahmen zur Bewältigung, mit denen der Verfasser sich im vierten Kapitel auseinandersetzt (§ 4). Hervorzuheben ist die Offenlegung von Interessenkonflikten (S. 145 ff.), die von Meyerüberaus sorgfältig in ihren Voraussetzungen und Folgen herausgearbeitet wird. Hat das Aufsichtsratsplenum befunden, dass ein Interessenkonflikt vorliegt, so wird vielfach ein in Abhängigkeit von der Konfliktschwere erfolgender Stimmrechtsausschluss für den Betroffenen erwogen, was allerdings mit zu vielen Unwägbarkeiten verbunden sei (S. 198). Insofern schlägt Meyer ein verbindliches und standardisiertes Handlungsprogramm vor, was einen wesentlichen Schwerpunkt der Arbeit bildet. Das Handlungsprogramm sieht maßgeblich einen Teilnahmeausschluss vor (S. 200 ff.), wobei der Verfasser gleichzeitig ein restriktiveres Verständnis des „Interessenkonflikts“ als gewöhnlich angenommen zugrunde legt (S. 236), was den durchaus schwerwiegenden Eingriff des Teilnahmeausschlusses gewiss etwas weniger drakonisch erscheinen lässt. Nicht unbeachtet soll bleiben, dass auch sich aus einem Teilnahmeausschluss ergebende Folgeprobleme gesehen und behandelt werden (etwa Auswirkungen auf paritätisch mitbestimmte Aufsichtsräte, S. 236).

Schließlich geht Meyer noch auf die möglichen Folgen eines Interessenkonflikts ein (§ 5). Maßgeblich sind insofern insbesondere mögliche Auswirkungen auf die Beschlüsse des Aufsichtsrats (S. 259 ff.) sowie auf die Haftung gegenüber der Aktiengesellschaft (S. 272 ff.). Eine Zusammenfassung (§ 6) sowie Literatur- und Stichwortverzeichnis runden das Werk ab.

Die Thematik ist– auch für nicht regelmäßig mit Praxis bzw. Recht des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft befasste Leser – überaus interessant, werden gewichtige Interessenkollisionen doch von Zeit zu Zeit auch öffentlich diskutiert. Gleichzeitig erscheinen wesentliche Teile des Werks auch für andere Rechtsgebiete von Interesse, so etwa im Hinblick auf die Selbstverwaltung in Kommunen und in der Sozialversicherung, wo ebenfalls Interessenkonflikte auftreten (können), denen zu begegnen ist. Der Arbeit liegt insgesamt eine sehr gründliche Literatur- und Rechtsprechungsauswertung zugrunde, was man dem Werk auf jeder Seite anmerkt und was zu einer hohen Qualität der Untersuchung führt. Auch die Meinungsfreudigkeit des Verfassers überzeugt, der hier keinesfalls eine meinungsfreie Überblicksarbeit vorgelegt hat, sondern mit seinen Ausführungen die Diskussion tatsächlich bereichern möchte, was ihm weithin auch gelingt.

Zusammenfassend kann das Werk mithin allen zur Lektüre empfohlen werden, die regelmäßig mit Fragestellungen rund um den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft konfrontiert werden. Künftige Ausführungen und Diskussionen betreffend Interessenkonflikte im Aufsichtsrat werden an der Arbeit von Meyer sicherlich nur schwerlich vorbeikommen.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 2717