Neumann / Pahlen / Winkler / Jabben, Sozialgesetzbuch IX, 13. Auflage, C.H. Beck 2018
Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., Essen
Nach den umgreifenden Neuerungen durch das Bundesteilhabegesetz, die vielfach zum 01.01.2018 in Kraft getreten sind, besteht naturgemäß ein Bedürfnis an aktualisierten Auflagen der einschlägigen Kommentare. Gerade die umfangreichen Verschiebungen erschweren die Arbeit mit älteren Auflagen ungemein, sodass es zu begrüßen ist, dass der aus dem Verlag C.H. Beck stammende Kommentar zum Sozialgesetzbuch IX nunmehr in der 13. Auflage erschienen ist und dem Leser damit auch im Hinblick auf die neue Rechtslage wieder mit seinen äußerst hilfreichen Ausführungen zur Seite steht.
War der Kommentar in den vergangenen Auflagen noch als „Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen“ bekannt, hat sich der Autorenkreis nunmehr verändert. Ausgeschieden ist Monika Majerski-Pahlen, neu hinzugekommen sind Prof. Dr. Jürgen Winkler (Katholische Hochschule Freiburg) sowie Jürgen Jabben (DRV Braunschweig-Hannover). Weiterhin werden die das Arbeitsrecht betreffenden Paragraphen von Neumann und Pahlen bearbeitet, während die sozialrechtlichen Teile nunmehr von Winkler und Jabbenübernommen wurden. Der Fußzeile ist dabei stets zu entnehmen, welcher der Autoren sich für die jeweilige Bearbeitung verantwortlich zeichnet.
Das vorliegende Werk, das sich auf dem Stand von Januar 2018 befindet, ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil besteht aus einer kurzen Einleitung betreffend die historische Genese des Behindertenrechts sowie die wesentlichen Rechtsgrundlagen, etwa aus dem Europarecht (Einl., Rn. 23) oder den UN-Vorschriften (Einl., Rn. 24 ff.). Der zweite Teil beinhaltet die Kommentierung. Er beginnt mit dem SGB IX als bedeutendster Rechtsgrundlage im Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Nach umfangreichen Verschiebungen im SGB IX sowie dem Übergang der Eingliederungshilfe aus dem SGB XII ins SGB IX hat der Gesetzgeber die Paragraphen neu durchgezählt. So hat sich teilweise zwar nicht der Wortlaut, jedoch der Standort der Norm verändert. Für die tägliche Praxis ist es daher außerordentlich lobenswert, dass die Autoren der Kommentierung des SGB IX eine Synopse vorangestellt haben. So kann der Leser auf einen Blick etwa erkennen, dass die kündigungsschutzrechtliche Bestimmung des § 85 SGB IX a.F., nach der die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, nunmehr in § 168 SGB IX n.F. zu finden ist. Im Rahmen der sich anschließenden eigentlichen Bearbeitung enthält die jeweilige Kommentierung stets den Normtext, oftmals eine kurze Übersicht über den Inhalt der jeweiligen Kommentierung sowie anschließend die eigentliche Bearbeitung.
Eine für Arbeitgeber besonders wichtige Norm ist § 164 SGB IX. Nach dessen Abs. 4 haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern etwa Anspruch auf behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr (§ 164 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX) sowie Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen (§ 164 Abs. 4 Nr. 5 SGB IX). Allerdings gilt, dass die Ansprüche dann nicht bestehen, soweit die Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen. Diese Regelungen zeigen, wie umfangreich die Förderungspflicht des Arbeitgebers ausfällt. So beginnt auch Neumanndamit, zunächst die Grenze der Verpflichtung aufzuzeigen. Dabei geht er richtigerweise davon aus, dass die Zumutbarkeit „auch von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers abhängig“ ist (§ 164 SGB IX, Rn. 37). Die wichtigste der betrieblichen Möglichkeiten ist wohl die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen (vgl. § 164 Abs. 5 S. 1 SGB IX). Aber auch darüber hinaus sind die Arbeitsplätze schwerbehinderter Menschen mit den notwendigen Arbeitshilfen, vor allem solche technischer Natur, auszustatten. Schwierig wird es für Arbeitgeber oft bei der Bereitstellung von Parkplätzen. So hat der Arbeitgeber Schwerbehinderten auch bevorzugt Parkmöglichkeiten in der Nähe des Arbeitsplatzes anzubieten (§ 164 SGB IX, Rn. 42). Dies bedeutet indes nicht, dass für jeden schwerbehinderten Menschen ein kostenfreier Parkplatz zur Verfügung zu stellen ist. Vielmehr gilt fort, was das BAG schon im Jahr 1960 entschieden hat: „Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, Unterstellraum für motorgetriebene Fahrzeuge zu schaffen, die seine Arbeitnehmer zur Zurücklegung des Weges von und zur Arbeitsstätte benutzen, hängt jeweils von den Besonderheiten des Falles ab. Nur so wird man der im Einzelfalle verschieden liegenden Zumutbarkeitsfrage zur Bereitstellung von Unter- und Abstellraum durch den Arbeitgeber gerecht“ (BAG, Urt. v. 4.2.1960 – 2 AZR 290/57 = NJW 1960, 1318). Dies zugrunde gelegt ist aber jedenfalls außergewöhnlich gehbehinderten Beschäftigten (Merkmal „aG“) regelmäßig ein kostenfreier Parkplatz in möglichst geringer Entfernung zum Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Ein Hinweis hierauf wäre wünschenswert gewesen.
