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Rezension: Der zivilrechtliche Aktenvortrag im Assessorexamen

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Jäckel, Der zivilrechtliche Aktenvortrag im Assessorexamen, 5. Auflage, C.H. Beck 2018

Von ref. iur. Kim-Naike Sander, Kaiserslautern


Das kleine Büchlein von nur 114 Seiten erschien in der Reihe JuraKompakt. Es ist in zwei etwa gleich große Teile geteilt: allgemeine Tipps und Übungsfälle. Die allgemeinen Tipps enthalten Details zum Prüfungsablauf unter Angabe der bundeslandspezifischen Unterschiede. So gibt es beispielsweise Bundesländer, in denen an den Aktenvortrag ein Vertiefungsgespräch anschließt, während es andere gibt, in denen dieses sogar explizit unzulässig ist. Leider berücksichtigt der Autor diesen Unterschied im weiteren Verlauf des Buches nicht immer. So verweist der Autor öfter darauf, dass man einen gewissen Punkt, etwa alternative Lösungsvorschläge oder Inhalte, die man im Hilfsgutachten abhandeln könnte, im Vertiefungsgespräch ansprechen könne. Was die Kandidaten aus Bundesländern tun sollen, in denen es diesen Prüfungsteil nicht gibt, erläutert er nicht.

Dagegen sind die Tipps für die mentale Vorbereitung und die Vortragsweise besonders gelungen. Diese enthalten zwar auch Klischees wie „tief durchatmen“, „aufrecht sitzen“, doch sollten diese Punkte keinesfalls unterschätzt werden. So offensichtlich „tief durchatmen“ in einer Stresssituation ist, so häufig wird es auch vergessen. Der Autor beschreibt ausführlich, was man vermeiden sollte (beispielsweise Füllworte wie „ähm“ oder auch zu ausladendes Gestikulieren) und gibt auch Tipps, wie man sich aus einer Situation wieder rettet. So stellt er klar, dass, wenn der Prüfling seinen Faden im Vortrag verloren haben sollte, es viel besser ist, kurz zu sagen „Moment, ich schaue kurz, wo ich stehengeblieben bin.“ als panische Blicke zu den Prüfern zu werfen und auf Rettung zu warten. In diesem Kapitel ist besonders auffällig, dass der Autor dem Prüfling fast immer Hilfsmittel an die Hand gibt, wie man die kritikwürdigen Verhaltensmuster umgehen kann. Nur bei den Punkten „Körpersprache“ und „nervöse Handlungen“ kommt dieser Teil etwas kurz. So empfiehlt er für die Körpersprache „aufrechtes Sitzen“. Unser AG-Leiter empfahl uns im Vergleich damals etwas konkreter, sich auf das vordere Drittel des Stuhls zu setzen, die Beine leicht zu öffnen und die Füße fest auf den Boden aufzusetzen. So habe man eine geerdete Haltung, die nahezu automatisch zu einer aufrechten Haltung führe. Die „nervösen Handlungen“, wie mit den Fingern auf dem Tisch zu trommeln oder mit dem Kugelschreiber zu klicken, zählt der Autor leider nur auf. Ein Ausbilder empfahl mir mal, dass man einfach seinen eigenen Finger in der anderen Hand festhalten könne. Derlei konkrete Empfehlungen fehlen an dieser Stelle, doch sind dies nur zwei Unterkapitel von einem ansonsten sehr gut gelungenen Abschnitt.

