Schulze / Zuleeg / Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Auflage, Nomos 2015
Von RA Dr. Tobias Hermann, Hamburg
Die Herausgeber versammeln hier einen Stamm von 50 Autoren aus Wissenschaft und Praxis, der auf 2.731 Seiten einen Überblick über die Auswirkungen des Europarechts auf nahezu sämtlichen nationalen Rechtsgebiete gibt. Dazu gliedert sich das Werk in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil. Im Allgemeinen Teil werden u.a. Institutionen (§ 1), Rechtsschutz (§ 4), der Grundsatz der Unionstreue (§ 7), die Grundfreiheiten (§ 10) und das Verhältnis des Unionsrechts zu dem Recht der Mitgliedstaaten (§ 11) dargestellt. Im Besonderen Teil geht es um das Europäische Lauterkeitsrecht (§ 17), das Recht des geistigen Eigentums (§ 21), das Beihilfenrecht (§ 28) bis hin zum Kommunikationsrecht (§ 36) und dem Europäischen Datenschutz (§ 37). Besonderes letzteres wird mit der neuen Datenschutzgrundverordnung im nächsten Jahr weitreichende Folgen für das nationale Recht haben (siehe dazu § 37 Rn. 51).
Kaum ein Jurist wird sich den Auswirkungen des Europarechts mehr entziehen können. Egal, ob im Verwaltungsrecht (insbes. § 48 I, II VwVfG), Verwaltungsprozessrecht (v.a. §§ 80 V, 123 VwGO) oder im Staatshaftungsrecht (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) – überall müssen die nationalen Vorschriften so ausgelegt werden, dass das Europarecht zu einer optimalen praktischen Wirksamkeit gelangt. Selbst der entgegenstehende Wortlaut einer nationalen Vorschrift, z.B. die Jahresgrenze für die Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte in § 48 IV VwVfG, bildet hier keinen Hinderungsgrund für den Anwendungsvorrang des Europarechts.
Besondere Bedeutung kommt dabei natürlich dem Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Gerichtshof zu. Auch hier findet der Leser insbes. in § 11 und § 15 zuverlässig die Entwicklung der „Solange“-Rechtsprechung dargestellt, wonach das Bundeverfassungsgericht deutsche Grundrechte bei europäischen Sachverhalten nicht mehr zur Prüfung heranzieht – insofern kommt dem EuGH das Auslegungsmonopol für das Europarecht zu (§ 11 Rn. 21, 24, 36, 42). Allerdings behält sich Karlsruhe eine Prüfung am Maßstab der deutschen Verfassungsidentität vor (Art. 23 I 3, 79 III, 1, 20 GG, dazu § 11 Rn. 25 und 33 f.) und kontrolliert, ob für den jeweiligen europäischen Rechtsakt überhaupt eine Zuständigkeit der EU besteht oder ggf. ein „ausbrechender Rechtsakt“ vorliegt (sog. ultra-vires-Kontrolle, dazu § 15 Rn. 27). In diesen beiden Fällen steht die Rechtsprechung eher noch am Anfang der Entwicklung, so dass hier sicherlich noch weitere Präzisierungen und Ausdifferenzierungen des Rechtsschutzes vor dem BVerfG und dem EuGH erfolgen werden. Die jüngsten Fälle zum „europäischen Haftbefehl“ und der „Europäischen Zentralbank“ ziehen hier die ersten Leitlinien.
Selbstverständlich darf auch die Diskussion um die Mautgebühren nicht fehlen (§ 34 Rn. 50 ff.), wobei die Europäische Kommission ihre rechtlichen Bedenken im Hinblick auf eine mögliche versteckte Diskriminierung mittlerweile aufgegeben hat.
Fazit: Für EUR 178,- bekommt der im Europarecht tätige Praktiker hier einen umfassenden Überblick über sämtliche Teilrechtsgebiete und ihre jeweilige Verknüpfung mit dem Europarecht.
Positiv hervorzuheben ist die nahezu durchweg verständliche Darstellung der komplexen Inhalte und Fragestellungen, die dem Anspruch des Praktikers gerecht wird. Dieser umfassende Querschnitt des Europarechts sucht seinesgleichen und ist immer noch nahezu konkurrenzlos – er ermöglicht dem Rechtsanwender den Einstieg in fast jede Fragestellung mit ihren jeweiligen europarechtlichen Besonderheiten.