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Rezension: Internationale Schiedsverfahren

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Salger / Trittmann (Hrsg.), Internationale Schiedsverfahren – Praxishandbuch, 1. Auflage, C.H. Beck 2019

Von Johann v. Pachelbel, Hamburg



Die erfahrenen Schiedsrechts-Anwälte Hanns-Christian Salger und Rolf Trittmann legen mit dem 2019 erschienenen Praxishandbuch für internationale Schiedsverfahren eine umfängliche Praxisanleitung für Schiedsverfahren aus Sicht eines Anwalts vor. Als Herausgeber haben sie eine bedeutende Anzahl renommierter Schiedsrechtler versammelt und deren langjährige Erfahrung dem Leser in schriftlicher Form zur Verfügung gestellt. Vom ersten Moment für einen Anwalt im Zusammenhang mit einer schiedsgerichtlichen Streitigkeit bis zum letzten Moment sind alle Schritte und Handlungsmöglichkeiten erklärt, die sich in einem Schiedsverfahren ergeben. Dazu gehören insbesondere auch die Phasen vor dem Beginn und nach dem Ende des eigentlichen schiedsgerichtlichen Verfahrens. Durchgängig geben die Autoren Praxistipps, in denen die substantielle Erfahrung deutlich wird, welche die Autoren als Anwälte in Schiedsverfahren gesammelt haben. Manchmal beschreiben die Autoren auch die Sicht des Schiedsrichters auf den Anwalt. So liefern sie wertvolle Verhaltensregeln für Anwälte, um sich nicht unterbewusst Sympathien der Schiedsrichter zu verspielen. Genauso wertvoll ist die Schiedsrichter-Perspektive bezüglich der Planung des Verfahrens, der Honorarfrage und -festlegung, der Erstellung des Schiedsspruchs, des Verfahrens zur Beweisaufnahme, insbesondere der Zeugenbefragung. Auch zur Ausübung des Postens als Schiedsrichters werden Verhaltenstipps gegeben und Handlungsvorschläge für verschiedene organisatorische Fragen des Verfahrens gemacht.

Die Autoren nehmen bewusst einen deutschen Blickwinkel auf die Schiedsgerichtsbarkeit ein. Sie führen den Leser zunächst anhand des ZPO-Schiedsrechts (8. Buch ZPO, §§ 1025 ff.) durch den Schiedsprozess. So gerät das Handbuch zu einem versteckten knappen Praxiskommentar zum ZPO-Schiedsrecht. Die Ausführungen gehen über bloße Verweise auf die jeweils anwendbaren §§ der ZPO weit hinaus: Die §§ werden meist kommentiert und die einschlägige BGH-Rechtsprechung zu ihrer Auslegung zitiert und manchmal erklärt. Weiterhin zeigen die Autoren oft die entsprechenden §§ des UNCITRAL Mustergesetzes für Schiedsrecht auf und verdeutlichen so, wie sich die ZPO am UNCITRAL Mustergesetz orientiert hat. Erst nachdem der jeweilige Teil des Schiedsprozesses anhand der §§ der ZPO dargestellt wurde, richten die Autoren ihren Blick auf Schiedsordnungen verschiedener Schiedsinstitutionen. Zuerst und schwerpunktmäßig werden die DIS-SchO und die ICC-SchO analysiert und erklärt. Nur wenn andere Schiedsordnungen Besonderheiten aufweisen, werden diese kurz zusätzlich erläutert.

