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Rezension: Europarecht

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Schöbener, Europarecht, Lexikon zentraler Begriffe und Themen, 1. Auflage, C.F. Müller 2019

Von Stud. iur. Antonia Gaupp, Halle


Das Recht der Europäischen Union ist von einer ständigen Dynamik geprägt. Um sich mit dem komplexen Rechtsgebiet (Bereich der europäischen Beziehungen) kritisch auseinandersetzen zu können, bedarf es eines hinreichend fundierten Grundverständnisses. Dazu will das Lexikon zentraler Begriffe und Themen zum Europarecht, herausgegeben von Prof. Dr.Burkhard Schöbener in Zusammenarbeit mit 24 Mitautoren, einen Beitrag leisten. Als Parallelband zum 2014 erschienenen Lexikon zum Völkerrecht ist Ziel des Nachschlagewerkes, in prägnanter aber dennoch zuverlässiger Art und Weise Grundkenntnisse des Europarechts zu vermitteln. Dabei sollen nicht nur Studierende aus den Bereichen der Rechts- und Politikwissenschaften, sondern jeder, der sich privat wie beruflich für das Recht der Europäischen Union interessiert, angesprochen werden.

Als Erstauflage erschienen im C.F. Müller Verlag werden auf knapp 900 Seiten 136 zentrale Begriffe und Themen des Europarechts in alphabetischer Reihenfolge erläutert. Zu Beginn eines jeden Fachbegriffs wird jeweils eine kurze Gliederung vorangestellt, mit deren Hilfe auf einen Blick festgestellt werden kann, welche Unterpunkte im folgenden Abschnitt behandelt werden. Dies ist einem raschen Nachschlagen zuträglich. Zudem wird jeweils eine Literaturübersicht bereitgestellt, die jedoch sehr komprimiert ausfällt, sodass diese einem Anspruch auf umfangreiche Literaturhinweise nicht gerecht wird. Sodann wird der jeweilige Begriff in gebotener Ausführlichkeit vom Allgemeinen zum Besonderen hin dargestellt. Zahlreiche Querverweise (à) ermöglichen dabei eine systematische und inhaltliche Verknüpfung, wodurch dem Leser eine Vernetzung der Thematiken an die Hand gegeben wird.

So wird beispielsweise das Vorabentscheidungsverfahrennach Art. 267 AEUV (S. 812-816) auf fünf Seiten verständlich erklärt. Zunächst erhält der Leser eine allgemeine Einführung, aus der die Notwendigkeit dieses Verfahrens hervorgeht. Aufgrund der Aufgabenverteilung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof der EU, auf den via Querverweis verwiesen wird, bedarf es des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV. Unter Bezugnahme auf wichtige EuGH Rechtsprechung, wie der Foto-Frost Rechtsprechung (Rn. 3102) und einschlägige Normen des Primärrechts (Rn. 3099) werden die Zulässigkeitsvoraussetzungen, das Verfahren und die Rechtsfolgen dargestellt. Mithilfe der einschlägigen zitierten Normen sowie prägender EuGH Rechtsprechung erhält der Leser Anknüpfungspunkte, um sich selbstständig vertieft mit dem Verfahren auseinandersetzen zu können. Dennoch bietet das Kapitel zum Vorabentscheidungsverfahren einen hinreichenden, gut verständlichen Überblick, um eine Vorstellung der Notwendigkeit und der praktischen Handhabung dieses Verfahrens zu bekommen.

