Rancke (Hrsg.), Mutterschutz / Elterngeld / Elternzeit / Betreuungsgeld, Nomos Verlagsgesellschaft, 5. Auflage, 2018
Von Rechtsanwalt / Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht / Fachanwalt für Arbeitsrecht Wilfried J. Köhler, Köln
Ein umfassender Kommentar liegt nunmehr in der 5. Auflage vor. Er behandelt auf ca. 1.550 Seiten das Mutterschutzgesetz, das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, die Mutterschutz- und Elternzeitverordnung, das Pflegezeitgesetzund Familienpflegezeitgesetz, die gesetzlichen Regelungen zum Kindergeld (im Einkommensteuergesetzund im Bundeskindergeldgesetz), sowie das Unterhaltsvorschussgesetz und die Regelungen zur Arbeitsbefreiung und Entgeltfortzahlung bei Erkrankung eines Kindes (im BGB,SGB V und SGB VII). Die neue Auflage weist seinen Bearbeitungsstand für Anfang 2018 aus, berücksichtigt sind also die Änderungen ab 1.1.2018.
Die Bearbeiter, neben dem Herausgeber Friedbert Rancke sind das Wolfang Conradis, Uwe Klerks, Martin Lenz, Georg Pepping, Ingo Ernst Schöllmann und Nora Wagner, kommen aus der Praxis, was ein Vorteil ist für den zwangsläufig praxisorientierten Rechtsanwalt. Gleichwohl genügt die Kommentierung aber auch wissenschaftlichen Bedürfnissen; der Fußnotenapparat ist sehr ausführlich und zum Teil auch mit weiterführenden Ausführungen, Hinweisen und Erläuterungen zum Inhalt von gerichtlichen Entscheidungen versehen. Umfangreiche Literaturverzeichnisse sind jeweils den behandelten Gesetzen vorangestellt; auch zentrale Gesetzesvorschriften (z.B. § 17 MuSchG) weisen solche Literaturverzeichnisse auf. Das hilft einem Praktiker entschieden weiter und gibt – wenn die Lösung des zu recherchierenden Problems nicht im Kommentar selbst zu finden sein sollte – Anhaltspunkte für tiefergehende Recherchen.
Die Kommentierung zu den §§ 4a – 4d BEEG ist, so Rancke im Vorwort, weiter im Kommentar verblieben, obwohl das Bundesverfassungsgericht diese Paragrafen für nichtig erklärt hat, weil dem Bundesgesetzgeber für die Regelungen die Gesetzgebungskompetenz fehlte (BVerfG, Urt. v. 21.7.2015– 1 BvF 2/13, BVerfGE 140, 65 = NJW 2015, 2399. Für die Übergangsregelungen können die (bisherigen) §§ 4a – 4d BEEG noch von Bedeutung sein. Die Gesetzesgeschichte zu den §§ 4a – 4d BEEG erläutert Wagner [auf den Seiten 1066 ff (zur Vereinfachung werden hier und in der Folge regelmäßig nicht die Paragrafenbezeichnungen mit den jeweiligen Randziffern genannt, sondern lediglich Seitenzahlen)]. Wagnerkommentiert auch das Bayerische Betreuungsgeldgesetz vom 14.6.2016, welches als Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG rückwirkend zum 1.1.2015 in Kraft gesetzt wurde. Die Kommentierung der bayerischen Regelung soll, so Rancke in seinem Vorwort, eine gewisse Wegweiser- und Anknüpfungsfunktion haben („Referenzcharakter“lt. Umschlagstext), weil Herausgeber und Verfasser den sozialpolitischen Zweck des Betreuungsgeldes als äußerst bedeutungsvoll ansehen.
Sowohl die bundesgesetzliche Betreuungsgeld-Regelung als auch die Regelung des Landes Bayern führten zu heftigen öffentlichen Diskussionen und politischen Auseinandersetzungen. Umstrittene Kernfrage war, ob der Staat durch Geldleistungen fördern soll, dass sich Eltern (Väter und Mütter) in den ersten Jahren nach der Geburt eines Kindes zu Hause in Vollzeit der Erziehung des Kindes widmen und ganz bewusst keinen Krippenplatz (Kindertagesstätte) in Anspruch nehmen. Erfreulich ist, dass Wagnerdiese Diskussion in ihrer Kommentierung nicht ausspart, sondern auch Hinweise auf seriöse Internetveröffentlichungen zum Thema aufnimmt; den verfassungsrechtlichen Bedenken, die auch bei der Regelung des Landes Bayern existieren, gibt sie ausreichend Raum (S. 1075 f).
Für Arbeitsrechtler, die nur sporadisch mit Mutterschutz- und Elternzeitfragen in Bezug auf Beamtinnen und Beamte des Bundes konfrontiert werden, ist die Kommentierung von Pepping zur Mutterschutz- und Elternzeitverordnung (MuSchEltZV) wichtig. Beamtinnen, Richterinnen und Soldatinnen sind auch nach der Neuregelung des MuSchG nicht in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einbezogen worden, obwohl auch dieser Personenkreis unter den europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff fällt (Pepping, S. 1275). Seit der Rechtssache Lawrie-Blum (EuGH, Urt. v. 3.7.1986 – 66/85) wird dem Arbeitnehmerbegriff in der ständigen Rechtsprechung des EuGH (vgl. die Rechtssachen C-116/06, Kiiski; C-392/05, Alevizos; C-456/02, Trojani; C-138/02, Collins; C-176/96, Lehtonen und Castros Braine) eine eigenständige unionsrechtliche Bedeutung beigemessen und „Arbeitnehmer“ im unionsrechtlichen Sinne als eine Person bezeichnet, die während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. zu den Einzelheiten Oberthür, Vortrag Europarechtliches Symposion - Bundesarbeitsgericht 2018). Nach dieser Definition sind auch Beamtinnen und Beamte „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ im europarechtlichen Sinne. Dass die EuGH-Rechtsprechung stets auch die Zwecksetzung der jeweiligen Rechtsnorm berücksichtigt und den Arbeitnehmerbegriff „zielorientiert“ auslegt, spielt für diese Beurteilung keine Rolle. Der deutsche Gesetzgeber hat bei seinen Neuregelungen gleichwohl daran festgehalten, die Beamtinnen und Beamten nicht in das MuSchG einzubeziehen (vgl. § 1 Abs. 3 MuSchG); er hat für sie weiterhin die Regelungen in der MuSchEltZV beibehalten.
