Quantcast
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2719

Rezension: European Contract Law

Schulze / Zoll, European Contract Law, 1. Auflage, C.H. Beck / Nomos 2018

Von Johann v. Pachelbel, Essen


Die Professoren Schulze und Zoll legen ein Buch zum europäischen Vertragsrecht vor. Europäisches Vertragsrecht? Dem durchschnittlichen deutschen Juristen werden in diesem Zusammenhang nur einige EU-Richtlinien in den Sinn kommen, die hier und da zum Beispiel das Kauf- oder Reiserecht beeinflussen. Der Wohlinformierte wird wissen, dass mittlerweile ein größerer Teil des deutschen Schuldrechts von europäischen Normen beeinflusst wird. Schuldnerverzug, neue Rechtsbehelfe wie der Widerspruch und Regelungen zum Vertragsschluss sind nur ein kleiner Teil hiervon. Jedoch stehen im Vertragsrecht immer noch nationale Regelungssysteme im Vordergrund, die durch europäisches Recht nur abgeändert werden. Es gibt allerdings verschiedene Versuche, ein einheitliches europäisches Vertragsrecht herauszubilden. Schulze und Zoll stellen im vorliegenden Buch diese verschiedenen Stoßrichtungen der Rechtsvereinheitlichung vor und destillieren in einem zweiten Schritt das tatsächlich vorhandene EU-Vertragsrecht heraus.

Von der ersten Seite an wird der sehr hohe wissenschaftliche Anspruch des Buches erkennbar. Es wird genauestens die methodische Vorgehensweise geschildert, die am Anfang zur Einführung gedachten generellen Ausführungen zum europäischen Privatrecht sind mit einem beeindruckenden Fußnotenapparat hinterlegt, der erkennen lässt, dass dieser Arbeit eine lange und tiefgründige wissenschaftliche Recherche vorangegangen ist. Der gesamte Textinhalt ist mit einer großen Fülle europäischer Rechtsprechung, Dokumenten europäischer Institutionen und Publikationen der großen Namen des europäischen Privatrechts belegt.

Sehr interessant ist gleich zu Beginn die Vorstellung der Vorgehensweise einzelner Versuche zur Vereinheitlichung europäischen Vertragsrechts. Die verschiedenen Ansätze und ihre jeweilige Rezeption in der Fachwelt und in der Praxis spiegeln die Herausforderungen wider, denen sich ein solch gewaltiges Projekt wie die Vereinheitlichung eines zentralen Rechtsgebiets von 28 EU-Mitgliedstaaten stellen muss. So ist es bezeichnend, dass schließlich alle Versuche einer integrierten Vereinheitlichung des Vertragsrechts der Mitgliedsstaaten nicht von der Politik übernommen, sondern anstatt dessen die altbekannte Methode der  partikularen Vereinheitlichung durch (voll-)harmonisierende Richtlinien gewählt wurde. Die Schicksale der verschiedenen Ansätze zeigen auf, wie komplex die Implikationen von Rechtsvereinheitlichung zentraler Rechtsmaterien sind: es werden nicht nur rechtliche Belange, sondern auch politische, gesellschaftliche und geschichtliche Belange berührt, die identitätsstiftende Funktion altbewährter Rechtssysteme wird sichtbar. All dies stellen Schulze und Zoll auf wunderbare Art und Weise in einen Zusammenhang.

Im Hauptteil des Buches reihen sich nun die Kapitel über das von Schulze und Zoll herausdestillierte, tatsächlich existierende einheitliche europäische Vertragsrecht aneinander. Angefangen mit grundlegenden Prinzipien des Vertragsrechts, wie zum Beispiel dem Konzept des Vertrages, der Vertragsfreiheit, gutem Glauben und dem Nicht-Diskriminierungsgebot, geht es weiter über den vorvertragliche Pflichten, Vertragsschluss, mögliche Inhalte, die Beendigung eines Vertrags, über die Inhaltskontrolle allgemeiner Vertragsbedingungen zu Rechten im Falle des Vertragsbruchs. Anhand der existierenden Rechtsvorschriften auf EU-Ebene belegen Schulze und Zoll ihre Annahme oder leiten sie daraus erst ab. Da ein generelles Vertragsrecht auf EU-Ebene nicht existiert, klauben Schulze und Zoll die in ihren Augen relevanten Vorschriften aus den unzähligen EU-Verordnungen und -Richtlinien, die sektorspezifisch das nationale Vertragsrecht modifizieren, zusammen. Als Nebeneffekt bekommt der Leser so einen sehr guten Überblick über das auf den ersten Blick undurchsichtige Gewirr von verschiedenen Rechtsvorschriften. Zahlreiche Verbindungen zu den Feststellungen der Wissenschaft im Rahmen der verschiedenen Ansätze zur Rechtsvereinheitlichung, so etwa der „Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts“, den „Principles of the Existing EC Contract Law“ und dem „Gemeinsamen Referenzrahmen für das Europäische Vertragsrecht“, werden von Schulze und Zoll gestrickt, um ihre Ergebnisse zu untermauern.

Damit stellt sich das vorliegende Werk von Schulze und Zoll vielleicht als eine Art Zwischenergebnis für das bisher Erreichte dar. Die Ergebnisse von jahrzehntelanger Forschung zum europäischen Vertragsrecht werden in diesem Buch übersichtlich, systematisch und belegt anhand aktueller EU-Rechtsetzung vorgestellt. Der schon besprochene imposante Fußnotenapparat verweist auf alle einschlägigen Publikationen der Rechtswissenschaftler, die über die Zeit als führende Vertreter ihres jeweiligen Ansatzes zur Rechtsvereinheitlichung des europäischen Vertragsrechts hervorgetreten sind.

Der Rezensent zeigt sich tief beeindruckt von der Tiefe der wissenschaftlichen Durchdringung des Rechtsstoffes, rät allerdings dem Beginner der Rechtswissenschaften von diesem Buch ab, für den es eine Überforderung sondergleichen wäre.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 2719