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Rezension: MüKo BGB - Familienrecht II

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Münchener Kommentar zum BGB, Band 10, Familienrecht II, 8. Auflage, C.H. Beck 2020

Von RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl



Die Teilbände des Münchener Kommentars zum BGB kommen in erfreulicher Geschwindigkeit immer wieder als Neuauflagen auf den Markt. Knapp drei Jahre nach der Vorauflage (Besprechung hier) ist der zweite Band zum Familienrecht (§§ 1589-1921 BGB), der auch das Betreuungsrecht enthält, aktualisiert worden – und es hat sich einiges getan seitdem! Einzuarbeiten waren die „Ehe für alle“, die Möglichkeit des Geschlechtseintrags „divers“ im Personenstandsregister, die Einführung des Samenspenderregisters oder auch die Genehmigungspflicht für unterbringungsähnliche Maßnahmen seitens des Familiengerichts. Rechtsprechung im Kindschafts- und Unterhaltsrecht gab es zudem zuhauf. Im Betreuungs- und Unterbringungsrecht galt es das neue Vergütungsrecht zu kommentieren sowie die den Betroffenen stärkenden, aber umstrittenen Veränderungen bei Zwangsbehandlung und Fixierungen bei Freiheitsentziehung. Dies alles gelingt, vornehmlich aber auch deshalb, weil – wie hier – der Autorenstamm des Kommentars nahezu unverändert geblieben ist und sich auch weiterhin aus hochkarätigen Vertretern aus Wissenschaft und Justiz zusammensetzt.

Die Ausgangslage ist klar: wer Informationen und Meinungen finden möchte, die über eine Standardkommentierung hinausgehen, greift (oder inzwischen auch: klickt) zum Münchener Kommentar. Dank eines weiterhin angenehmen Layouts mit echten und zahlreichen Fußnoten und Fundstellen kann man sich in die Materie nicht nur flüssig einarbeiten, sondern sie an geeigneter Stelle auch vertiefen, ggf. mit konträren Ansichten. Dabei ermöglicht gerade der Münchener Kommentar mit Blicken ins Ausland die im Familienrecht so dringend erforderliche Weitung des Horizonts um grenzüberschreitende und rechtsvergleichende Fallkonstellationen. Beispielhaft zu nennen ist etwa der Exkurs zum Abstammungsrecht (§ 1591 BGB, Rn. 34 ff., Wellenhofer). Hinzu kommt auch die Kommentierung von weiteren, zwingend im Zusammenhang mit den BGB-Normen zu kennenden Gesetzen, die den Gesamteindruck des Werks so prägt. Das sind nicht nur „große“ Regelwerke wie das SGB VIII oder das VBVG, sondern auch ein wenig versteckt nach § 1631 BGB das RelKErzG.

Mit Interesse habe ich mir diesmal vor allem das Betreuungsrecht angesehen, das bei der letzten Kommentierung – dezernatsbedingt – noch etwas zurückstehen musste. Dabei beginnt die Kommentierung bereits in den einleitenden Ausführungen (Spickhoff, S. 1561 ff.) zum Abschnitt 3 des vierten Buchs des BGB, wo die internen Zusammenhänge zwischen Vormundschaft, Betreuung und Pflegschaft skizziert werden – ein immens wichtiger Aspekt, um die Verweisungen etwa bei Fragen der Haftung der Handelnden zu verstehen.

Die schon anfangs genannten Neuregelungen werden wie gewohnt umfassend, aber auch umsichtig, d.h. unter Benennung von Kritikpunkten und anderen Ansichten kommentiert. Hinzu kommen aber auch viele Details zu praktischen Problemlagen: wie geht man mit einem „unbetreubaren“ Betroffenen um? (§ 1896 BGB, Rn. 45, Schneider) Wann ist eine Vollmacht vollständig und der Betreuung vorrangig? (ibidem, Rn. 50 ff.) In welchem Spannungsfeld stehen Betreuer und Verfahrenspfleger zueinander? (ibidem, Rn. 173 f.) Welche Funktion hat der Betreuer inne, wenn eine Patientenverfügung vorliegt? (§ 1901a BGB, Rn. 28 ff., Schneider) Kann oder muss die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers bei Genehmigungsanträgen nach § 1906 Abs. 5 BGB geprüft werden? (§ 1906 BGB, Rn. 121 ff., Schneider). Schon diese Beispiele zeigen, wie wertvoll es sein kann, Kommentierungen wie diese einmal im Ganzen durchzuarbeiten, wenn man täglich mit Betreuungssachen befasst ist. Mir gefällt die Komposition außerordentlich gut, gerade um Abschleifungen und Irrtümern im Praxisalltag bisweilen wirksam begegnen zu können.

Zusätzlich habe ich aber auch einen Blick auf die familienrechtlichen Neuerungen geworfen, hier die neu geregelten freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 1631b BGB. Hier stellt Huber sehr schön die Genese der Neuregelung dar, aber auch die konkrete Gesetzesbegründung, nach welcher z.B. die Fixierung beim Transport zur Einrichtung nicht unter den Schutzbereich der Norm fällt oder auch eine Fixierung zur Herstellung der richtigen Atmung nichts mit Freiheitsentzug zu tun hat (Rn. 7). Ebenfalls wird ein umfangreicher Abschnitt zum Verfahren präsentiert (Rn. 19 ff.), sodass man sich schon an dieser Stelle möglicher Konfliktsituationen vergegenwärtigen kann (fehlender Antrag; Divergenz zwischen Einrichtung und Eltern etc.). Dass die hier dargestellte Qualität des ärztlichen Zeugnisses für die Maßnahme in der Praxis meist nicht gegeben ist (in der Regel stellt der Hausarzt das Zeugnis aus, nicht ein Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie), dürfte ggf. in der Folgeauflage einen oder zwei Sätze der Diskussion wert sein. Dass die Notwendigkeit des Verfahrensbeistands ebenfalls benannt wird, ist lobenswert; hier hätte ich mir noch einen Hinweis auf die geringere Vergütung des berufsmäßig handelnden Verfahrensbeistands in Fällen des § 1631b Abs. 2 BGB gewünscht.

Abschließend möchte ich die Kommentierungen – natürlich pars pro toto– zum Umgangsrecht in begleiteter oder beschränkter Form noch hervorheben (§ 1684 BGB, Rn. 70 ff., Hennemann). Hier wird nicht nur die vorhandene Judikatur erläutert, sondern auch Szenarien werden entworfen, die den Optimalzustand dem Realzustand gegenüber stellen. Das ist für die jeweilige Argumentation des Tatrichters eine echte Hilfe.

Kurzum: Der Münchener Kommentar ist im Familienrecht und im Betreuungsrecht unverzichtbar, sowohl für den eigenen Erkenntnisgewinn, zur Prüfung der eigenen Handlungsmaßstäbe und natürlich auch einfach zum Schmökern – gerade Letzteres ist ein echter Qualitätsbeweis für ein juristisches Werk.


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