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Rezension: AGG

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Däubler / Bertzbach (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Handkommentar, 4. Auflage, Nomos 2018

Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., Essen

  
Das AGG hat längst seinen Ruf als „Schreckgespenst“ der Zivil-, vor allem aber der Arbeitsrechtler längst eingebüßt. Es ist Teil der täglichen Praxis geworden, obgleich es hier und da immer noch Unschärfen und neue Sachverhalte gibt, die es mithilfe des AGG sowie der dem AGG zugrundeliegenden Richtlinie zu lösen gilt. Der nach fünf Jahren nun in der 4. Auflage erschienene und von Prof. Dr. Wolfgang Däubler und Martin Bertzbach herausgegebene Handkommentar zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz stellt insofern eine große Hilfe dar. Das Werk befindet sich nunmehr auf dem Stand von Januar 2018, ist folglich so aktuell wie möglich, obgleich sich die Rechtsprechung naturgemäß in der Zwischenzeit in einzelnen Fragen schon wieder weiterentwickelt hat. Neben der Einarbeitung von Literatur und Judikatur ist das Werk an etlichen Stellen nochmals vertieft worden – auch daraus folgt das Anwachsen des Bandes auf nunmehr fast 1200 Seiten.

Die Zusammensetzung des Autorenkreises hat sich nur insofern verändert, als dass Thorsten Beck die Kommentierung der §§ 22, 23 AGG übernommen hat. Wichtig – für alle im Feld des Antidiskriminierungsrechts tätigen – erscheint die Entscheidung, die Randnummern der Kommentierungen neu durchzuzählen. Einerseits erschien dies aufgrund der vielen an die Randnummern angehängten Buchstaben geradezu geboten, um die Übersichtlichkeit wiederherzustellen und das Zitieren zu erleichtern. Andererseits ist eine Veränderung der Randnummern nicht immer förderlich, etwa wenn der Leser die Entwicklung einer bestimmten Randnummer im Vergleich zur Vorauflage begutachten möchte. Auch Gerichte und Literatur werden sich an die neuen Randnummern gewöhnen müssen.

Das Werk beginnt mit einem Inhalts- und einem Autorenverzeichnis. Es folgt eine äußerst ergiebige, fast 100 Seiten umfassende Einleitung. Sodann schließt sich die eigentliche Kommentierung entlang der Paragraphen an. Dabei sind der einzelnen Kommentierung stets der Normtext sowie – bei umfangreichen Bearbeitungen – eine eigene Inhaltsübersicht vorangestellt.

Die Lektüre der Einleitung sei nicht nur Einsteigern im Antidiskriminierungsrecht dringend ans Herz gelegt. Neben einem Überblick und dem Verhältnis zum vormals geltenden Recht widmet sich Däubler hier vor allem dem Verhältnis von AGG und Unionsrecht, den völkerrechtlichen Diskriminierungsverboten und konzeptionellen Überlegungen. Diese Themenkomplexe der Kommentierung voranzustellen ist insofern lobenswert, da dem geneigten Leser bei den konkreten Kommentierungen und Rechtsfragen immer wieder Grundfragen in den Sinn kommen, vor allem das Verhältnis zwischen AGG und EU-Recht betreffend, die er gebündelt in der Einleitung vorfinden kann. An der hohen Qualität der Einleitung hat sich im Vergleich zur Vorauflage nichts geändert.

Im Rahmen der eigentlichen Kommentierung des AGG sei die unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen nach § 8 AGG herausgegriffen. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Demnach können auch Differenzierungen wegen der ethnischen Herkunft zulässig sein. Brors stellt zunächst klar, dass diskriminierende Kundenerwartungen keine Rechtfertigung nach § 8 AGG begründen können (§ 8 AGG, Rn. 36). Sodann widmet sie sich ausführlich den diskutierten Einzelfällen, von Restaurants, die – dem Geschäftskonzept entsprechend – nur Arbeitnehmer aus dem jeweiligen Herkunftsland beschäftigen wollen, über den Ausschluss von „Bewerber[n] aus terrorverdächtigen Ländern“ (§ 8 AGG, Rn. 39) bis hin zur Anforderung von bestimmten sprachlichen Voraussetzungen. So war vor allem die Formulierung „Deutsch als Muttersprache“ in Stellenausschreibungen schon mehrfach Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen (vgl. § 8 AGG, Rn. 40). Insofern zitiert Brors richtigerweise das Urteil des ArbG Berlin (11.02.2009 – 55 Ca 16952/08 = NZA-RR 2010, 16), allerdings noch als abweichende Ansicht. Mit der BAG-Entscheidung (Urt. v. 29.6.2017 – 8 AZR 402/15 = NZA 2018, 33) dürfte sich allerdings nunmehr die Auffassung durchgesetzt haben, dass die Anforderung „Deutsch als Muttersprache“ die Vermutung i.S.d. § 22 AGG begründet, dass ein Bewerber wegen seiner ethnischen Herkunft diskriminiert wird. Einen Hinweis auf das Urteil lässt der Kommentar an dieser Stelle allerdings leider vermissen. Schließlich widmet sich die Bearbeiterin dann noch der Rechtfertigung aufgrund gruppenspezifischen Vertrauensverhältnisses, etwa dem für ausländische Jugendliche zuständigen Sozialarbeiter (§ 8 AGG, Rn. 41). An diesen Stellen zeigt sich eine große Stärke des Kommentars, der die ganze Fülle der Einzelfälle abhandelt, was in der täglichen Praxis einige Zeitersparnis bedeutet.

