Eichenhofer / Wenner, Sozialgesetzbuch X, 2. Auflage, Luchterhand 2017
Von Rain, FAin für Sozialrecht Marianne Schörnig, Düsseldorf
Der Kommentar wird von Eberhard Eichenhofer (bis 31.1.2016) und Ulrich Wenner herausgegeben. Die weiteren Autoren (Jens Löcher, Sven Müller-Grune, Heike Pohl und Reimund Schmidt-De Caluwe) stammen bis auf eine Ausnahme (Helmut Dankelmann) sämtlich aus der Lehre (z.B. Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW oder Universität Jena). Das deutet schon darauf hin, daß es sich um einen sehr "kopflastigen" Kommentar handelt.
Im sehr kurzen Vorwort (S. V) erläutert Herausgeber Dr. Eichenhofer, dass die vorliegende 2. Auflage der Nachfolger des ursprünglich als Gemeinschaftskommentar zum SGB I, IV und X verfassten Buches ist. Er begründet dies auch gleich damit, dass das Verwaltungsverfahrensrecht einen zu hohen Stellenwert hat und mittlerweile auch zu umfangreich ist, um es zusammen mit anderen, ebenso bedeutsamen SGBen in einem Band zusammenzufassen. Es folgen das Bearbeiterverzeichnis (S. VI), das Inhaltsverzeichnis (S. IX bis XIII), das Abkürzungsverzeichnis (S. XV bis XXV) und das Literaturverzeichnis (S. XXVII bis XXXII). Das Stichwortverzeichnis findet sich am Ende des Werkes (S. 597 bis 613).
Die Kommentierung des SGB X findet sich auf den S. 1 bis 596, wobei jede Vorschrift einzeln kommentiert wird. Jeder einzelne Paragraph ist fettgedruckt. Ein eigenes Inhaltsverzeichnis schließt sich an, in dem ein Überblick über die einzelnen besprochenen Abschnitte der Vorschrift gegeben wird. Diese Abschnitte sind einerseits unterteilt in Großbuchstaben und römische Ziffern, zum leichteren Auffinden der Fundstellen aber jeweils auch mit Randziffern versehen. Im praktischen Gebrauch stehen die Randziffern sowieso in jedem juristischen Kommentar im Vordergrund. In seitenlangen Textpassagen nach Abschnitten und Zwischenüberschriften zu suchen, ist zeitraubend, mühsam – und überflüssig. Im Grunde könnte man auf die Zwischenabschnitte verzichten. Sie werden eh vom Paragraphentext vorgegeben. Im Stichwortverzeichnis am Ende des Buches werden auch nur der Paragraph und die jeweilige Randnummer genannt. Die fettgedruckten Randziffern stehen jeweils außen am Text, der innere Steg bleibt frei. Das erleichtert zusätzlich das Auffinden einer Textstelle beim schnellen Durchblättern.
Es ist auffällig, daß in mehreren aufeinanderfolgenden Fußnoten immer genau die gleiche Fundstelle angegeben wird; z. B. zu § 50 Fn. 52 ist BSG, 28.06.1991, SozR3-1300, § 50 Nr. 10. Fn. 53 ist damit identisch. Fn. 54 ebenfalls. Oder die Fn. 75, 76 und 77 zu § 45. Das erweckt den unschönen Eindruck, dass das Fußnotenverzeichnis aufgebläht werden oder jede noch so nebensächliche Aussage mit einem virtuellen Ausrufungszeichen versehen werden sollte. Bezeichnend ist, dass mit jedem kommentierten Paragraphen das Fußnotenverzeichnis von Eins an gezählt wird.