Von Pepping werden sehr gut herausgearbeitet die Besonderheiten beim Mutterschutz und der Elternzeit bezüglich der Beamtinnen und Beamten des Bundes gegenüber den Bestimmungen des MuSchG. Die MuSchEltZV verweist weitgehend unmittelbar auf das MuSchG und das BEEG (vgl. § 2 bzw. § 6 MuSchEltZV), enthält aber auch eigenständige Regelungen, die aus dem Beamtenstatus resultieren. Unterschiede gibt es z.B. bei dem Anspruch auf Jahresurlaub. Während nach § 17 BEEG der Arbeitgeber (einer Nicht-Beamtin/ –Beamten) den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen kann, der Arbeitgeber aber seinen Kürzungswillen erklären muss (vgl. Ranke, S. 1195 ff), tritt die Verkürzung des Anspruchs auf Jahresurlaub bei Beamtinnen und Beamten in Elternzeit nach § 5 Abs. 3 EUrlV (Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamtinnen, Beamten und Richterinnen und Richter des Bundes) automatisch ein (Pepping, S. 1318).
Das Mutterschutzgesetz ist vom Deutschen Bundestag grundlegend reformiert worden und die Änderungen am 1.1.2018 in Kraft getreten (Gesetzentwurf / Bundesgesetzblatt). Sehr aufschlussreich ist Peppings Beschreibung der Gesetzesgeschichte, der Hintergründe der Änderungen, der Einflüsse aus dem europäischen Recht und der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gemachten Änderungsvorschläge (Vor §§ 1 und 2 MuSchG). Für die Betrachtung und die notwendige Auslegung bzw. Bewertung der neuen gesetzlichen Regelungen geben diese Ausführungen wichtige Impulse.
Schöllmann kommentiert den § 17 des MuSchG. Dabei beschäftigt er sich ausführlich mit dem neuen, ab 1.1.2018 geltenden Satz 3 des § 17 Abs. 1 MuSchG. Danach gilt das Kündigungsverbot auch schon für „Vorbereitungshandlungen des Arbeitgebers, die er im Hinblick auf eine Kündigung der Frau trifft“. Der neu kreierte Satz 3 beruht auf einer Entscheidung des EuGH vom 11.10.2007. Die Bundesregierung hatte in ihrem Gesetzentwurf (siehe LINK oben, S. 88) dazu folgendes ausgeführt:
„Satz 3 dient im Hinblick auf das mutterschutzrechtliche Kündigungsverbot der Klarstellung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in Fall „Paquay“ (EuGH-Urteil vom 11. Oktober 2007, C-460/06, EuGH, NZA 2007, 1271) liegt bereits dann ein Verstoß gegen das Kündigungsverbot des Artikels 10 der Mutterschutzrichtlinie (92/85/EWG) vor, wenn „vor Ablauf dieser Zeit Maßnahmen in Vorbereitung einer solchen Entscheidung wie etwa die Suche und Planung eines endgültigen Ersatzes für die betroffene Angestellte getroffen werden.“ Durch den Verweis auf die Sätze 1 und 2 [des § 17 Abs. 1 MuSchG] wird deutlich gemacht, dass auch in diesen Fällen eine Kündigung nach Ablauf der Schutzfristen unwirksam ist, wenn die Vorbereitungen in den in Satz 1 bezeichneten Zeiträumen getroffen worden sind.“
Diese Vorschrift wird die Praxis in der Zukunft vermutlich noch häufiger beschäftigen. Schöllmann führt sehr gut und überzeugend aus (S. 613 ff), welche Probleme und Bedenken im Zusammenhang mit dieser Vorschrift bestehen und meint, m.E. richtig, dass der Gesetzgeber weit über das vom EuGH vorgegebene Ziel hinausgeschossen ist. Die Vorschrift ist sicher einschränkend auszulegen und zwar dahingehend, dass „nur solche Vorbereitungsmaßnahmen erfasst sind, die der Vorbereitung einer Kündigung dienen, die mit dem Zustand der Frau in Zusammenhang stehen“ (Schöllmann, S. 614). Nach Schöllmann kann die Vorschrift nur eine „klarstellende Funktion“ haben, weil auch schon bisher nach dem alten Recht solche Maßnahmen nicht zulässig waren.
Das Werk ist äußerst aktuell und die Verfasser der einzelnen Kommentierungen haben sehr übersichtlich und sorgfältig die bisher schon bestehenden Probleme, aber insbesondere auch die mit den Neuregelungen zusammenhängenden Problemfelder herausgearbeitet und mit einer Vielzahl von Hinweisen und Belegen versehen, so dass bei der Bearbeitung von praktischen Fällen und für die Beratung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebern stets mit „Sucherfolg“ hierauf zugegriffen werden kann. Das Werk erleichtert die rechtsanwaltliche Tätigkeit nach meinem Eindruck ganz ungemein und hat bei mir keine Wünsche offengelassen.