Van Kann (Hrsg.), Vorstand der AG – Corporate Governance, Compliance, Haftungsvermeidung, 3. Auflage, Erich Schmidt 2021
Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., LL.M., Essen
Der Vorstand der Aktiengesellschaft hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten (§ 76 Abs. 1 AktG). Ihm kommt damit in der Verfassung der Aktiengesellschaft eine maßgebliche Rolle – die des geschäftsführenden Leitungsorgans – zu. Insofern verwundert es nicht, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen den Vorstand einer AG betreffend in vielfacher Hinsicht Gegenstand von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sind. Dabei gewinnen seit geraumer Zeit vor allem Fragen der Haftung und Compliance stetig an Gewicht. Die das Rechtsverhältnis sowie die Tätigkeit des Vorstands betreffenden Regelungen füllen mittlerweile viele Regalmeter und werden zudem umfangreich in den großen AktG-Kommentaren behandelt. Bei aller wissenschaftlichen Auseinandersetzung samt den damit einhergehenden Meinungsstreitigkeiten wünschen sich insbesondere Juristen in den Rechtsabteilungen von Aktiengesellschaften doch oftmals ein prägnantes Werk mit spezifischem Blick auf die Erfordernisse der täglichen Praxis. An diese Zielgruppe wendet sich das von Jürgen van Kann im Erich Schmidt Verlag herausgegebene Werk „Vorstand der AG“, das nunmehr in 3. Auflage erschienen ist. Als ausdrücklich „von Praktikern für Praktiker“ (S. 5) verfasstes Handbuch können hier theoretische, aber in der Praxis weithin unbedeutende Streitfragen überwiegend außer Acht gelassen werden. Gleichzeitig ermöglicht das Format des „Handbuchs“ eine Bündelung relevanter Fragen und ermöglicht so eine thematische Konzentration. Um dies bestmöglich zu verwirklichen, hat van Kann 13 Autoren versammelt, die jeweils nahezu hälftig aus der Beratungspraxis sowie aus Rechtsabteilungen von DAX- bzw. MDAX-Aktiengesellschaften und damit sowohl das geltende Recht, andererseits aber auch die tägliche Praxis kennen.
Im Inneren folgt das Werk einem typischen Handbuchaufbau. Die einzelnen Themenkomplexe werden der Reihe nach in 13 Kapiteln behandelt. Dabei bilden die ersten neun Kapitel gewissermaßen den „allgemeinen Teil“, der weithin alle Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften betreffen dürfte. Hier widmet sich zunächst van Kannselbst der Bestellung und Anstellung (Kap. 1). Es schließen sich Ausführungen zu Leitung, Haftung und Verantwortlichkeit an (Kap. 2-4). Sodann folgen die für den Vorstand als Person so wichtigen Themen Vergütung (Kap. 5), Steuern (Kap. 6) und D&O-Versicherung (Kap. 7). Die Kapitel zum Verhältnis zu anderen Organen der AG (Kap. 8) sowie zur Compliance (Kap. 9) runden den „allgemeinen Teil“ ab.
Dabei sind die Ausführungen von Petersen zur Haftung von Vorstandsmitgliedern (Kap. 3) herauszuheben. Diese Thematik, die seit der BGH-Entscheidung ARAG/Garmenbeck (NJW 1997, 1926) erheblich und kontinuierlich an Brisanz gewonnen hat, wird vom Autor erfreulich klar gegliedert. Nach kurzer Einleitung (Rn. 1 ff.) wird zunächst die Innenhaftung anhand der Tatbestandsmerkmale des § 93 Abs. 2 S. 1 AktG systematisch abgehandelt (Rn. 5 ff.), wobei auch weitere Anspruchsgrundlagen gebührend berücksichtigt werden (Kap. 3, Rn. 69 ff.). Anschließend diskutiert Petersendie de lege lata fragliche Begrenzung der Innenhaftung wegen Unbilligkeit (für die er sich de lege ferenda eine eindeutige Grundlage wünscht, Rn. 110) sowie einen Haftungsausschluss hinsichtlich kartellrechtlicher Geldbußen (den er zwar in Folge der Sehlbach-Entscheidung des LAG Düsseldorf [NJOZ 2015, 782] befürwortet, für den jedoch die rechtliche Einschätzung der ordentlichen Gerichte noch abzuwarten sei, Rn. 120). Zur Außenhaftung werden sodann die wichtigsten Fälle der Inanspruchnahme durch Dritte ausführlich dargeboten (Rn. 121 ff.), bevor noch in gebotener Kürze die umstrittenen eigenen Ersatzansprüche der Gläubiger (§ 93 Abs. 5 AktG) kritisch beleuchtet werden. In seiner Schlussbetrachtung fordert Petersen folgerichtig eine Haftungsbegrenzung für Vorstandsmitglieder und schlägt insofern eine Orientierung an den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs vor (Rn. 196).
