Vordermayer / von Heintschel-Heinegg / Schnabl, Handbuch für den Staatsanwalt, 6. Auflage, Carl Heymanns 2019
Von Ref. iur. Adriano Nastasi, Nauheim
Mit der sechsten Auflage werden die bisherigen Herausgeber Helmut Vordermayer und Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg durch Dr. Robert Schnabl ergänzt. Sie aktualisieren das Werk im Hinblick auf aktuelle Gesetzesänderungen wie das Gesetz zur Reform der Vermögensabschöpfung und der Änderungen im Bereich des Aufenthalts- oder Asylgesetzes. Ergänzt werden außerdem Bereiche, die in der Praxis nachgefragt werden. So finden sich vier neue Kapitel im Werk, die sich mit dem Jourdienst, der häuslichen Gewalt und Nachstellung, politischen Strafsachen sowie Steuerstrafsachen beschäftigen. Der Aufbau des Werks orientiert sich am tatsächlichen Verlauf eines Strafverfahrens und umfasst 10 Teile auf über 1600 Seiten.
Der erste Teil behandelt in zehn Kapiteln zunächst Themen und Probleme, mit denen der Staatsanwalt hauptsächlich schon im Ermittlungsverfahren konfrontiert wird. So liefert das Kapitel „Eingriffsmaßnahmen“ beispielsweise nach rechtlichen Überblicken über die einzelnen Maßnahmen im Anschluss an diese jeweils ein Muster für die praktische Umsetzung in Form eines Musterbeschlusses oder einer –verfügung (so in den Rn. 46 f. für die Durchsuchung und Beschlagnahme bei Geldinstituten). Diese Muster folgen den Texverarbeitungssystemen TV-StA und web-StA und gehen von der Praxis in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen und Rheinland-Pfalz aus. Für Anwender aus anderen Bundesländern bedeutet dies zwar zumindest, dass sie die Formblätter vor Anwendung hinsichtlich der praktischen Anforderungen des eigenen Landes überprüfen müssen. Im Alltag wird dies jedoch heute kaum noch nötig sein, da das Arbeiten mit digitalen Formularen Standard geworden ist. Weiter sind in diesem Teil besonders Kapitel hervorzuheben, die der Orientierung im Rahmen der täglichen oder auch nicht alltäglichen Arbeit des Staatsanwalts und anderen am Strafverfahren beteiligten Personen dienen. Das Kapitel „Tatortaufnahme, Spurensuche, Verhalten am Tatort“ zum Beispiel behandelt nicht den Alltag der meisten Staatsanwälte, die, mit Ausnahme des Bereitschaftsdiensts oder im Dezernat für Kapitaldelikte, in der Regel den Tatort nicht betreten. Vielmehr handelt es sich hier überwiegend um einen Überblick über die Pflichten und einzuhaltenden Formalia der Polizei, die in der Regel die Tatortarbeit verrichtet. An diesem Kapitel wird deutlich, dass das Werk auch anderen Berufsgruppen dient, da es zum Beispiel dem Polizisten in den Rn. 38 - 64 anschaulich einen Überblick sowie Hilfestellungen gibt, wie dieser Spuren sucht und sichert. Spiegelbildlich zeigt es damit dem Staatsanwalt oder Richter, anhand welcher Kriterien zu beurteilen ist, ob Spuren oder andere Beweismittel vorschriftsmäßig erhoben wurden, um beispielsweise deren Beweiswert oder Verwertbarkeit zu ermitteln.
Teil zwei befasst sich in 14 Kapiteln sowohl mit den materiell- als auch prozessrechtlichen Besonderheiten einzelner Delikts- und Tätertypen. Besonders geeignet ist dies für Berufseinsteiger, die hier einen schnellen Überblick bekommen über Materien, die in Studium und Ausbildung kaum vorkommen, in der Praxis dafür an der Tagesordnung sind. Hierzu zählen unter anderem die Besonderheiten in Jugendstrafsachen oder bei Straftaten nach dem Aufenthalts- oder Asylgesetz. Die Ausführungen in diesen Kapiteln sind natürlich nicht mit denen in einem Lehrbuch gleichzusetzen. Es werden Grundzüge und ausgewählte Einzelprobleme aufgezeigt. Teilweise werden daher die wichtigsten Begriffe praxistauglich definiert (beispielsweise die Begriffe „öffentlicher Straßenverkehr“ und „Führen eines Fahrzeugs“ in den Rn. 3 f. im Kapitel „Verkehrsstrafsachen“).
