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Rezension: Musterfeststellungsklage

Nordholtz / Mekat (Hrsg.), Musterfeststellungsklage: Einführung – Beratung – Gestaltung, 1. Auflage, Nomos 2019

Von Dipl. iur. Andreas Seidel, Göttingen


Nachdem zum 1. November 2018 das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage in Kraft getreten ist, haben vor allem Praktiker die Deutungshoheit über das neue Klageinstrument erobert, wobei es so scheint, als wären die bisherigen Darstellungen tendenziell aus verbraucherfreundlicher Sicht geschrieben. Dem setzen nun RA Dr. Christan Nordholtz und RA Dr. Martin Mekat als Herausgeber ihr Handbuch entgegen. Dabei ist es interessant, dass die Autoren geschlossen entweder aus der Kanzlei GÖHMANN (in der Nordholtz selber Partner ist) oder von Freshfields (in der Mekat selbst Principal Associate ist) stammen, zwei großen Protagonisten der bisher laufenden Musterfeststellungsklagen auf Beklagten- bzw. Unternehmensseite. Insofern darf der Leser hier nicht nur eine Darstellung der Thematik, sondern ebenso wichtige Insights in die praktische Handhabung erwarten.

Der Nordholtz/Mekatfüllt dabei eine Lücke, die trotz – oder vielleicht gerade wegen – des noch sehr jungen Alters der Musterfeststellungsklage deutlich erkennbar war. Zwar gibt es mit dem Röthemeyer (bisher hier noch nicht rezensiert) und dem Weinland(http://dierezensenten.blogspot.com/search?q=Weinland) bis dato zwei – zugegebenermaßen recht klägerfreundlichen – Einzeldarstellungen, jedoch hat sich bisher die Beklagtenseite recht still verhalten. In diese Stille rückt nun das vorliegende Handbuch.

Auch wenn die Dichte an Einzeldarstellungen zu diesem Thema bisher noch recht gering erscheint (der Asmus/Waßmut, Musterfeststellungsklage ist angekündigt für das dritte Quartal dieses Jahres) bestand insbesondere durch die entsprechenden Kommentierungen zur ZPO und zahllosen Beiträgen zu der neu geschaffenen Klageart eine immense Stofffülle, die es zu bewältigen galt. Insofern muss es den Autoren hoch angerechnet werden, nicht nur zu der jungen und damit in ihrer praktischen Bewährung schlecht einschätzbaren Klageart ein praxistaugliches Handbuch erstellt, sondern gleichzeitig auch äußerst akribisch das bestehende Material gesichtet und ausgewertet zu haben.

In Bezug auf die Darstellungsweise ist zunächst der ganzheitliche Ansatz und die Übersichtlichkeit der Darstellung hervorzuheben: Selbst ohne große Erfahrungen mit dem neuen Klageinstrument fällt es leicht, sich innerhalb dieses Werkes zurechtzufinden und zielsicher die Themen zu finden, die man sucht. Dabei hilft auch das umfangreiche, gut sortierte und intuitive Sachregister (das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dessen Qualität aber anderenorts häufig zu wünschen übriglässt). Nach einer prägnanten Einführung in die Musterfeststellungsklage, die Notwendigkeit dieses Klageinstrumentes und die Rahmenbedingungen sowie der Erläuterung des Anwendungsbereichs werden sodann die einzelnen Verfahrensschritte, angefangen über die Verfahrenseinleitung, die Bekanntmachung des Verfahrens und die Anmeldung von Ansprüchen, über die Durchführung des Verfahrens bis hin zur Beendigung durch Vergleich und Urteil sowie die Rechtsmittel gegen dieses dargestellt. Hiernach schließt sich zudem auch das Thema der Kosten und das Folgeverfahren an. Insofern wird der Leser bereits durch die äußere Form der Darstellung an die Hand genommen und chronologisch durch das Musterfeststellungsverfahren geleitet.

Inhaltlich ist in besonderer Weise das Thema der Verjährungshemmung durch Anmeldung von Ansprüchen innerhalb des Musterfeststellungsverfahrens, das hier durch Boeseund Bleckwenn dargestellt wurde (§ 5 Rn. 50 ff.), sowie im Generellen die Kommentierung des Verhältnisses zwischen der Musterfeststellungsklage und Individualansprüchen insbesondere durch Schroeder (§ 11) hervorzuheben. Der Themenkomplex des Verhältnisses zwischen Musterfeststellungsklage und der Durchsetzung von Individualansprüchen wird momentan heftig diskutiert, sodass die Autoren hier dem Leser einen wichtigen Dienst erwiesen haben, indem sie diese Themen besonders gründlich ausgeleuchtet und hierbei die Darstellung durch einen ausgiebigen Fußnotenapparat untermauert haben.

Darüber hinaus ist es im Hinblick auf das Ende der Schriftleitung im Oktober 2018 als mutig und besonders engagiert zu bewerten, dass dieses Handbuch neben der inhaltlichen Darstellung auch in § 12 von Mallmann eine umfangreiche Sammlung an Formularen für eine Musterfeststellungsklage (S. 262 ff.), eine entsprechende Klageerwiderung (S. 268 f.), eine gerichtliche Entscheidung (S. 269 ff.) und einen gerichtlichen Vergleich (S. 273 ff.) sowie unterschiedliche Checklisten bietet. Hier konnten die Autoren folglich nicht auf die Bewährung in der Praxis warten, sondern waren vielfach – bloß gerüstet mit dem juristischen Handwerkszeug – auf sich alleine gestellt. Es ist abzuwarten, ob die dort vorgeschlagenen Ansichten und Formulierungen sich in der Praxis durchsetzen werden, in jedem Fall werden sie aber als wichtiger Anhaltspunkt eine entscheidende Benchmark darstellen.

Festzuhalten ist somit, dass durch den Nordholtz/Mekat der Markt für Praxisliteratur zur neuen Musterfeststellungsklage aufgelockert und um eine wichtige Beklagtenstimme erweitert wurde. Durch die Wahl der Autoren ist es hier gelungen, ein Werk aus einem Guss zu schaffen. Hierdurch erhält der Leser ein Handbuch, dass sowohl durch ein hohes Maß an inhaltlicher Konsistenz als auch fachlicher Expertise zu glänzen vermag. Auf der anderen Seite sollte der Leser gleichsam die Darstellungen stets im Kontext lesen und sich bewusstmachen, dass hier die Sicht der Beklagtenseite vertreten wird. Gleichwohl ist eine derart gefärbte Sicht keinesfalls ein Alleinstellungsmerkmal dieses speziellen Handbuchs, vielmehr scheint es, als sei unter Praktikern das Thema der Musterfeststellungsklage in zwei Lager unterteilt zu sein. Insofern ist dieses Buch auch zu verstehen als Ausgleichsfaktor, um die Literaturlandschaft im diesem Bereich wieder in Gleichgewicht zu bringen. Darüber hinaus muss auch nicht davon ausgegangen werden, dass dieses Handbuch nur ein äußerst willkommener Ausgleich für die Beklagtenseite ist, vielmehr erlangt auch die Klägerseite wichtige Einblicke und damit ein Reaktionspotential, sodass dieses Handbuch nicht nur ein großer Gewinn für die Unternehmensseite, sondern ebenso auch für die Verbraucherseite darstellt.


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