Die Autoren zeigen über die gesamte Darstellung des Rechts von internationalen Schiedsverfahren auf, wie in diesem internationalen Praxisbereich die Rechtsfamilien Common Law und Civil Law aufeinanderstoßen. Für jedes dargestellte rechtliche Thema richtet sich ein Absatz darauf, ob das erläuterte Recht in der Tradition des Common Law oder des Civil Law wurzelt und wie es sich über den internationalen Kontakt mit der jeweils anderen Rechtsfamilie zu einer Mischform der beiden Rechtsfamilien entwickelt hat. Die Konsequenzen der unterschiedlichen Konzepte der beiden Rechtsfamilien werden dargestellt und deren Vor- und Nachteile abgewogen. Insbesondere geschieht dies in Bezug auf das Recht der Beweisaufnahme. Hier werden die amerikanischen Rechtsinstrumente zur Wahrheitsfindung, die den streitenden Parteien weitreichende Rechte zur Informationsbeschaffung geben, von dem inquisitorisch geprägten kontinentaleuropäischen System der Beweisaufnahme im Zivilprozess abgegrenzt. Anhand der Schiedsregeln in der ZPO, der Dis-SchO und der ICC-SchO wird dann erklärt, wie diese sich als Kompromiss aus diesen Rechtsordnungen, jeweils mit einer verschiedenen Neigung zur einen oder anderen Rechtsfamilie herausgebildet haben.

Die Autoren erläutern weiterhin diverse „Soft Law“ Instrumente zur Ausfüllung von nicht rechtlich geregelten Bereichen des Schiedsverfahrens, die von internationalen Institutionen wie zum Beispiel der International Bar Association (IBA) herausgegeben werden. Dies sind zum Beispiel die IBA-Regeln zur Beweiserhebung und die IBA-Regeln zu Interessenskonflikten bei Schiedsrichtern. Die Autoren erklären auch hier sehr verständlich, wie versucht wurde, in diesen Instrumenten eine Zusammenführung von Konzepten des Common Law und des Civil Law zu erreichen.

Ca. ein Viertel des Handbuches gilt einer kursorischen Betrachtung des Schiedsrechts mehrerer Länder und Weltregionen, welche für die Autoren als in der Praxis wichtige Schiedsorte gelten und die Schiedspraxis in (allen) verschiedenen Regionen dieser Welt repräsentieren. Sehr erfreulich ist, dass die Autoren hier einen guten und funktionierenden Mix aus Überblick und notwendiger Tiefe der Betrachtung getroffen haben. So geraten die Darstellungen des Schiedsrechts der verschiedenen Länder knapp genug, damit sich der Leser einen „schnellen Überblick“ über die Besonderheiten verschaffen kann. Gleichzeitig aber ist die Detailliertheit der Darstellung so, dass die Texte aussagekräftig sind: Rechtsprechung der jeweiligen Gerichte zum Schiedsrecht wird analysiert, verschiedene Gesetze werden besprochen, weiche Faktoren wie die Rechtskultur werden erläutert. Der Leser kann die verschiedenen Schiedsorte nach der Lektüre voneinander abgrenzen und weiß, worauf er wo besonders Acht geben muss.  Die Autoren begrenzen sich nicht nur auf die klassischen Schiedsorte England, Frankreich, USA, Hong Kong, Singapur und Schweden, sondern es werden auch kleinere Schiedsorte wie zum Beispiel Ägypten, China, Argentinien und Peru, Marokko, Malaysia und Japan oder etwa ein Dutzend osteuropäische Staaten und Russland angesprochen. Ein dem Rezensenten besonders ins Auge gefallenes Detail war die Darstellung der neuen Hamburger Schiedsinstitution ElArb für Schiedsverfahren zwischen Europäischen und Lateinamerikanischen Personen. Hier und an der Darstellung aller anderen Schiedsorte wird deutlich, wie sehr die Schiedsgerichtsbarkeit sich mittlerweile spezialisiert und immer feinere und kleiner abgegrenzte Bereiche des Rechts- und Wirtschaftslebens durchdringt.

Neben dem Schiedsverfahren werden kursorisch auch andere mögliche Verfahren der alternativen Streitbeilegung erläutert. Dazu gehören die Mediation und Schiedsgutachter-Prozesse. Vor- und Nachteile sowie Besonderheiten der jeweiligen Verfahrensmöglichkeiten werden erläutert. Der Nutzer des Praxishandbuchs kann sich anhand dieser Tipps eine Meinung dazu bilden, ob eine gewisse Streitigkeit zu diesem oder jenen alternativen Streitbeilegungsverfahren passt.