In weiteren vier Kapiteln werden besondere Fragen systematisch zusammengefasst, so zur Europäischen AG (Kap. 10), zur Börsennotierten AG (Kap. 11) sowie zum Vorstand im Konzern (Kap. 12). Abschließend befassen sich Matthes-Brandscheid/Zilles noch mit Sicherheitsmaßnahmen (etwa Personenschutz) für den Vorstand im Zusammenhang mit der Stellung des Vorstands (Kap. 13). Bei alldem lockern Beispiele, kleine Beispielsfälle mit Lösungen sowie Aufzählungen das ohnehin sehr gut gegliederte und lesbare Schriftbild auf und tragen ihren Teil zum Gelingen des Werks bei.
Abseits der 13 Kapitel verfügt das Handbuch neben den üblichen Verzeichnissen noch über zwei Besonderheiten: Erstens enthält das Werk einen 27 Seiten umfassenden Anhang mit wichtigen Mustertexten, etwa für einen Vorstandsdienstvertrag (S. 425 ff.), für die Bestellung durch den Aufsichtsrat (S. 423), für eine Aufhebungsvereinbarung (S. 443 ff.) sowie für eine Geschäftsordnung für den Vorstand (S. 447 ff.). Zweitens erhält der Leser mit dem Erwerb der Druckausgabe zugleich einen digitalen Zugriff auf die Mustertexte in bearbeitbarer Fassung (Freischaltcode auf S. 471). Dies macht ein andernfalls erforderliches „Abtippen“ obsolet, was gerade in Anbetracht der aktuellen Digitalisierungsetappe auch aus der Zeit gefallen schiene, wenngleich dies immer noch nicht überall als Standard etabliert ist. Beides – sowohl die Mustertexte als auch ihre digitale Verfügbarkeit – dürfte die mit der Erstellung solcher Texte verbundene Arbeit, gerade in kleineren Gesellschaften, deutlich reduzieren, zeugt zudem vom Praxischarakter des Werks und gefällt mir daher überaus gut.
Das Werk von van Kann ist getreu dem eingangs erwähnten Leitspruch „von Praktikern für Praktiker“ gewiss kein Werk für die Rechtswissenschaft, sondern ein funktionales Handbuch für die tägliche Praxis. Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass hier an Nachweisen gespart würde: Literatur- und Rechtsprechungsnachweise sind elementarer Bestandteil eines fein austarierten Fußnotenapparats. Wer allerdings vertiefte Abhandlungen zu bestimmten juristischen Fragen sucht, der wird sicherlich auch künftig an den Bearbeitungen in den gängigen Kommentaren zum Aktiengesetz nicht vorbeikommen. Gleichwohl hat der Buchmarkt absolut Platz für ein Werk wie das vorliegende: Nicht nur zum Einstieg oder Überblick, sondern gerade auch für das Tagtägliche ist das Handbuch zum „Vorstand der AG“ eine gelungene Lektüre. Neben den „Rechtsabteilungen und Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat“ (S. 5) dürften zudem auch in der Beratung von Aktiengesellschaften tätige Anwälte an dem Werk – mindestens zum „Querlesen“ – Gefallen finden.