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Rezension Öffentliches Recht: Grundrechtsschutz im Internet

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Kutscha / Thomé, Grundrechtsschutz im Internet?, 1. Auflage, Nomos 2013

Von Ass. iur. Marcus Heinemann, Dipl.-Verw. (FH), Hamburg
 

Grundrechtsschutz im Internet? Dieser Fragestellung gehen die beiden Autoren Prof. Dr. Martin Kutscha von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und Sarah Thomé in ihrem knapp 150 Seiten starken Werk nach. Dahinter stecken interessante Fragestellungen insbesondere vor dem Hintergrund der letzten Datenskandale um NSA und PRISM, die noch spannender sind, wenn man sich die letzten Aussagen von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich vor Augen führt, der die Bürger zu besserem Selbstschutz ihrer Daten auffordert. Hier fragt sich insbesondere, ob das die richtige Stoßrichtung ist und der durchschnittlich computererfahrene Bürger zu effektivem Selbstschutz seiner Daten – ob nun mit staatlicher Unterstützung etwa ganz praktisch in Form der Zurverfügungstellung von Schutzprogrammen – überhaupt in der Lage ist. Bedenkt man, dass der Bürger sowieso nur begrenzten Einfluss auf die unzähligen durch staatliche wie nichtstaatliche Akteure erhobenen Daten hat, zeigt sich hier zugleich das eigentliche Dilemma: Es geht längst nicht mehr nur um den reinen Datenschutz beispielsweise gespeicherter Daten auf der heimischen Festplatte, sondern zunehmend etwa auch um den Schutz der datenverarbeitenden informationstechnischen Systeme selbst. Dies hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht erkannt, indem es vor nunmehr schon fünf Jahren ein weiteres Grundrecht kreierte: Das Grundrecht auf die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, auch bekannt als sog. IT-Grundrecht.

Das vorliegende Werk mit der Leitidee, dass „Grundrechte eine wichtige Orientierungsfunktion für die Regelung der unterschiedlichen und zum Teil gegenläufigen Interessen der am weltweiten Netz beteiligten Akteure erfüllt“, versucht in diesem Spannungsfeld eine schon im Hinblick auf die globale Komplexität der Materie nicht mögliche abschließende Untersuchung zu liefern, die zu neuen Denkanstößen verhelfen will (vgl. Vorwort). Hierbei gilt es zu beachten, dass nicht nur dem einzelnen Bürger, sondern (möglicherweise) auch den international agierenden privaten Unternehmen Grundrechtsschutz etwa durch die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG zuteil kommen könnte.

Der erste Teil von Kutscha will vor allem die einzelnen „Kollisionslagen im Lichte der jeweils betroffenen Grundrechte der verschiedenen Akteure“ betrachten und analysieren (S. 14). Nach einer Auseinandersetzung mit den Begriffen Privatsphäre und Öffentlichkeit widmet sich der Autor ausführlich dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (S. 24 ff.). Nach einer Erläuterung des Schutzzwecks des Grundrechts folgt eine detaillierte Skizzierung der Eingriffsformen und der Anforderungen an ihre Rechtfertigung. Gerade im Hinblick auf die Globalplayer Googleund Facebook kommt auch die Betrachtung des Grundrechtsschutzes gegenüber privaten Unternehmen nicht zu kurz. Weiter wird das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität, das Fernmelde- bzw. Telekommunikationsgeheimnis des Art. 10 GG sowie die Menschenwürde aus Art. 1 I GG vertieft behandelt. Schließlich werden die speziellen Problemfelder „Personenbewertungsportale im Internet“ und die Urheberrechtsreform abgehandelt. In Thesen werden die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst (S. 95 ff.). So wird beispielsweise der „Mehrwert“ des IT-Grundrechts mit Blick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Frage gestellt (S. 55 ff. und 97 f.). Der zweite Teil von Thomé beschäftigt sich verstärkt mit dem Datenschutzrecht und der Datenschutzkontrolle, wobei insbesondere auch die internationale Perspektive einbezogen wird. Exemplarisch soll verdeutlicht werden, inwiefern die aktuellen Datenschutzregelungen „wirklichkeitsfremd“ geworden sind (S. 101 ff.).

Der Band Grundrechtsschutz im Internet? kann jedem interessierten Leser nur empfohlen werden, selbst wenn er nicht der juristischen Profession entstammt, denn der lebendige Schreibstil verknüpft mit der Aktualität der Problematik und der Betroffenheit im Grunde fast jeden Lesers lassen das Werk zu einer spannenden Lektüre werden, die einen wichtigen Anstoß zu weiterführenden Diskussionen geben wird. Auf diesem Feld wird allein schon wegen der länderübergreifenden Arbeitsweise des Internets noch lange Gesprächsbedarf bestehen bis eine befriedigende Lösung für alle beteiligten Akteure in Sicht sein könnte. Insofern wurde hier wieder ein wertvoller Beitrag vorgelegt.

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