In einem letzten Teil präsentieren Salger und Trittmann noch eine Betrachtung einiger Rechtsgebiete und Wirtschaftspraktiken, in denen Schiedsverfahren eine besonders große Rolle spielen. Namentlich sind dies Post M&A Streitigkeiten, das Gesellschaftsrecht, internationale Großprojekte und IP-Recht. Hier wird genau umgekehrt nicht der Schiedsprozess betrachtet, sondern verschiedene Teilgebiete des Rechtsgebiets oder Phasen der jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit wie zum Beispiel eine Unternehmenstransaktion. Innerhalb dieser Betrachtung wird dann Bezug genommen auf Punkte, die besonders relevant für den Schiedsrechtler sind. 

Ein Pluspunkt des vorliegenden Handbuches zu internationalen Schiedsverfahren ist die konsequente Erläuterung aktueller Problemthemen. So greifen die Autoren Probleme des Datenschutzes durch die DSGVO im Schiedsverfahren auf, schreiben über Prozessfinanzierung, neue Methoden zur effizienteren Gestaltung von Schiedsverfahren und so weiter. Der Leser bekommt das Gefühl, durch das Lesen dieses Buches ganz vorne an der Front des Schiedsrechts zu stehen.

Ein Caveat soll hier allerdings angezeigt sein: Das vorliegende Handbuch deckt alle Bereiche eines Schiedsverfahrens sowie einige damit zusammenhängende Rechtsgebiete ab. Der Umfang von knapp 1000 Seiten Text stellt dafür auch genügend Platz zur Verfügung. Jedoch sind natürlich viele Bereiche nicht besonders tiefgehend und detailliert dargestellt. Es ist ein guter Überblick, den sich der Leser über viele Bereiche des Schiedsverfahrens verschaffen kann. Einige Themen sind dann wie durch eine Lupe besonders gründlich und tiefgehend behandelt. Die Autoren haben die nur überblickartig bearbeiteten Bereich des Schiedsverfahrens allerdings sehr gründlich mit vielen Literaturverweisen ausgestattet, was es dem Leser ermöglicht, dieses Buch als Orientierung und Landkarte für eine genaue Betrachtung jedes Bereiches des Schiedsverfahrens zu nutzen. Eher knapp gerät das Handbuch zum Beispiel zu Fragen der Vollstreckung von Schiedsurteilen, zu einigen verfahrensrechtlichen Fragestellungen in Schiedsordnungen, wie zum Beispiel der frühzeitigen Verfahrensbeendigung. Weiterhin werden die Besonderheiten von Investitionsschiedsverfahren fast gar nicht erläutert. Schiedsordnungen wie SIAC oder LCIA werden nur am Rande zu vereinzelten Themen angesprochen. 

Zusammenfassend kann der Nutzen des Handbuches beschrieben werden als ganzheitliche Abhandlung über das gesamte Schiedsrecht und zusammenhängende Gebiete, welches das System sehr gut erklärt, gewisse Bereiche mit wissenschaftlicher Tiefe darstellt und für den Rest ein gutes Verweissystem an weitergehender Literatur und Rechtsprechung bietet. Die Darstellung ist für Praktiker sehr hilfreich, weil sie sich auf die Handlungsmöglichkeiten des Anwalts im Prozess fokussiert und diese für jeden Bereich des Schiedsverfahrens aufzeigt. Für denjenigen, der Orientierung im Schiedsverfahren sucht, ist dieses Buch genau richtig. Für denjenigen, der wissenschaftlich im Recht internationaler Schiedsverfahren arbeiten möchte, ist dieses Buch die Landkarte für das Schiedsprozessrecht, anhand der er sich tiefer in einzelne Materien einarbeiten kann.


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