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Rezension: IT-Arbeitsrecht

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Kramer, IT-Arbeitsrecht – Digitalisierte Unternehmen: Herausforderungen und Lösungen,1. Auflage, C.H. Beck 2017

Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., Essen



Schleichend hat sich – spätestens seit der Jahrtausendwende – zwischen all den bestehenden arbeitsrechtlichen Teilbereichen ein Gebiet herausgebildet, dass mit dem Titel des vorliegenden Werkes als „IT-Arbeitsrecht“wohl treffend beschrieben werden kann. Dabei ist der Begriff nicht allzu leicht zu fassen. Zum einen handelt es sich um eine Spezialthematik, der ganz spezifische Themenkomplexe, etwa Betriebsvereinbarungen zum Einsatz von datenverarbeitenden Systemen, unterfallen. Zum anderen kann man IT-Arbeitsrecht auch als Querschnittsthematik betrachtet werden, die mittlerweile in die verschiedenen Bereiche des Arbeitsrechts in ganz unterschiedlicher Weise Eingang gefunden hat. Im Sinne letzterer Einordnung ist vielfach von der „Digitalisierung der Arbeitswelt“ die Rede. Gewissermaßen ist das IT-Arbeitsrecht eine Schnittstelle zwischen IT und Arbeitsrecht, wenngleich die rechtlichen Herausforderungen den technischen Entwicklungen oftmals hinterherhinken oder zumindest hinterherhinken zu scheinen.

Dr. Stefan Kramer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, gebührt Dank dafür, dass er sich – gemeinsam mit weiteren erfahrenen arbeitsrechtlichen Praktikerinnen und Praktiker – der Thematik gewidmet und ein umfassendes Handbuch hervorgebracht hat. Das Werk ist in sehr sach- und übersichtsdienlicher Weise in fünf Abschnitte gegliedert.

Zunächst widmet sich Solmecke eingehend der digitalisierten Arbeitswelt (A.), was offensichtlich als Einleitung dienen soll. Dabei streift der Autor unter Verwendung möglichst vieler in diesem Zusammenhang gebräuchlicher Schlagwörter und Phrasen – nicht gänzlich unkritisch (vgl. etwa Rn. 10) schon mal allerlei Gebiete, die im weiteren Verlaufe des Buches eine Rolle spielen, etwa Home-Office (Rn. 11 ff.), „Bring your own device“ (BYOD) (Rn. 17 f.), Crowdworking (Rn. 19 ff.) oder Social Media (Rn. 29 ff.).

Sodann geht es in medias res: Der Abschnitt „Individualarbeitsrecht“(B.) stellt mit fast 300 Seiten den Hauptteil des Buches dar. Dies erscheint folgerichtig, verdeutlicht man sich, dass ein Großteil der IT-arbeitsrechtlichen Problemfelder im individualarbeitsrechtlichen Bereich liegen. In 13 Kapiteln werden die einschlägigen Fragestellungen behandelt, von „IT-Nutzung als Pflichtverletzung“ (S. 46 ff.), über „Haftung des Arbeitnehmers im Rahmen der IT-Nutzung“ (S. 138 ff.), „Kontrolle der IT-Nutzung“ (S. 144 ff.) und „Home-Office“(S. 190 ff.) bis hin zu BYOD (S. 207 ff.) und „IT-Fortbildung im Arbeitsverhältnis“ (S. 305 ff.).

Interessant gestalten sich etwa die Ausführungen von Kramerzu Beiträgen von Arbeitnehmern in sozialen Netzwerken (Rn. 286 ff.). Nach Darstellung der verschieden Beitragsformen führt der Autor aus, dass und wann durch bestimmte Beiträge die arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt werden können. Darunter fallen auch die in der Presse verbreiteten Fälle, in denen Arbeitnehmer in sog. „Statusmeldungen“ über Verhaltensweisen berichten, die ihrer offiziellen Krankschreibung entgegenstehen (Rn. 293) oder durch Anklicken des „Gefällt mir“-Buttons bei Facebook sich etwa grobe Beleidigungen zu eigen machen (Rn. 300 f.). Einen besonderen Schwerpunkt setztKramer bei Beiträgen, in „denen sich Arbeitnehmer in negativer Weise über das Unternehmen des Arbeitgebers, die betrieblichen Verhältnisse, den Arbeitgeber selbst, Vorgesetzte oder Kollegen äußern“ (Rn. 294 ff.). Unter Berücksichtigung der verschiedenen Grundrechtspositionen werden die Abwägungskriterien dargelegt und die Grundsätze prägnant ausgeführt. Der berühmte „Whistleblower“-Post, womit auf innerbetriebliche Missstände oder „unrechtmäßiges Handeln des Arbeitgebers“ (Rn. 298) hingewiesen werden soll, findet ebenfalls Beachtung. Kramer sieht darin zutreffend eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht und zeigt mögliche Alternativen für den Arbeitnehmer auf. Wird der Personalverantwortliche mit solchen Ausführungen in anderen Werken oft „allein gelassen“, so verknüpft das vorliegende Werk die Problembereiche stets mit möglichen Handlungsoptionen. Der Autor zeigt daher die Relevanz von Rüge, Abmahnung, ordentlicher und außerordentlicher Kündigung auf und unterlegt diese mit Beispielen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass auch die Verwertung eines Social-Media-Beitrags im Prozess gewürdigt wird. Dies zeugt von der besonderen Praxisorientierung des Handbuchs.