Der dritte Teil trägt die Überschrift „Einstellungsverfügung“. Hier werden die in der Praxis am häufigsten vorkommenden Einstellungsmöglichkeiten des Staatsanwalts in der gebotenen Kürze – schließlich gehört dies zum absoluten Grundlagenwissen – dargestellt. Es folgen jeweils Musterverfügungen, die teilweise sehr ausführlich kommentiert sind (beispielsweise das Muster zur Einstellung gem. § 170 II StPO in der Rn. 33 des Kapitels, dessen Kommentierung sich in den Rn. 34 – 49 befindet).
Teil vier behandelt sehr ausführlich die Vorbereitung und Erhebung der Anklage. Hier wird das Ermittlungsverfahren aus Sicht der Staatsanwaltschaft nochmals von Anfang an dargestellt. Unter anderem wird hier, in Ergänzung zu den Ausführungen im Kapitel „Eingriffsmaßnahmen“ im ersten Teil des Werks, erneut auf diese Maßnahmen eingegangen, wobei insbesondere die Kompetenzverteilung und –einschränkung (der Vergleich von Gesetzes- und Richtervorbehalt und Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft in den Rn. 17 – 21) sowie die Folgen rechtswidriger Beweisgewinnung dargestellt werden. Besonders die ausführliche Darstellung der Beweiserhebungsregeln und Beweisverwertungsverbote in den Rn. 22 – 47 kommt in ihrer Vollständigkeit einem Lehrbuch nah, wobei jedoch die Sicht aufgrund der Praxisorientierung auf die Rechtsprechung beschränkt ist. Durch die detaillierten Beispiele eignen sich die Ausführungen hier nicht nur zum Nachschlagen konkreter Probleme, sondern auch dazu, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie die eigene Arbeit als Staatsanwalt hinsichtlich der Beweisführung auszusehen hat, damit diese sowohl in der ersten Instanz als auch revisionsrechtlich besteht. Entsprechendes gilt natürlich auch hier wieder für Polizeibeamte, die an der Beweisgewinnung in der Regel unmittelbar beteiligt sind. Im Anschluss an die Ausführungen zu den Ermittlungen werden die Voraussetzung einer wirksamen Anklageerhebung dargestellt. In den Rn. 83 und 84 finden sich ein formularmäßiges Muster sowie eine beispielhaft ausformulierte Anklageschrift. Dargestellt werden sodann die rechtlichen Anforderungen an die Anklageschrift, die unabhängig vom jeweiligen Bundesland in ganz Deutschland gelten, sowie die möglichen bzw. nötigen (Begleit-)Anträge. Entsprechend der Ausführungen zu den Folgen rechtswidriger Beweiswürdigung erweisen sich auch hier die Darstellungen zu möglichen Mängeln der Anklageschrift und ihrer Folgen (Rn. 153 – 170) als Orientierung für die eigene Arbeitsweise. Ebenfalls finden sich kurze Ausführungen zum Antrag auf Erlass eines Strafbefehls (Rn. 178 ff.) sowie zur Anklageerhebung im beschleunigten (Jugend-)Verfahren (Rn. 182 – 185) inklusiver ausformulierter Muster.
Der fünfte Teil des Werks betrifft die Tätigkeit des Staatsanwalts in der Hauptverhandlung selbst. Behandelt werden hier in vier Kapiteln die Verständigung, der Sitzungsdienst, Ausschließungs- und Ablehnungsmöglichkeiten von Staatsanwälten sowie mögliche Störungen der Hauptverhandlung. Im Kapitel über die Verständigung werden nicht nur deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen dargestellt, es wird auch eindringlich darauf hingewiesen, welche persönlichen Konsequenzen denjenigen drohen, die sich bewusst über diese Voraussetzungen hinwegsetzen (so werden in den Rn. 84 ff. bzw. 87 und 88 die strafrechtlichen Risiken sowohl für den Richter als auch für den Staatsanwalt und Rechtsanwalt kurz dargestellt). Das darauffolgende Kapitel über den Sitzungsdienst ist mehr ein grober Überblick als ein wirklicher Leitfaden zur Vorbereitung auf den (ersten) Sitzungsdienst, so dass die Zielgruppe dieses Kapitels unklar bleibt. Es werden beispielsweise Aufbauvarianten für den Schlussvortrag empfohlen und kurz dargestellt (etwa Rn. 51 ff., und 54 ff.), allerdings lassen diese Hilfestellungen vermissen, an denen man sich insbesondere in den ersten Sitzungsdiensten, bei denen es noch an Routine fehlt, orientieren könnte. Insofern ist meines Erachtens die Lektüre eines Werks, das sich auf die Vorbereitung auf den Sitzungsdienst beschränkt, empfehlenswerter, obwohl sich dieses in der Regel an Referendare richtet. Aufgrund dieser Oberflächlichkeit wird auch der (routinierte) Staatsanwalt keinen großen Nutzen von diesem Kapitel haben, da hier kaum Details oder Sonderprobleme zu finden sind. Gerade auf Grund der Relevanz dieser Thematik für Berufseinsteiger aber auch Referendare, wäre hier eine ausführliche Darstellung wünschenswert. Hier entsteht ein wenig der Eindruck, das Kapitel sei nur der Vollständigkeit halber aufgenommen.
