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Rezension: Rechtsgeschichte

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Aichele, Rechtsgeschichte, 1. Auflage, C.H. Beck 2017.

Von Dr. Sebastian Felz, Köln



Diesem Buch ist ein Motto von John Wayne vorangestellt: „Courage is being scared to death and saddling up anyway“. Das ist treffend. Denn es ist sehr mutig, auf knapp 140 Seiten eine Geschichte des abendländischen Rechtsbegriffes zu schreiben. Der Privatdozent für Philosophie an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg, Alexander Aichele, hat diese Herausforderung angenommen und sie gemeistert.

Seine Tour d´Horizon hat er in sechs Abschnitte (Antike, Mittelalter, Frühe Neuzeit, Aufklärung, 19. Und 20. Jahrhundert) unterteilt. Fast 50 Weggefährten des (rechts-) philosophischen Diskurses in Europa hat er dabei vorgestellt, beginnend in der griechischen Antike mit Homer und Hesiod bis hin zu John Rawls oder John Finnis in der Gegenwart. Dabei hat der Autor 3.000 Jahre hinter sich gelassen.

Warum es überhaupt Gesetze geben muss, ist die Ausgangsfrage dieses Bandes. Und wenn es Gesetze geben muss, knüpfen sich an diese Feststellung die Fragen an, was überhaupt ein Gesetz ist und was darüber hinaus ein gutes Gesetz ausmacht?

Die Diskussion des Rechtsbegriffs in der Antike enthält schon die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus. Recht wird verstanden als „universale Gesetzlichkeit“, welche die Ordnung und Einheit der Welt und ihrer Teile (Götter, Menschen und Natur) als Prinzip durchzieht. Allerdings nicht automatisch, sondern durch das Handeln der Götter, Menschen und der Natur. Mit der Sophistik kommt die Unterscheidung zwischen natürlicher Ordnung (physis) und menschengemachten Gesetzen (nomos) in die Diskussion. Aristoteles führt mit den Kategorien der kommutativen und distributiven Gerechtigkeit Gleichheitskriterien ein und differenziert das Rechte und das Billige. Das Mittelalter ist geprägt durch Spannung zwischen einem voluntaristisch, d.h. durch eine freie Willensentscheidung Gottes, geprägten Rechtsbegriff und einem naturalistisch beeinflussten Rechtsverständnis, dessen Quellen in der Vernunft des Menschen liegen. Die hoch ausdifferenzierten Naturrechtslehren des Mittelalters gehen von der Welt als durch göttliche Schöpfung und daher vernunftdurchwirkt aus. Die große Frage ist, ob der Mensch durch den Sündenfall in seinen Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten limitiert, die prinzipiell erkennbare göttliche Ordnung versteht und sein Handlungen danach ausrichtet.

In der Frühen Neuzeit wird das Recht, auch das Naturrecht, säkularer. Das Recht wird weiterhin transzendental begründet, aber die Bezugnahmen auf die religiös geoffenbarte Wahrheit werden abgeschwächt. Diese Absetzbewegung von der Theologie hat ihren Ursprung im Humanismus, der die Geschichtlichkeit des Rechts und die Auslegungsbedürftigkeit der Gesetze erkennt. Mit Thomas Hobbes wird die Positivität des Rechts durch seine Vertragstheorie prominent unterstrichen. Die Ideen einer beginnenden Völkerrechtslehre bringen die universelle und transkulturelle Geltung des Rechts, jenseits des christlichen Glaubens des Rechtsunterworfenen, in die Diskussion.

Die Aufklärung intensiviert diese Entwicklung. Nun gibt die Vernunft dem Recht den Rahmen. Denker von Locke bis Kant begründen den modernen Rechtsbegriff, der gekennzeichnet ist durch die Trennung von Recht und Moral, Freiheit als subjektives und wichtigstes Recht, die Bindung des Rechtsbegriffs an den Staat und die Vernunftmäßigkeit jeder Rechtsordnung.

Das 19. Jahrhundert bringt eine Abkehr vom Vernunftrecht und ganz unterschiedlicher Spielarten theoretischer Rechtsbegründungen im deutschen Idealismus, Historismus oder Liberalismus. Der Marxismus übt die schärfste Kritik am bürgerlichen Rechtsbegriff.

Im 20. Jahrhundert stehen sich positivistische und naturrechtliche Begründungen des Rechtsbegriffs, aber auch etliche Mischformen von Begründungsansätzen gegenüber, während die politischen Totalitarismen „das Recht als Magd der Politik“ ansehen, so die pointierte Überschrift des Kapitels über Carl Schmitt.


Auch wenn dem Autor zu konzedieren ist, dass bei einer „kurzen“ Geschichte des Rechtsbegriffs eine subjektive Auswahl getroffen werden muss, über die immer trefflich gestritten werden kann, sollte m.E. in einer begriffsgeschichtlichen Darstellung jedenfalls im Literaturverzeichnis die einschlägigen Artikel zu den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ „Gesetz“ oder „Verfassung“ von Dieter Grimm, Rolf Grawert oder Heinz Mohnhaupt aus dem„Historischen Lexikon der politisch-sozialen Sprache in Deutschland“ nicht fehlen. Dies kann aber das couragierte Werk von Aichele in keiner Weise schmälern: Er findet treffende und neugierig machende Überschriften. Er schreibt plakativ und elegant über die ewigen Fragen der Rechtsdenker und Rechtsphilosophen: Was ist Recht? Und: Was ist gutes und gerechtes Recht? Ein Buch, das Lust auf Rechtsphilosophie macht.

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