An der Kommentierung einzelner Vorschriften zeigt sich, dass die Autoren mehrheitlich in der Lehre tätig sind. Didaktische Aufbereitung steht dort im Vordergrund. Ein gutes Beispiel ist der oft überlesene § 19 zur "Amtssprache". "Amtssprache ist Deutsch" steht in Satz 1 und hier hat es in der Praxis oft den Anschein, als endeten leider die Kenntnisse der meisten, die mit dem Sozialverwaltungsrecht zu tun haben, genau an dieser Stelle. Dabei ist der Sprachgebrauch nicht auf das gesprochene Wort beschränkt. Schon im folgenden Text des Paragraphen werden Gebärdensprache oder andere Kommunikationshilfen erwähnt. Schon in Absatz 2 werden Rechte und Pflichten von Behörde und Antragstellern geschildert, die in einer Fremdsprache kommunizieren. Wie sehr allein der Text des Paragraphen mit der Zeit geht, zeigt sich schon daran, dass es einen Absatz 1a gibt, der durch das Behindertengleichstellungsgesetz mit Wirkung vom 01.01.2017 eingefügt wurde (Informationen sollen in Leichter Sprache zur Verfügung gestellt werden).
In der Kommentierung legt der Kommentator Dr. Jens Löcher detailliert dar, inwieweit die Verwendung von Fremdsprachen nicht nur möglich, sondern sogar vorzuziehen ist. Ein Blick in die Fußnoten zeigt, dass das Problem Amtssprache in der Praxis der Gerichtsbarkeit scheinbar nicht thematisiert wird, - hier überwiegen Fundstellen aus der Literatur.
Dreh- und Angelpunkt des SGB X ist m. E. § 20 "Amtsermittlungsgrundsatz". Oft werden die Aufhebungsregelungen der §§ 44 ff. in den Vordergrund gestellt. Kein Wunder, sie sind ja auch viel "spektakulärer". Betroffene merken viel eher, dass sie einmal bewilligtes Geld zurückzahlen müssen, als dass eine nur lückenhafte Amtsermittlung wahrgenommen wird. Dabei ist doch gerade der Ablauf des Verfahrens entscheidend dafür, wie es endet bzw. ob die einmal getroffene Entscheidung Bestand hat oder wieder aufgehoben wird. Ist "Amtsermittlung" eher etwas für Theoretiker? Man könnte es meinen, wenn man die gründliche und strukturierte Aufarbeitung dieser Vorschrift liest. In den meisten Lehrbüchern und leider in vielen Kommentaren eher nebensächlich erwähnt, hat die Regelung hier den Stellenwert, den sie verdient. Und gerade in diesem Fußnotenverzeichnis halten sich Verweise auf Rechtsprechung und Literatur die Waage. An dieser Stelle werden auch andere als nur sozialrechtliche Gebiete und Rechtsprechung (z. B. BAG, StPO, dt. Steuerrechtszeitschrift) genannt. Die weiter oben kritisierte "Doppelung" von Fundstellen in Fußnoten kommt hier gar nicht erst vor.
Richtig interessant wird es bei der Kommentierung von Vorschriften, die sonst (völlig zu Unrecht) ein Mauerblümchendasein fristen. Bei solchen Vorschriften, die auf den ersten Blick theoretischer Natur sind, laufen die Kommentatoren zu Höchstform auf. Deutlich wird das beispielsweise an § 67 "Begriffsbestimmungen". Er ist die Einleitungsvorschrift zum Sozialdatenschutz. Im Zeitalter von Internet und Social Media ist es umso wichtiger, Rechte und Pflichten in diesem Bereich zu kennen. Was gestern mit dem Kugelschreiber in einen Vordruck eingetragen wurde, den man wieder zerreißen konnte, ist heute dank Online – Antragstellung in Sekunden in der Welt – und bleibt da auch.
Früher war eine, maximal zwei Behörden über einen Antragsteller informiert, heute wissen es – Zauberwort "Datenabgleich" - gleich mehrere. Besondere Mühe geben sich die Autoren mit den Vorschriften der Übermittlung von Daten an verschiedene Stellen, §§ 67d ff. Die Autoren dieses Teils sind Helmut Dankelmann und ein/e "Jung". Die Identität dieses Autors bleibt gerade im Abschnitt über Datenschutz (absichtlich?) im Verborgenen.
Es war an der Zeit, in der 2. Auflage SGB I, IV und X zu trennen. Dem SGB X hat es sicherlich gutgetan. Die Kommentierung der "üblichen" Vorschriften (§§ 24, 25, 45 ff.) findet sich so oder ähnlich in vielen Lehrbüchern. Seine Stärke hat dieser Kommentar an den Stellen, an denen theorielastige Themen abgehandelt werden.