Teil sechs des Werks befasst sich mit den Rechtsmitteln in Strafsachen. Nach der Darstellung allgemeiner Grundlagen wird genauer auf die Beschwerde, die Berufung, die Revision und die Wiederaufnahme des Verfahrens eingegangen. Dieser Teil überzeugt durch Darstellung der wesentlichen Voraussetzungen und Abläufe in der für den Volljuristen ausreichenden und gebotenen Kürze. So werden beispielsweise die Besonderheiten der sofortigen Beschwerde in den Rn. 96 – 105 anschaulich und mit angehängter Musterverfügung dargestellt. Auf die Darstellung von Streitständen wird erfreulicherweise verzichtet. Völlig ausreichend wird auf deren Vorliegen hingewiesen und auf die entsprechende Stelle im Kommentar verwiesen (so zum Beispiel der Verweis in Rn. 101 auf den Kommentar zur StPO von Meyer-Goßner/Schmitt).
Der siebte Teil behandelt das Strafverfahren ab Rechtskraft der Verurteilung. Da die Staatsanwaltschaft bei erwachsenen Verurteilten die Strafvollstreckungsbehörde ist, wird im ersten Kapitel in aller Ausführlichkeit die Strafvollstreckung behandelt. In den weiteren Kapiteln wird, deutlich schlanker, die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft bei der Überwachung ausgesetzter Strafen und Maßregeln durch das Gericht, die Führungsaufsicht sowie das Gnadenrecht in Grundzügen dargestellt.
Ein Überblick über die Regelungen des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) enthält Teil 8.
Ebenfalls besonders relevant für die tägliche Arbeit des Staatsanwalts ist Teil 9, in dem Voraussetzungen und Erfüllung der den Staatsanwalt treffenden Berichtspflichten dargestellt werden. Auch hier finden sich zahlreiche kommentierte Vorlagen für die einzelnen Berichte.
Indem der zehnte und letzte Teil des Werks der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gewidmet ist, richtet er sich in erster Linie an die Pressesprecher der Staatsanwaltschaften. Neben Begründung und Abgrenzung der Zuständigkeit für die Bearbeitung von Auskunftsansprüchen werden ausführlich die Voraussetzungen von Auskunftsansprüchen sowie deren Beantwortung behandelt. Die Erläuterungen zum Interview des Staatsanwalts sowie Pressekonferenzen sind durch Grundregeln und anschließende Checkliste als Leitfaden zu gebrauchen (Rn. 141 – 153 und 174). Schließlich wird das Erstellen einer Pressemitteilung erläutert. Wie schon an anderen Stellen des Werks ist auch hier ein ausformuliertes Beispiel mit Anmerkungen Teil der Darstellung (Rn. 173).
Das obligatorische Stichwortverzeichnis in Verbindung mit ausführlichen Inhaltsverzeichnissen zu Beginn jeden Teils bzw. Kapitels erleichtert das Auffinden einzelnen Darstellungen innerhalb des umfangreichen Werks ungemein.
Zusammenfassend ist das Werk, seinem Titel als „Handbuch“ folgend, ein anschauliches und umfangreiches Nachschlagewerk für den Staatsanwalt und hinsichtlich einzelner Themen auch für andere Beteiligte des Strafverfahrens. Die Praxisorientierung findet sich spiegelbildlich im Autorenverzeichnis wieder, das fast ausschließlich Praktiker wie Richter, Staatsanwälte, Anwälte oder Polizisten zeigt. Lediglich die praktische Brauchbarkeit der zahlreichen Muster und Formulare ist trotz deren Anschaulichkeit in der heutigen Zeit aufgrund der Verwendung digitaler Formulare zumindest stark eingeschränkt.