Dabei überzeugt die Kommentierung mit ihrem Fokus auf das Wesentliche und damit ihrer Prägnanz. Diese zeigt sich auch im Rahmen der Bearbeitung des § 179 SGB IX, der die Rechtsstellung der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen regelt. So gilt nach § 179 Abs. 8 SGB IX, dass der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung entstehenden Kosten trägt, mit der Maßgabe, dass bei öffentlichen Arbeitgebern die Kostenregelungen für Personalvertretungen entsprechende Anwendung finden. Pahlenlegt dazu die Grundsätze der Kostentragung mitsamt den wesentlichen Sachverhalten anschaulich und entlang der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar (§ 179, Rn. 23). So weist der Autor etwa treffend auf die vom LAG Schleswig-Holstein kürzlich bestätigte Rechtsprechung hin, wonach der Schwerbehindertenvertretung nicht bereits qua Gesetz ein eigener Raum oder eine eigene Büroausstattung zusteht (LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 26.4.2017 – 6 TaBV 47/16); vielmehr bedürfe es insoweit einer Absprache mit dem Arbeitgeber (§ 179, Rn. 24). Hinsichtlich der Reisekosten der Schwerbehindertenvertretung stellt Pahlen indes nur fest, dass „Fahrtkosten zum Arbeitsamt oder Integrationsamt“ zu den durch den Arbeitgeber zu tragenden Kosten gehören würden (§ 179, Rn. 23). Welche Reisekosten darüber hinaus zu tragen sind und welche Rechtsgrundlagen zugrunde zu legen sind, ergibt sich daraus indes nicht. So hat auch der Arbeitgeber selbstverständlich nicht „sämtliche Kosten beliebig ausgestalteter Reisen der Schwerbehindertenvertretung zu tragen“ (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 04.12.2012 – 5 TaBV 6/11). Vielmehr kann aus § 179 Abs. 8 S. 1 SGB IX nur folgen, dass die auch im Übrigen verbindliche Reisekostenregelung auf Reisen der Schwerbehindertenvertretung „entsprechend“ anzuwenden ist, obgleich auch bei Dienststellen das LRKG nicht unmittelbar Anwendung findet (ibid.). Hier zeigt sich, dass der Kommentar zwar das Wesentliche sehr gut aufbereitet, einzelne – und in der Praxis oftmals relevante – Fallkonstellationen aber nicht gebührend zusammenstellt. Naturgemäß kann dies bei gegebenem Umfang auch nicht an jeder Stelle erwartet werden. Dennoch ist das Werk die praktischen Anwendungsfälle betreffend oftmals etwas knapp geraten.
Im Anschluss an die Regelungen des SGB IX findet der Leser noch das Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr, das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz) sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor und mit Ausnahme des letztgenannten Gesetzes auch kommentiert. Es folgen die Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen, die Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung, die Werkstättenverordnung, die Werkstätten-Mitwirkungsverordnung sowie die Schwerbehindertenausweisverordnung. Diese ergänzende Zusammenstellung ist lobenswert und komplettiert das Werk, sodass praktischerweise alle einschlägigen Vorschriften in einem Werk versammelt sind.
Zusammenfassend erfüllt der Kommentar die an ihn gestellten Erwartungen. Die Regelungen des SGB IX werden – mit den genannten Einschränkungen bei der Behandlung praktischer Fallkonstellationen – umfassend und prägnant behandelt. Besonders hervorzuheben ist die Übersichtlichkeit und gute Struktur der Bearbeitungen, maßgeblich beeinflusst durch viele Überschriften, ein angenehmes Schriftbild sowie den bekannten Fettdruck von Schlagworten. Mit einem angemessenen Preis von 109,- Euro ist das Werk ein geeignetes Nachschlagewerk für alle mit dem SGB IX befassten, darunter etwa Personalabteilungen, Schwerbehindertenvertretungen oder Verwaltungsjuristen. Schließlich haben die Autoren den Übergang zur neuen Rechtslage sehr gut gemeistert. Wer mithin bereits im Besitz der acht Jahre alten Vorauflage aus dem Jahr 2010 ist, sollte definitiv über eine Neuanschaffung nachdenken.