Beachtenswert sind auch die Ausführungen zur Ausschreibung von Teilzeitarbeitsplätzen (§ 11 AGG, Rn. 28). § 7 Abs. 1 TzBfG sieht insofern vor, dass Arbeitgeber Arbeitsplätze, die sie öffentlich oder innerhalb eines Betriebes ausschreiben, auch als Teilzeitarbeitsplätze ausschreiben müssen, wenn sich die Arbeitsplätze hierfür eignen. Buschmann weist zu Recht daraufhin, „die Benachteiligung aus Gründen der Teilzeit kein verpöntes Merkmal“ im Sinne des AGG ist (§ 11 AGG, Rn. 30). Werde aber aus Gründen der Teilzeit benachteiligt, sei darin möglicherweise eine mittelbare Diskriminierung von Frauen zu erkennen. Nicht nur vor dem Hintergrund der durch die Große Koalition geplanten Änderungen im TzBfG zur sog. „Brückenteilzeit“ bzw. zum Recht auf Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit sei Arbeitgebern daher eine erhöhte Sensibilität angeraten, was die Ausschreibung von Teilzeitarbeitsplätzen betrifft. Auch im Rahmen des Treffens arbeitsvertraglicher oder betrieblicher Regelungen sollte stets Bedacht daraufgelegt werden, mögliche Diskriminierungen Teilzeitbeschäftigter zu verhindern. So ist das AGG – neben dem Diskriminierungsverbot des § 4 TzBfG – stets anwendbar (§ 11 AGG, Rn. 30).

Ähnlich der Neuauflage des AGG-Kommentars von Bauer/Kriegerverfügt auch der Däubler/Bertzbachnun über eine Kommentierung des Entgelttransparenzgesetzes. Hinrichs und Zimmer haben hier ganze Arbeit geleistet und einen ersten „Aufschlag“ vorgelegt – mehr kann angesichts der zum Stand der Bearbeitung noch fehlenden Rechtsprechung wohl nicht erwartet werden. Eine kommende Auflage wird – aufgrund der dann zu berücksichtigenden Entwicklung in der Praxis – auch wegen der Kommentierung des Entgelttransparenzgesetzes nochmals an Umfang zulegen. Möglicherweise wäre der Verlag gut beraten gewesen, einen Hinweis auf das Entgelttransparenzgesetz auch auf dem Cover unterzubringen. Denn so kommt die Kommentierung für den Leser doch etwas überraschend.

Der „HK-AGG“ oder „DB“, wie der Däubler/Bertzbachoft abgekürzt wird, ist aus dem deutschen Antidiskriminierungsrecht kaum hinwegzudenken. Er gehört zu den wenigen Standardwerken zum AGG. Man mag auch in anderen Kommentaren umfassende Ausführungen zum AGG finden. Wer aber nicht nur Rechtsprechungszitate sucht, sondern auch vertiefende Argumentation, der wird hier fündig werden. Der Verkaufspreis in Höhe von 98 Euro ist insoweit völlig gerechtfertigt. Richter, Rechtsanwälte oder Verbands- und Verwaltungsjuristen werden ihre Freude an dem Band haben. Zudem ist das Werk Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretungen aufgrund der vielen Beispiele (regelmäßig unter der Zwischenüberschrift „Einzelfälle“ zusammengestellt) für den täglichen Gebrauch in der Praxis vollends zu empfehlen.


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