Amstutz, Globale Unternehmensgruppen – Geschichte und Zukunft des europäischen Konzernrechts, 1. Auflage, Mohr Siebeck 2017
Von Dipl. iur. Andreas Seidel, Göttingen
Der Ordinarius für Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Rechtstheorie an der Universität Freiburg i. Üe. hat jüngst eine Monographie zur Geschichte und Zukunft des europäischen Konzernrechts geschrieben – insofern ist der Untertitel dieses Werkes, der den Untersuchungsgegenstand auf das Unionskonzernrecht beschränkt, wichtig, um den Leser durch den Titel „Globale Unternehmensgruppen“ nicht in die Irre zu führen. Auf ca. 130 Seiten nimmt sich Amstutz damit ein Thema vor, das er selbst die Geschichte „eines 50-jährigen Scheiterns“ nennt (vgl. S. VII). Anlass für die Auseinandersetzung mit dieser „Geschichte des Scheiterns“ ist die Impacto Azul-Vorabentscheidung des EuGH (v. 20.6.2013, Rs. C-186/12), in dem der Gerichtshof attestierte, dass in der EU „eine weiterhin tief zerklüftete Konzernrechtslandschaft [besteht] […], [da] selbst unter der zunehmenden Zahl von Mitgliedstaaten, deren Gesellschaftsrecht gesetzliche Regelungen für Konzerne kennt, […] keineswegs Einigkeit über deren Zielrichtung [herrscht] […]“ (vgl. S. 2).
Diese Aussage ist nicht haltlos, da die EG und nun auch die EU seit den 1960er Jahren versucht, ein harmonisiertes Konzernrecht zu schaffen, jedoch immer wieder an den divergierenden Vorstellungen von Unternehmensgruppen der verschiedenen Mitgliedstaaten der EU gescheitert ist. Dies gilt zuvorderst für den Vorschlag einer Konzernrechtsrichtlinie (neunte Gesellschaftsrechtsrichtlinie), der 1974 und ´75 erstmalig und 1984 in einer revidierten Fassung entstanden ist. Der so forcierte Ansatz der Vollharmonisierung, der sich zunächst an einer organischen Konzernverfassung und dann am deutschen Konzernrecht orientierte, konnte sich jedoch nicht durchsetzen und wurde insbesondere seitens des Vereinigten Königreiches scharf kritisiert.
Das erste Kapitel über die Geschichte des europäischen Konzernrechts beginnt nach der Einleitung ab Seite 9 mit dem Versuch der Vollharmonisierung ab den 1960er Jahren. Auf den kommenden ca. 20 Seiten führt der Autor in einem kurzen Überblick durch die verschiedenen Bestrebungen ein Konzernrecht in der Union zu entwickeln, wobei der Schwerpunkt auf den verschiedenen Ansätzen zur sog. Kernbereichsharmonisierung gelegt wurde. Dieser geschichtliche Überblick endet in der jüngsten Vergangenheit bei dem momentanen Stand der Gesetzgebung (zumindest bis zum Herbst letzten Jahres), die vor allem die Doktrin des Gruppeninteresses, die Societas Unius Personae (SUP) und das Problem der Related Party Transactions (RPT) in der Unternehmensgruppe ins Blickfeld gerückt haben.
In den folgenden beiden Kapiteln beleuchtet Amstutzzunächst die sozialwissenschaftlichen Aspekte von Unternehmensgruppen sowie die wirtschaftssoziologische sowie ökonomische Funktion. Hierbei geht er namentlich auf die Entstehung und Entwicklung dieser Unternehmensgruppen in der Globalisierung der Märkte ein (vgl. Kapitel 2: Funktion). Hieran schließt sich die Entwicklung einer Konzernrechtsmethode im dritten Kapitel an. Dabei hat der Autor besonders im Hinblick auf die rechtsetzenden Institutionen in der EU Rechtsfragen identifiziert, die es de lege ferenda zu lösen gilt, und aufgezeigt, nach welchen „Leitlinien eine Konzerngesetzgebung zu strukturieren“ sei (vgl. S. VIII). Ausgehend von den Aufgaben der konzernorganisationsrechtlichen Methode gliedert er dieses Kapitel (Methode) in die Bereiche „Regelungsbereiche“, „Regelungsfigur“ und „Regelungsstruktur“, wobei er interessante Parallelen zu der Doppelorientierung des Handelns, die bisher vor allem aus dem Bereich der Netzverträge bekannt ist, zieht. Es ist dabei auffällig, dass Amstutzimmer wieder Erwägungen aus dem Recht der Netzverträge in das Konzernrecht überträgt, auch wenn er dies mitunter nicht zu erkennen gibt, wenn man von den Belegen in den Fußnoten absieht, die Aufschluss über den ursprünglichen Kontext der Fundstellen geben.
Abschließend setzt sich der Autor im vierten Kapitel mit der Zukunft des europäischen Konzernrechts auseinander, wobei er augenscheinlich auch von dem Konzept der Kernbereichsharmonisierung ausgeht. So wirft er die momentan am meisten diskutierten Regelungskonzepte auf und diskutiert diese. Namentlich sind dies die aus der französischen Rozenblom-Formel entwickelten Doktrin des Gruppeninteresses (S. 87 ff.), die Schaffung einer europäischen Einpersonengesellschaft (Societas Unius Personae) (S. 98 ff.) und die Regelung der Missbrauchsgefahr bei konzerninternen Related Party Transactions (S. 116). Hierbei ist es allerdings bedauernswert, dass Amstutz bereits im Herbst 2016 das Manuskript für diese Monographie fertig gestellt hat und somit seine Erwägungen noch auf dem Stand der verschiedenen Kompromissvorschläge aus den Jahren 2014 und 2015 sind – es war jedoch im Herbst 2016 noch nicht absehbar, dass der eingesetzte Trilog nach mehr als einem Jahr völligem Stillstands noch im Dezember des letzten Jahres einen finalen Kompromissvorschlag entwickeln würde, der auf eine allseitige Zustimmung traf, sodass dem Autor in dieser Hinsicht kein Vorwurf gemacht werden kann.
Die vorliegende Monographie von Amstutz bietet verschiedene Lesepläne und eignet sich daher für verschiedene Zielgruppen. Sowohl derjenige, der sich über die Geschichte des europäischen Konzernrechts informieren will als auch derjenige, der an den aktuellen Gesetzgebungsprozessen interessiert ist, wird hier fündig. Doch auch für rechtsetzende Institutionen bietet sich dieses Werk insbesondere aufgrund der Kapitel zwei und drei an. Allerdings darf dabei nicht erwartet werden, dass jedes dieser Kapitel alle Fragen beantworten wird. So wäre es sicherlich auch möglich gewesen, allein über die bewegte Geschichte des europäischen Konzernrechts eine solche Monographie zu schreiben und ebenso über jede einzelne Reformmaßnahme, die momentan diskutiert wird. Dies soll jedoch nicht den Eindruck schmälern, dass es sich bei dem vorliegenden Buch um ein hervorragendes Überblickswerk handelt, das unbedingt Beachtung verdient.