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Rezension: Höchstrichterliche Rechtsprechung in der Fallbearbeitung

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Hennemann, Höchstrichterliche Rechtsprechung in der Fallbearbeitung. Zivilrecht, 1. Auflage, C.F. Müller 2018

Von Dr. jur. Michael Höhne, Frankfurt am Main

  
Für das Verständnis der Rechtswirklichkeit ist die Kenntnis der Rechtsprechung von immenser Bedeutung. Dabei kommt der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine besondere Stellung zu: Richter sind zwar unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen (Art. 97 Abs. 1 GG) sowie (lediglich) an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) und nicht an die Rechtsauffassung übergeordneter Gerichte gebunden. Effektiv ist es gleichwohl aber, wenn in erst- oder zweitinstanzlichen Urteilen nicht gezielt von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweichende Rechtsauffassungen vertreten werden, da sich im Rahmen einer etwaig angestrengten Revision die höchstrichterliche Rechtsauffassung durchsetzen würde (soweit keine Rechtsprechungsänderung erfolgt).

Die besondere Relevanz der höchstrichterlichen Rechtsprechung besteht dabei nicht nur in der Praxis, sondern auch bereits in der juristischen Ausbildung, selbst wenn diese – zumindest vor dem ersten Staatsexamen schon durch die universitäre Einbindung – stark von der Auseinandersetzung mit – von der Rechtsprechung abweichenden – (Literatur-)Meinungen geprägt ist. Gleichwohl ist es sinnvoll, sich bereits früh im Studium mit den Rechtsauffassungen der Rechtsprechung auseinanderzusetzen. Bei der Rechtsprechungsanalyse können auch Argumentationsmuster gewinnbringend erkannt werden. Insbesondere mit dem Blick auf das zweite juristische Staatsexamen empfiehlt sich darüber hinaus eine Analyse der Rechtsprechung in Bezug auf in den Urteilen (oder Beschlüssen) verwendete Sprachmuster und Formulierungen, da die meisten Klausuren eine Ausarbeitung verlangen, die einen Akt aus der Praxis (z.B. Urteil) nachbilden bzw. nachahmen soll.

Vor dem Hintergrund der besonderen Relevanz höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es wenig überraschend, dass sich einige Bücher ganz konkret mit der Rechtsprechung beschäftigen. Sowohl in der inhaltlichen Ausrichtung als auch in der Darstellung sind bisher weitgehend zwei Grundlinien zu erkennen (ganz anders etwa Menzel/Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung. Ausgewählte Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in der Retrospektive, 3. Aufl. 2017, wo eine intensive und umfassende historische sowie juristische Einordnung der Entscheidungen erfolgt):

Einerseits wird oftmals ein Rechtsgebiet anhand von besonders relevanter Rechtsprechung erläutert. Dabei werden allgemeine Erläuterungen zu einer Thematik durch passende Original-Passagen aus Urteilen ergänzt (so etwa Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, 7. Aufl. 2015; Puppe, Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Rechtsprechung, 3. Aufl. 2016; teils werden jeweils nur die wichtigsten Urteile aus einem Jahr behandelt: Graf/Goers, BGH-Rechtsprechung Strafrecht; jüngst zu „Leitfälle[n] des Internationalen Gerichtshofs aus 70 Jahren Rechtsprechung“: Schäfer, JURA 2018, 906 ff.). Andererseits werden wichtige Entscheidungen systematisch eingeordnet und dann – ohne allgemeine Erläuterungen – Sachverhalt und Verfahren jeweils gekürzt dargestellt sowie Auszüge aus den Entscheidungsgründen abgebildet (so etwa Hummer/Vedder/Lorenzmeister, Europarecht in Fällen. Die Rechtsprechung des EuGH, des EuG und deutscher und österreichischer Gerichte, 6. Aufl. 2016; Schack/Jotzo/Raue, Das Geistige Eigentum in 50 Leitentscheidungen, 2012; Schack/Ackmann, Das Bürgerliche Recht in 100 Leitentscheidungen, 7. Aufl. 2018).

In dem hier rezensierten Werk wird nunmehr ein anderer Weg eingeschlagen: Hennemann hat 200 Entscheidungen aus den Jahren 2014 bis 2017 ausgewählt. Davon werden 60 näher dargestellt und 140 als „[w]eitere ausgewählte höchstrichterliche Entscheidungen zur Vertiefung“ im Anhang (Seite 179 ff.) aufgeführt. Von den 60 Entscheidungen wurden 57 vom BGH, eine vom BFH und zwei vom BAG getroffen. Ausgewählt wurden nicht die „wichtigsten“ Urteile, sondern solche, die sich didaktisch besonders gut eignen (vgl. Vorwort, Seite V). Bei jeder Entscheidung werden Leitsätze und ein gekürzter Sachverhalt abgebildet. Danach erfolgt eine Erläuterung des Falles und es wird ein Prüfungsaufbau vorgeschlagen.
Die Erläuterung enthält dabei keine dezidierte Auseinandersetzung mit allen relevanten Aspekten oder eine konkrete Prüfung. Hennemann führt – sprachlich präzise – auf jeweils circa einer Seite in den Fall ein und zeigt die zentralen Aspekte auf, die in einer Prüfung zu beachten und zu behandeln sind. Zu den zentralen Punkten wird dann der Wortlaut der höchstrichterlichen Entscheidung dargestellt. Für (Studien-)Anfänger ist das Buch deshalb nicht uneingeschränkt zu empfehlen; es bedarf einer gewissen Erfahrung und eines fortgeschrittenen Kenntnisstandes, um den Ausführungen folgen zu können. Für die Examensvorbereitung – für die der Inhalt des Buches offenbar konzipiert wurde (vgl. Vorwort, Seite VI. Das Buch ist folglich auch Teil der Reihe „Unirep Jura“) – können sicherlich viele gewinnbringende Einblicke erlangt werden. Sinnvoll wird es sicherlich oftmals sein, weiterführende Literatur zum Nachschlagen zu bemühen. Hierfür präsentiert Hennemann am Ende jeder Entscheidung weiterführende Literatur zu wichtigen Aspekten des Falles. Besonders gut lässt sich mit dem Buch trainieren, wie man mit einem unbekannten (realen) Sachverhalt umgeht, die darin angelegten Probleme erkennt und in einer Gutachtenstruktur aufarbeitet. Für eine vertiefte Analyse aktueller(er) Rechtsprechung zu Lernzwecken sollte man eher auf die Anmerkungen in den Ausbildungszeitschriften zurückgreifen (z.B. Juristische Ausbildung/JURA oder Juristische Arbeitsblätter/JA; generell interessant zu Entscheidungsrezensionen Meder, jurisPR-BKR 5/2010 Anm. 1 sowie ders., jurisPR-BKR 7/2018 Anm. 1).

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass das rezensierte Buch einen interessanten und spannenden Ansatz verfolgt und in vielen Bereichen des (Zivil-)Rechts (alle fünf Bücher des BGB, Handels-, Gesellschafts-, Arbeits- sowie Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht) didaktisch versiert relevante Entscheidungen ausgesucht und bearbeitet wurden.



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