Für Personalverantwortliche, aber auch Betriebs- und Personalräte, durchaus von Relevanz ist das Kapitel über die zunehmend Verbreitung findende elektronische Personalakte (Rn. 903 ff.). Nach einer kurzen Definition von „Personalakten“ widmet sich Raif den Grundsätzen der Aktenführung, dem Inhalt der Personalakte, Rechten und Ansprüchen des Arbeitnehmers sowie den Aufbewahrungsfristen. Gerade der Datenschutz wird in der Praxis vielfach ein Argument für die Einführung elektronischer Akten sein. So ist die Einhaltung bestimmter Löschfristen digital einfacher zu bewerkstelligen als in herkömmlicher Art und Weise. Schließlich legt Raif dar, dass der Betriebsrat bei Einführung einer elektronischen Personalakte unter Umständen ein Mitbestimmungsrecht haben kann (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG), was indes einzelfallabhängig zu beurteilen ist.

Derartige Fragen werden im Rahmen des Kapitels zu kollektivrechtlichen Implikationen (C.) selbstverständlich vertieft und stehen dort im Vordergrund. Dennoch haben auch Fragen etwa der betriebsratseigenen IT-Infrastruktur hier einen festen Platz.

Schließlich – gewissermaßen als kurze Ergänzungen – findet der Leser noch Kapitel zum „IT-Arbeitsstrafrecht“ (D.) sowie zur „Steuer- und sozialversicherungsrechtliche[n] Behandlung der IT-Nutzung“ (E.) vor. Diese stellen beileibe nicht den Hauptteil des Werkes dar. Dennoch können sie etwa bei Folgefragen, die sich aus den vorhergehenden Kapiteln ergeben, teilweise direkte Abhilfe schaffen.

Rundum gelungen ist die durchgängige Verwendung von Praxistipps und -hinweisen, Beispielen, Check-Listen, Mustern und Auflistungen. Es ist zu hoffen, dass diese Darstellungsformen in künftigen Auflagen noch ausgeweitet werden, um den Gebrauchswert des Handbuchs weiter zu steigern. Überaus gut gefällt dem Rezensenten, dass der Inhaltsübersicht noch ein sehr ausführliches Inhaltsverzeichnis nachgestellt ist, was dem Leser gerade bei Handbüchern den schnellen Zugriff enorm erleichtert. Auch die gewohnte Fett-Druck-Technik sowie das angenehme Schriftbild erhöhen den Lesekomfort. Misslungen und verwirrend ist dagegen die Fußnotenzählung, die mit jedem kleineren Unterkapitel wieder neu beginnt. Gleiches gilt für die Randnummernzählung, die nicht durchgängig erfolgt, was im Hinblick auf die Zitierfähigkeit zumindest unglücklich ist. Dies sollte der Verlag bei einer etwaigen Folgeauflage verbessern.

Gemäß dem Vorwort soll das Werk „allen in Theorie und Praxis auf dem Gebiet des IT-Arbeitsrechts tätigen Lesern eine Hilfestellung zur Bewältigung der individual- und kollektivrechtlichen Herausforderungen geben“ (VII). Diese Zielvorgabe wird definitiv erreicht. Die enorme Spannweite der behandelten Komplexe bringt mit sich, dass wohl die meisten mit dem IT-Arbeitsrecht verknüpften Problemkreise in dem Werk behandelt werden.  Das Buch gibt insofern nicht nur eine, sondern vielerlei Hilfestellungen und sollte dem Praktiker bei IT-arbeitsrechtlichen Problemen stets als erste Anlaufstation dienen. So erlangt der Leser schnell einen Einblick in das jeweilige Gebiet. Dennoch ergibt sich aus dem Charakter des Handbuchs sowie aus der Spannweite der behandelten Themen, dass eine allumfassende Darstellung auf unter 500 Seiten nicht zu leisten ist. So mag das Buch auf der Suche nach Antworten auf spezifische Detailfragen nicht immer ad-hoc eine Lösung anbieten, doch bieten in diesen Fällen die Fußnoten oftmals gute Anhaltspunkte für eine weitergehende Recherche.

So verbleibt am Ende die entscheidende Frage: Sollte man sich dieses Buch zulegen? Oder reichen die vorhandenen Werke aus? Wie bereits der Untertitel – „Digitalisierte Unternehmen“– zeigt, nimmt das Handbuch überwiegend die Perspektive von Arbeitsrechtlern in Unternehmen und Behörden ein. Für diese Personengruppen stellt das Werk eine große Bereicherung dar, da es eine zentrale Anlaufstelle für IT-arbeitsrechtliche Fragen schafft. Die vielfältigen Muster, Checklisten und Praxishinweise unterstützen die Gestaltung der betrieblichen bzw. behördlichen Praxis enorm und führen damit zu einiger Arbeitserleichterung. Zudem bietet das Werk mit nur 89 Euro ein sehr attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis. Um die eingangs gestellte Frage damit zu beantworten: Personalverantwortlichen sei das Werk sehr empfohlen, um die tagtäglichen Probleme zügig lösen zu können. Alle anderen Personengruppen werden wohl kein so konzentriert dem IT-Arbeitsrecht gewidmetes Werk benötigen; sie werden auf vorhandene Kommentare zurückgreifen können.

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