Ebenfalls von enormer Bedeutung im Zusammenhang mit dem Recht der Europäischen Union sind die Grundfreiheiten. So wird beispielsweise im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit (S. 821 – 832) das Verbot der Einfuhrbeschränkungen (Art. 34 AEUV) systematisch und prüfungsbezogen erklärt (Rn. 3138 ff.). Zunächst wird der Gewährleistungsgehalt des persönlichen wie auch sachlichen Schutzbereiches mithilfe der Definition der Tatbestandsmerkmale wie auch der tatbestandsimmanenten Schranken konkretisiert. Dadurch, dass diverse Beispiele sowie die einschlägige EuGH Rechtsprechung bereitgestellt werden, wird der Schutzbereich anschaulich erklärt. Hervorzuheben ist, dass insbesondere auf die Keck-Rechtsprechung (Rn. 3147 f.) als Korrektiv der Warenverkehrsfreiheit, den Drei-Stufen-Test (Rn. 3149)  sowie auf Rechtfertigungsebene auf die Cassis de Dijon Rechtsprechung (Rn. 3155) vertieft eingegangen wird. Ausgewählte Leitentscheidungen des EuGH, die die Warenverkehrsfreiheit geprägt und konkretisiert haben, wie die DocMorris I Entscheidung (EuGH, Urt. V. 11.12.2003, C-322/01) werden im Laufe des Kapitels an einschlägiger Stelle zitiert.

Lesern, die auf dem Gebiet der Grundfreiheiten noch kein vertieftes Wissen haben, ist zu empfehlen, vorab das Kapitel „Grundfreiheiten: Allgemeine Lehren“ (S. 395 – 411) als Einführung zu lesen, um die Besonderheiten und Modifikationen der jeweiligen Grundfreiheiten umfassend nachvollziehen zu können. Auch hier gewähren die hilfreichen Querverweise eine systematische Verknüpfung und Vernetzung zu einem großen Ganzen.

Auch das Thema Datenschutz (S. 121 – 128) hat insbesondere im Zuge der DSG-VO erheblich an Bedeutung in der Öffentlichkeit gewonnen. Von der historischen Entwicklung des Datenschutzes im Recht der Europäischen Union über die Verankerung im Primärrecht in Art. 16 AEUV und das Sekundärrecht, welches mit der DSG-VO eine umfangreiche Konkretisierung des Grundrechts auf Schutz personenbezogener Daten erfahren hat, sowie auch dem völkerrechtlichen Bezug zum Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten, bietet das Kapitel eine vielschichtige Aufbereitung dieser Thematik. Zu begrüßen ist, dass die öffentlich präsente und teils kontrovers diskutierte DSG-VO innerhalb des Kapitels (Rn. 493 ff.) Eingang gefunden hat, indem der sachliche und räumliche Anwendungsbereich, die Struktur wie auch der Inhalt der Verordnung erörtert werden. Zuletzt nimmt das Kapitel Datenschutz Bezug auf die Safe Harbour Entscheidung des EuGH von 2015, bei der der EuGH festgestellt hat, dass die vom US-Handelsministerium herausgegebene freiwillige Selbstverpflichtung US-amerikanischer Unternehmen kein mit den unionsrechtlichen Vorgaben vergleichbares Datenschutzniveau bietet (Rn. 502). Auch hier ist positiv hervorzuheben, dass abermals die EU nicht isoliert sondern im weltpolitischen Kontext betrachtet wird.

Fazit:Alles in allem bietet das Lexikon zum Europarecht einen strukturierten Überblick über die wesentlichen Bereiche der Europäischen Union. Darüber hinaus gewährleisten Verknüpfungen zum Völkerrecht das notwendige Verständnis für die Stellung der Europäischen Union in der Welt. Zu begrüßen ist die prägnante Darstellung der wichtigsten Begriffe in verständlicher, nicht ausschweifender Sprache unter Bezugnahme der wichtigsten Rechtsprechung des EuGHs. Insbesondere die Querverweise leisten eine sinnvolle Vernetzung der einzelnen Themengebiete, sodass auch innerhalb des Werkes ein zügiges Nachschlagen ermöglicht wird. Wünschenswert wären weitergehende aktuelle Literaturhinweise, die einzelne Aspekte vertieft aufgreifen. Wer sich nicht auf knapp 900 Seiten in analoger Weise über das Europarecht informieren möchte, hat zudem die Möglichkeit, die Ausgabe als e-book zu erwerben, was bei dem Umfang eine angenehme Alternative darstellt.


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