Das Buch enthält auch konkrete Tipps, wie man an die Zeiteinteilung herangehen sollte, sowohl bei der Vorbereitung als auch beim Vortrag selbst. Ebenso werden Aufbau und Inhalt der einzelnen Schritte beschrieben. Es sollte an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die Tipps sehr allgemein gehalten sind. Gerade für den Aufbau des Sachberichts wird auf den als bekannt vorausgesetzten Tatbestandsaufbau im Urteil verwiesen. Da es Bundesländer gibt, in denen der Urteilstatbestand regelmäßig nur in einer von acht Klausuren abgefragt wird und so gerade diese Kandidaten für den Aktenvortrag nicht selten das erste Mal vertieft den Tatbestandsaufbau lernen, sei darauf hingewiesen, dass dieses Buch hierfür nur eine grundlegende Hilfe bietet. Die Hinweise im allgemeinen Teil sind pauschal und in den späteren Übungsfällen sind zwar gute Beispiele enthalten, doch diese enthalten keine prozessualen Sondersituationen wie Teilanerkenntnis, Teilklagerücknahme, Versäumnisurteil oder Widerklage. Die Fälle zeigen dagegen sehr schön die Besonderheiten beim Sachbericht im Aktenvortrag – etwa welche Angaben weggelassen werden, welche pauschaliert werden können und bei welchen es akzeptabel ist, sie erst später darzustellen.

Das Buch enthält weiterhin fünf Übungsfälle, die für unterschiedliche Vorbereitungszeiten (einer für 60 min., einer für 90 min., drei für 75 min.) ausgelegt sind. Diese decken verschiedene Rechtsgebiete von der Tierhalterhaftung bis zur Forderungsvollstreckung ab. Sie zeigen auch die mögliche Diversität der Aufgabenstellung: anwaltliche oder gerichtliche Perspektive, Zweckmäßigkeitserwägungen oder auch eine Klage, die schlicht unzulässig ist. Der Autor hat hierbei treffend Fälle ausgesucht, die gerade die Besonderheiten des Aktenvortrags gegenüber einer Klausur illustrieren. Nur ein Punkt in der Lösungsskizze ist meiner Meinung nach gewagt. So stellt sich in einem Übungsfall die Frage, ob Abschleppkosten i.H.v. 210 € verhältnismäßig sind. Im Lösungsvorschlag (S. 79) wird dazu ausgeführt: „Meiner Ansicht nach verstößt der genannte Betrag nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot. Erfahrungsgemäß fallen auch die Kosten einer durch die Polizei veranlassten Umsetzung nicht deutlich geringer aus.“ Der Aktenauszug enthält keine weiteren Anhaltspunkte für eine Argumentation für oder gegen die Verhältnismäßigkeit. Schlicht eigene Erfahrungen als Argumentationsausgang zu benutzen, die eventuell nicht einmal jeder Prüfling hat, halte ich für eine gewagte Strategie. In den Lösungshinweisen stellt der Autor aber noch einmal klar, dass hier Argumentationen in beide Richtungen durchaus vertretbar sind.

Letztendlich ist das Buch nicht mehr, aber auch nicht weniger als das, was es sein soll: Eine Hilfestellung für den Referendar, der sich das erste Mal mit Aktenvorträgen auseinandersetzt. Dies gewährleistet das Buch auf seiner nur begrenzten Seitenzahl in sehr umfassender Weise. Es behandelt alle Fragen zu den Themen des Ablaufs, der ersten Herangehensweise und inwiefern sich der Aktenvortrag von einer Klausurlösung unterscheidet. Für die ersten Schritte Richtung mündliche Prüfung ist das Buch daher ein sehr guter Begleiter. Ebenso kann sich der Prüfling, der kurz vor dem tatsächlichen Aktenvortrag steht und nur schnell nochmal überprüfen möchte, ob er alles behalten hat, mit dem Buch einen guten Überblick über die wichtigsten Punkte geben und sich den ein oder anderen gerade mentalen Tipp merken. Denen, die jedoch bereits einige Übung im Vortrag von Aktenvorträgen haben und ihre Fähigkeiten perfektionieren und vertiefen wollen, wird das Buch dagegen nicht gerecht (und hat diese Personen auch nicht als Zielgruppe). Diese Fortgeschrittenen werden zwar noch ein oder zwei Tricks mitnehmen können. Doch das Buch will Grundlagen vermitteln und nicht vertiefen. Dementsprechend ist der Kauf vor allem Anfängern auf dem Gebiet des Aktenvortrags zu empfehlen.


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