Paritätischer Wohlfahrtsverband Bayern e. V, BTHG – Umsetzung Eingliederungshilfe im SGB IX, 1. Auflage, Walhalla 2019
Von RAin, Fachanwältin für Sozialrecht Marianne Schörnig, Düsseldorf
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Dieser Sinnspruch fällt dem Leser sofort ein, wenn er dieses Buch in die Hand nimmt. Gemeint sind damit die insgesamt 14 Abbildungen, die den Inhalt dieses Buches verdeutlichen. Wo andere Autoren das BTHG (= Bundesteilhabegesetz, für alle die, die mit der Abkürzung immer noch nichts anfangen können) mühsam auseinandernehmen und z.B. erklären, wie das SGB IX früher strukturiert war und wie es jetzt aufgebaut ist, da haben die Autoren einfach nur ein Schaubild mit Kästen gezeichnet. Pro Teil des SGB IX ein Kästchen, - das war's. Ganz so einfach haben sie es sich natürlich nicht gemacht, aber dieser Einstieg zeigt sehr anschaulich, wie man eine sehr komplizierte Materie auch darstellen kann.
Das Buch ist ein Handbuch für die Praxis. Wahrscheinlich entstanden als Antwort auf die Fragen, die den Autoren immer wieder in ihren Beratungen gestellt wurden. Zum Beispiel die Erklärung, was das BTHG ist, nämlich ein Artikelgesetz. Ausgangspunkt ist die Frage: "Wenn aber doch alle von diesem Gesetz sprechen, warum können wir es dann nicht käuflich erwerben?" (Im 21. Jhdt. müsste die Frage eigentlich lauten: "Warum findet Google es nicht?").
So "hangeln" sich die Autoren durch eine unüberschaubare Materie, die ja eigentlich keine eigenen Ansprüche gibt, sondern sich "nur" auf bisher schon bestehende Ansprüche auswirkt. Sie beginnen mit der Struktur des BTHG. Gleich Tabelle 1 verdeutlicht, welche Rehaträger für welche Rehabilitationsarten zuständig sind. Das Dickicht der Rehabilitation ist durch das BTHG nicht lichter geworden – eher im Gegenteil -, aber anhand dieser Tabelle muss man eigentlich gar keine Zusammenhänge verstehen, sondern einfach nur auswendig lernen: Bekomme ich Teilhabeleistungen für Bildung von der Bundesagentur für Arbeit? Ein Blick in die Tabelle: Nein. Von der gesetzlichen Krankenversicherung? Nein. Von den Trägern der Eingliederungshilfe? Ja.
Im nächsten Kapitel geht es um den leistungsberechtigten Personenkreis und wie dieser sich einbringen kann. Dazu müsste man jetzt den "neuen" Behinderungsbegriff erklären, weil mit der Neudefinition von Behinderung durch die UN – Behindertenkonvention alles begann. Das tun die Autoren auch. Dazu nehmen sie sich gleich ein "Schwergewicht" des neuen Behindertenrechts vor: das bio–psycho–soziale Modell. Sie schaffen es tatsächlich, dieses Schreckgespenst jedes Sozialrechtlers im Schwerbehindertenrecht in einem Schaubild abzubilden! Auch weitere Definitionen sind in Schaukästen grau unterlegt: Behinderung, von Behinderung bedroht, schwerbehindert, körperlich wesentlich behindert, geistig wesentlich behindert, seelisch wesentlich behindert. Wo müssen sich die Beeinträchtigungen auswirken? Das nächste Schaubild zeigt die Lebensbereiche des ICF (= internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit). Ja, tatsächlich: Hierzu gibt es ausnahmsweise einmal keine Abbildung. Also haben die betroffenen Personen nichts zu sagen? Falsch. Die nächsten Schaubilder zeigen das "Wunsch- und Wahlrecht".
Die Reihenfolge der einzelnen Kapitel ist, zugegeben, nicht ganz stringent: Warum z.B. die Ermittlung des Bedarfs erst am Schluss steht, nachdem z.B. die Zuständigkeiten geschildert wurden. Egal. Jedes Kapitel kann man unabhängig von dem Vorgänger / Nachfolger lesen, sie sind in sich abgeschlossen. Beispielsweise steht der Dauerbrenner über Einkommen und Vermögen für sich. Dank der Schaubilder und Tabellen ist jedes Kapitel aus sich heraus verständlich.
Die Autoren stemmen so manches Schwergewicht mit scheinbarer Leichtigkeit. Da haben Juristen, Mediziner, Soziologen und Politiker jahrelang debattiert und dieser Ratgeber schafft es tatsächlich, den Unterschied zwischen ICF und ICD auf einer halben DIN A 5 Seite zu erklären (andere würden eine Dissertation zum Thema "Das bio–soziale Modell und der Begriff Funktionsfähigkeit" verfassen).
Jeder, der auf dem Gebiet der Eingliederungshilfe beraten wird / muss / will (übrigens ist der Text des SGB IX als Heft eingelegt), sollte Kapitel zehn unbedingt als erstes lesen. "Schnittstellen zu anderen Sozialleistungsbereichen" zählt auf, wo die Probleme z.B. mit der Pflegeversicherung bestehen oder mit der Kinder- und Jugendhilfe etc. Zum Abschluss dieses Kapitels wird auf sehr charmante Art das Streitthema schlechthin – "Zahlungsströme in besonderen Wohnformen" erklärt: Mit einer Strichmännchenzeichnung. Das Schaubild sollten sich alle Berater in ihr Büro hängen. Bei Fragen wie "Wer zahlt das Wohnheim?" können sie kommentarlos darauf deuten. Wie gesagt: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!