Schünemann, Leipziger Praxiskommentar Untreue - § 266 StGB, Überarbeitete und Ergänzte Sonderausgabe, de Gruyter 2017
Von RA Dr. Sebastian Braun, Leipzig.
Die Untreue gemäß § 266 StGB gilt in Ausbildung und Praxis als eines der kompliziertesten und am schwersten durchdringbaren Delikte, die das Strafrecht bereithält. Während in der Klausursituation der fehlerhafte Umgang mit der Norm „nur“ ein unbefriedigendes Punkteergebnis nach sich zieht, kann sich selbiger Fauxpas in der Realität fatal auswirken. Um Licht ins Dunkel zu bringen, existieren umfangreiche Kommentierungen und ein „bunter Strauß“ an dogmatischen Erläuterungen in der Fachliteratur. Allerdings vereinfacht es dieser Umstand nicht immer, sich im Dickicht dieser Norm und der diesbezüglich vertretenen Ansichten zu orientieren. Hinzu kommen regelmäßige Gesetzesänderungen, die sich auf § 266 StGB auswirken und eine Flut an Entscheidungen aus der Rechtsprechung, die sowohl für Wissenschaft als auch Praxis enorme Bedeutung haben. Dafür eine klare und praxistaugliche Hilfestellung zu sein, ist das Ziel von Schünemann und der von ihm vorgelegten Auskopplung des Leipziger Kommentars zu § 266 StGB, die sich als Werk „aus einem Guss“ präsentiert. Dass den Leser – in für den Leipziger Kommentar gewohnter Manier – eine umfassende und tiefgehende Erläuterung aller Tatbestandsmerkmale des § 266 StGB sowie der dazu gehörigen relevanten Fallgruppen erwartet, bedarf keiner dezidierten Erörterung. Es ist höchst erfreulich, dass dies bei der Kommentierung durch Schünemann als „Standard“ gilt, obwohl ein Tiefgang, wie man ihn im vorliegenden Band findet, auf dem vorhandenen Büchermarkt nicht immer als Selbstverständlichkeit zu begreifen ist. Auf folgende Aspekte soll nun gesondert hingewiesen werden:
Die in Paragraphen unterteilte Kommentierung ist zunächst erwartungsgemäß aufgebaut: Nachdem sich mit der Entstehungsgeschichte und dem Wesen der Untreue befasst worden ist, widmet sich § 3 der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. In diesem Abschnitt wird auch intensiv auf die Untreuejudikatur des BVerfG eingegangen (Rdnr. 39 ff.). Aus Sicht des Rezensenten ist es sehr zu begrüßen, dass dieser ein eigenständiger Part gewidmet worden ist, der zusätzlich durch die Kommentierung der von ihr beeinflussten Tatbestandsmerkmale (z.B. dem Vermögensnachteil) flankiert wird. Schünemann stellt Inhalt und Auswirkungen der Grundsatzentscheidung vom 23.06.2010 klar dar. Insbesondere thematisiert er – und darin liegt ein besonderer Charme des Abschnitts – inwieweit die Rechtsprechung die Inhalte der Grundsatzentscheidung seit 2010 tatsächlich umgesetzt hat, was der Autor u.a. anhand der BGH-Entscheidungen zu den schwarzen Kassen und zur Telekom-Affäre kritisch hinterfragt. Möglicherweise hätte es sich angeboten, an dieser Stelle einen Blick auf § 263 StGB und dessen Zusammenhang zur BVerfG-Judikatur aufzuzeigen. Andererseits ist dies auch nicht von einer reinen auf § 266 StGB ausgerichteten Kommentierung zu fordern.
Besonders für denjenigen, der sich wissenschaftlich mit der Untreue befasst, dürften die Ausführungen ab Rdnr. 109 ff. von Interesse sein. Im Zusammenhang mit der Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht greift Schünemannauch das Theorem der asymmetrischen Akzessorietät auf. Nach dieser stellt die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Primärpflicht nur eine Mindestvoraussetzung dar, an die sich die weitergehende und eigenständige Prüfung einer strafrechtlich relevanten Pflichtverletzung anschließt. Dem stellt sich Schünemann mit der von ihm vertretenen Lehre von der Zivilrechtsaffinität entschieden entgegen und argumentiert mittels Dogmatik und Rechtsprechungsbeispielen zu § 266 StGB. Die vom Autor gewählten Formulierungen (z.B. „fehlerhafte theoretische Ansatz der asymmetrischen Zivilrechtsakzessorietätstheorie“ oder „diese asymmetrische Akzessorietätstheorie verzeichnet das Verhältnis von Strafrecht und Zivilrecht“) lassen vermuten, dass Schünemann die asymmetrische Akzessorietätslehre nicht nur im Rahmen des § 266, sondern generell als nicht zutreffend erachtet. Eine solche absolute Ablehnung ist jedoch am Beispiel von § 263 StGB und der Fallgruppe ärztlicher Abrechnungsmanipulationen kritisch zu hinterfragen. Aus Sicht des Rezensenten ist die asymmetrisch-akzessorische Auslegung des Tatbestandes auf diesem Gebiet in der Lage, dessen unzulässige Normativierung und eine Überdehnung des Vermögensschutzzwecks zu verhindern (vgl. Braun, Autonomie versus Akzessorietät des Strafrechts am Beispiel des ärztlichen Abrechungsbetruges, 2016).
Abschließend ist besonders das ab Rdnr. 146 ff. zu findende „Rechtsprechungsalphabet“ als sehr gelungen hervorzuheben. Schünemann hat es übernommen, die kaum überschaubare Rechtsprechung zu § 266 StGB zu durchforsten und eine Auflistung aller in Betracht kommenden Untreuetäter vorzunehmen. Von „A wie Abgeordneter“ bis „Z wie Zugführer“ wird mittels der einschlägigen Fundstellen beantwortet, ob und unter welchen Umständen eine Täterschaft zu bejahen oder zu verneinen ist. Zudem werden häufig weitergehende Erläuterungen vorgenommen. Die Aktualität des Verzeichnisses lässt sich z.B. daran erkennen, dass auch die Vertragsarztentscheidung vom 16.08.2016 unter dem Schlagwort „Kassenarzt“ mitberücksichtigt worden ist. In diesem Katalog liegt eine Stärke der Kommentierung, die auch die tägliche Arbeit des Praktikers „auf den schnellen Blick“ erleichtern kann.
Sowohl für Wissenschaftler als auch Praktiker lässt sich eine vertiefte Beschäftigung mit der Materie durch die Kommentierung an sich, aber auch durch die detaillierte Auflistung des vorhandenen Schrifttums erreichen. Letztere wird zum einen durch den umfangreichen Fußnotenapparat und zum anderen durch die überblicksartige Darstellung am Anfang des Werkes erreicht. Zur Amts-, Bank- und Gesellschaftsuntreue findet sich in § 11 gar eine noch spezialisiertere Auswertung des Schrifttums.
Fazit: Für den klassischen Wirtschaftsstrafrechtler, der sich regelmäßig mit § 266 StGB zu befassen hat, stellt diese Auskopplung zur Untreue einen absoluten Mehrgewinn für die tägliche praktische und wissenschaftliche Arbeit dar. Aber auch demjenigen, der sich mit der Materie erstmalig beschäftigt, wird der Zugang zu diesem komplexen Themenbereich aufgrund der klaren und eingängigen Darstellung erleichtert.